Ein sauberer Schuss in den Rücken

Der Spielfilm »Der Hauptmann« ist kein typisch deutsches Vergangenheitsbewältigungskino. Gestern wurde er für den Deutschen Filmpreis nominiert

  • Georg Kammerer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn ein deutscher Filmemacher sich mit der deutschen Geschichte beschäftigt und dabei »tief in menschliche Abgründe« blickt (Presseheft), sollte man prinzipiell mit dem Schlimmsten rechnen. Nun ist Robert Schwentke immerhin kein typisch deutscher Regisseur. Sein Kinodebüt gab er mit dem erstaunlich stilsicheren Serienkiller-Thriller »Tattoo« (2002); die autobiografische Auseinandersetzung mit einer Hodenkrebserkrankung inszenierte er nicht als schweres Melodrama, sondern als schwarze Komödie. Im Gegensatz zum Oscar-Bonzen und Feuilletonliebling Florian Henckel von Donnersmarck, der sich mit seinem Star-Vehikel »The Tourist« (2010) international blamierte, konnte Schwentke mit dem Thriller »Flightplan« (2005) und vor allem der Rentner-Actionkomödie »R. E. D.« (2010) respektable Hollywood-Erfolge feiern.

Folgerichtig ist auch »Der Hauptmann« - das ist die gute Nachricht - kein typisch deutsches Vergangenheitsbewältigungskino und opfert zuallererst den größten Fetisch des bundesdeutschen Historienfilms: die Behauptung von Authentizität. Die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte des desertierten Gefreiten Willi Herold, der wenige Wochen vor der deutschen Kapitulation eine zufällig gefundene Hauptmannsuniform überzieht, eine Gruppe versprengter Soldaten um sich schart und bald als falscher Offizier ein Gefangenenlager kommandiert und Hinrichtungen anordnet, erzählt Schwentke in stilisiertem Schwarz-Weiß und Cinemascope. Die ostdeutsche Einöde hinter der Frontlinie erscheint als unwirklicher Mikrokosmos. Statt den Versuch zu unternehmen, für die Grausamkeit adäquate Bilder zu finden, zeigt »Der Hauptmann« Mut zur grotesken Überhöhung.

Ebenso fehlt die in thematisch ähnlichen Filmen allgegenwärtige positive Identifikationsfigur, der gute Deutsche. Ein einziges Mal meldet ein namenloser Nebencharakter ethische Bedenken an, ansonsten herrscht bestenfalls Uneinigkeit über die logistischen Aspekte des Mordens. Der Lagerleiter Hansen ist zwar nicht erfreut über das improvisierte Standgericht des vermeintlichen Hauptmanns Herold, seine Zweifel kreisen jedoch in erster Linie um die korrekte Einhaltung der Befehlskette. SA-Führer Schütte empört sich an einer Stelle, dass das wahllose und unkoordinierte Totschlagen von Gefangenen »nicht deutsch« sei - gegen einen sauberen Schuss in den Rücken bei einer fingierten Flucht hat er aber überhaupt nichts einzuwenden.

Milan Peschel, dessen unaufwendige Leinwandpräsenz unter den durchweg soliden schauspielerischen Leistungen herausragt, darf als Gefreiter Freytag - und Stellvertreter des Zuschauers - mit schockiertem Hundeblick die Gewaltexzesse stumm kommentieren. Daran beteiligen wird er sich trotzdem jedes Mal. Der Protagonist Herold ist ohnehin ein durch und durch opportunistischer und zunehmend sadistischer Betrüger.

Dieser mutige Verzicht auf Identifikationsangebote ist leider zugleich die größte Schwäche des Filmes. Da die komplette Geschichte mehr als Versuchsanordnung denn als Drama inszeniert ist, gibt es von Anfang an keine moralische Fallhöhe, keine Skrupel bei der Hauptfigur, die durch Macht noch korrumpiert werden könnten. Die im Presseheft gestellte Frage »Wie würde ich handeln?« dürfte sich für die meisten Zuschauer nicht stellen. Wenn Schwentke im Abspann sein Ensemble in voller Wehrmachtsmontur durch das heutige Görlitz fahren lässt, wirkt dies ein wenig wie ein verzweifeltes Beharren auf der moralischen und politischen Signifikanz des gerade Gesehenen. So scheitert »Der Hauptmann« letztendlich an seinen eigenen Ansprüchen. Das aber immerhin auf respektablem Niveau.

Gestern wurde der Film in insgesamt fünf Kategorien (Bester Film, Bester Schnitt, Beste männliche Nebenrolle, Beste Filmmusik, Beste Tongestaltung) für den Deutschen Filmpreis nominiert.

»Der Hauptmann«, Deutschland/Polen 2017. Regie/Drehbuch: Robert Schwentke, Darsteller: Max Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau. 119 Min.

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