Superentspannt
Neues vom Downbeat: Nightmares on Wax
Vor knapp 30 Jahren war nicht nur politisch, sondern auch musikalisch manches anders: Techno stand Anfang bis Mitte der 90er Jahre erst am Beginn seiner nicht enden wollenden Club-Karriere, Drum & Bass, inzwischen weg vom Fenster, hieß noch Jungle, HipHop hatte mit Protagonisten wie Nas, Snoop Dogg und dem Wu-Tang Clan einen phänomenalen Lauf, schrammeliger Indie-Rock aus den USA war nicht tot, wie seit ein paar Jahren immer wieder mal behauptet, sondern schwer angesagt, und in gefühlt sämtlichen Bars etwas größerer Städte liefen in Dauerschleife Portishead, Tricky, Massive Attack, DJ Shadow oder Funki Porcini. Und natürlich die Lounge-Jazz und Soul zugeneigten Tracks der beiden DJs und Remixer George Evelyn und Kevin Harper, besser bekannt als Nightmares on Wax.
TripHop oder Downbeat nannte man den zumeist recht langsamen elektronischen Sound mit den schweren Beats britischer Künstler aus Bristol oder London, von denen freilich nicht nur Nightmares on Wax irgendwann - als es tatsächlich langsam mal genug war - unter Dudelmusik- bzw. gutmütigem Einschläferungsverdacht standen.
Hört man heute »Smokers Delight«, das zweite und berühmteste Album von Nightmares on Wax aus dem Jahr 1995, muss man freilich sagen: verdammt geschmackvolle zeitlose Arbeit. In seiner samplefreudigen Superentspanntheit beinahe spirituell, mindestens beseelt. Das lässt sich durchaus auch über das neue Album »Shape the Future« sagen. Da es jedoch fürs unerlaubte Samplen fremder Melodieschnipsel inzwischen mächtig was auf die Finger gibt, erstellt der auf Ibiza seinen Hippietraum lebende George Evelyn die analog-instrumentalen Samples inzwischen lieber selbst. Oder spielt sie zusammen mit Gastmusikern ein. »Die perfekte Ehe« zwischen Analog und Digital sei »sein Lebenstraum«, sagt der 48-Jährige. Wenn’s weiter nichts ist.
Es ist Musik, die diskret aus dem Hintergrund wirkt und dort auch brav verbleibt, solange man nicht die Aufmerksamkeit auf sie richtet. Und, ja, man kann es, falls man ein eher hibbeliger Typ ist, wohl auch ein bisschen einschläfernd finden, wie Evelyn hier beinahe ganz aufs Prinzip sanfter Meditation setzt. Hypnotisch sind die Stücke aber allemal, und die Melodien summt man sehr bald auch ungewollt mit, was man erst mal hinkriegen muss als Künstler.
HipHop, Dub, Afrobeat, Lounge-Jazz und Gospel hat Evelyn »vermählt«, wie er es nennen würde, und, ach, was soll man sagen? Es passt alles ganz wunderbar zueinander, nicht zuletzt die möglicherweise etwas zu simple, gleichwohl sympathische Botschaft, die der indigene Schamane Kuautli Vasquez aus dem Song »Back to Nature« für uns hat: Passt gut auf die Erde und euch gegenseitig auf, denn wir sind alle eins. Donald Trump dürfte das anders sehen, aber den fragt heute ausnahmsweise keiner.
Nightmares on Wax: »Shape the Future« (Warp/Rough Trade)
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