»Senioren« in bester Verfassung

Das »Dance on«-Ensemble besteht aus Tänzern über 40. Jetzt lädt es erstmals zum Festival ins Hebbel am Ufer

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Fast hallen auf den Brettern des Hebbel-Theaters die Schritte der Junioren von der Biennale Tanzausbildung noch nach - und schon erobert ein weiteres Festival gleich das ganze Kombinat HAU. Es präsentiert gewissermaßen den Gegenpol, die Senioren, falls Tänzer 40+ überhaupt schon zu den Senioren rechnen, wie das gemeinhin die Regel ist.

Das Quintett des 2015 gegründeten »Dance on«-Ensembles findet sich allerdings in bester Verfassung, alle haben eine große Karriere in Compagnien von Rang hinter sich und bringen ihr Wissen und Können in der mit vielfältiger finanzieller Hilfe formierten Gruppe um Madeline Ritter als Geschäftsführerin und Christopher Roman als künstlerischen Leiter ein. Was sich bei Gründung an einem ähnlichen, leider nur kurzlebigen Format beim Nederlands Dans Theater orientiert hat, kann auf eine stolze Bilanz verweisen.

In 13 Ländern gab »Dance on« während zweier Jahre 104 Vorstellungen und ist ein Kreativpool für Künstler aller Art geworden. Viele namhafte Choreografen haben inzwischen Stücke für die Tänzer und, darin liegt der besondere Reiz, mit ihnen entworfen. So ist ein repräsentatives Repertoire erwachsen, das im »Out of Now« betitelten Festival nun erstmals geballt in Berlin zu erleben ist.

Bereits das dreigeteilte Eröffnungsprogramm steht für die unterschiedlichen Handschriften, wie sie Markenzeichen von »Dance on« geworden sind. In »Catalogue (First Edition)« spielt William Forsythe mit parallelen, gerundeten, verwickelten, gedrehten, gekreuzten Armformen, die er wie in einem Katalog vorführen und von den perfekt eingestimmten Interpreten Brit Rodemund und Christopher Roman nur so hinblättern lässt. Fast durchgängig bleiben sie am Platz, steigern das Arbeitstempo, werden synchron, setzen Torsionen und Körperwendungen ein, ohne den Kontakt zueinander zu verlieren, die übergeordnete Zweierform zu sprengen. Der intensive, durchaus auch humorige Bewegungsdialog endet, wie er begonnen hat: mit Berührung der aufgestellten Handflächen als Zeichen von Gemeinsamkeit.

Mit 35 Minuten doppelt so lang ist »Man Made« des Belgiers Jan Martens, in der Form indes ebenso streng und zwingend wie das Duett von Forsythe. Als Halbkreis agieren in schwarzem Dress Ty Boomershine, Brit Rodemund, Christopher Roman, Jone San Martin und Frédéric Tavernini. Mit diffusen Schlenkerfiguren schieben sie sich langsam durch den Raum, pulsen prismatisch sortiert als Gruppenkörper, werden aus Einzelzellen zu einem maschinenhaft funktionierenden Organismus. Er verlangsamt sich und löst sich in eine Art Planetenspiel auf gemeinsamem Orbit auf. Als Marschrhythmus die Tänzer vereint, stoppen sie jäh in einer Form: Das Spiel hat seinen Höhepunkt erreicht.

»Elephant« heißt die Uraufführung des Abends. Gewonnen werden konnte dafür der zwischen bildender und darstellender Kunst changierende Libanese und Wahl-Berliner Rabih Mroué. Er schickt mit Ty Boomershine und Jone San Martin zwei alltagsgekleidete Menschen auf einen Parcours zu sich selbst. Nacheinander nehmen sie Bodenlagen ein, wie Bleistiftzeichnungen von Mroué sie projizieren. Dann lenken Lichtstreifen ihren Weg durch ein Labyrinth, das sie zu zischenden, fauchenden Klängen, dann auch mit eigenen Erschreck-Lauten gehetzt und mit winkligen Bewegungen durchmessen.

Selbst rüde Verdrängung gehört zu den Reaktionen auf den anderen. Immer wieder leuchten dabei neue Querverbindungen auf. Als die Lichtraster erlöschen und die gesamte Szene im HAU2 verfügbar ist, braucht es schier endlos lang verschlungene, verworrene Gänge und Ausweichmanöver, ironischerweise zu Hans Albers’ schmissiger »La Paloma«, bis sich die Menschen in der Mitte begegnen. Dunkel schluckt da das Paar und lässt alles Weitere offen. Ein enigmatisches, ästhetisch reizvolles Stück Tanz-Theater für zwei der fünf präsenten Tänzer-Darsteller von »Dance on«.

Weitere Vorstellungen sowie Podiumsgespräche, Installationen, Gastspiele und Workshops hält das »Dance on«-Festival in den drei Spielstätten des HAU bereit. Die Choreografien stammen von den US-Amerikanerinnen Deborah Hay und Lucinda Childs, von Kassels Ballettchef Johannes Wieland und dem für seine Gender-Soloperformances bekannten Bulgaren Ivo Dimchev. Auch Tänzer von »Dance on« steuern Kreationen bei. Unter den geladenen Gastspielen dürfte das Duett »Body Not Fit For Purpose« des Tänzers Jonathan Burrows mit dem Musiker Matteo Fargion wieder einen verschmitzt heiteren Akzent setzen.

Bis zum 4. März im Hebbel am Ufer, Kreuzberg

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