Feminismus zwischen Theorie und Praxis
Auf einem Kongress diskutieren Linke im Prenzlauer Berg über Frauenbewegung und Klassenkampf
»Ein Gespenst geht um in Deutschland - das Gespenst des Feminismus.« Frei nach Marx und Engels könnte man so die momentane Lage des Feminismus in der Bundesrepublik beschreiben. Die im Manifest der Kommunistischen Partei beschriebene Hetzjagd offenbart sich des Öfteren auch heutzutage. Ob nun als »Genderwahn« von Rechten angegriffen oder rassistisch gegen Muslime missbraucht, aber auch in progressiven Diskussionen wie MeToo: Feminismus spielt in den aktuellen politischen Debatten eine zentrale Rolle. In Anbetracht dieser Lage trafen sich Ende letzter Woche rund 200 Linke im Rahmen der Aktionswochen zum Frauenkampftag im Berliner Club »Mensch Meier«. Das Ziel des kleinen Kongresses mit Workshops, Podiumsdiskussion und Musik: Die Zusammenführung von materialistischer Kritik und feministischen Kämpfen.
Wie es für einen Besuch in einem Berliner Club üblich ist, hieß es am Anfang zunächst Schlange stehen, Handykamera abkleben und erst dann zum Einlass. »Voll clublike«, wie eine der Besucherinnen feststellte. Von der Schlange ging es direkt auf den Mainfloor, den größten Raum in der selbstverwalteten Diskothek. Vor einem vollen Saal wurde dort mit einiger Verspätung das Symposium eröffnet. Die Stühle reichten nicht aus, eine große Anzahl an Besuchern musste stehen. Das Thema schien einen Nerv getroffen zu haben.
Unter Transparenten, beschriftet mit dem Titel des Kongresses »Materialize: feminism«, ging es dann auch schnell los mit den Workshops. Thematisch wurde ein breites Spektrum geboten - von Einführungsvorträgen über Antifeminismus von Rechts bis zur Kritik an Judith Butler. Diese wurden von der Organisationsgruppe »TOP B3rlin« selbst gehalten oder von externen Referentinnen wie der Pädagogin Andrea Trumann. Diese legte in ihrem Workshop eine Kritik an dem Identitätskonzept und der Rezeption von Judith Butler dar. Deren Theorie sei darauf ausgelegt, Geschlechtsidentitäten abzuschaffen, würde in aktuellen feministischen Debatten aber eher dahingehend verstanden, dass eine Vielzahl von neuen Identitäten geschaffen werden - zum Beispiel beim Thema Asexualität. Nicht nur dort würden die in Butlers Theorie herrschenden Probleme der Anerkennung und Diskriminierung dadurch gelöst, dass die Kreuzung von Identitäten als Persönlichkeitsbildung verstanden werden. Diese müsse man dann nur anerkennen. Mit einer materialistischen Kritik, beispielsweise zu der Unterscheidung von Produktions- und Reproduktionsarbeit, habe das wenig zu tun.
Dieses Thema wurde dann auch noch einmal auf der abschließenden Podiumsdiskussion weiter ausgeführt. Neben Truman kamen dabei auch die bekannten feministischen Theoretikerinnen Roswitha Scholz, Lisa Haller und der Antifa AK aus Köln auf die Bühne. Welches Verhältnis von Theorie und Praxis nun das Richtige sei und welche Rolle die Utopie der befreiten Gesellschaft übernimmt, konnte dort zwar - wie so oft - nicht geklärt werden, wurde jedoch kontrovers diskutiert. Die Frage, was nun noch Identitäts- und Klassenpolitik ist, spaltet nicht nur die Linke, sondern auch das Podium. Ein Konsens konnte dann aber doch gefunden werden: Feminismus und Kapitalismus - das geht nicht zusammen.
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