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Schlimmste Phase der Zensur seit Langem
Regisseurin Amal Ramsis über die Situation für Filmemacher in Ägypten
Frau Ramsis, Sie konnten vor drei Jahren Ihren Film über die Ermordung junger Revolutionäre durch die ägyptische Armee in Kairo zeigen. Heute stehen das Land und seine unabhängige Filmkultur an einem kritischen Punkt. Wäre ein Film wie 2015 heute in Kairo auch noch möglich?
Nein! Der ägyptische Film erlebt gerade die schlimmste Phase der Zensur seit Langem. Es gibt so gut wie keine Neuproduktionen. Ein, zwei nicht kommerzielle Filme dieses Jahr höchstens, aber die sind handwerklich schlecht gemacht. Es gibt null Filmförderung mehr, und damit ist die Aufbauarbeit von Jahren zerstört. Das gilt für die gesamte Kulturarbeit im Land. Auch Theaterregisseure müssen sehr vorsichtig sein. Oft hilft es nicht einmal, die Werke inhaltlich gegen die strenge Zensur zu immunisieren, denn dann ist es nicht der Inhalt, sondern der Aufführungsort, den das Ministerium für Kultur beanstandet. Für alles braucht man jetzt eine Erlaubnis. Und die hat nicht einmal der auf der Berlinale 2016 mit dem Caligari-Filmpreis ausgezeichnete ägyptische Beitrag von Tamer El Said »The last days of the City« bekommen. Und das war der letzte richtig gute Film, der aus Ägypten kommt.
Wie erklären Sie sich dann, dass alle Einreichungen für das 11. Internationale Frauenfestival in Kairo im März in Kairo, als dessen Leiterin Sie ja fungieren, gezeigt werden konnten?
Bisher benötigten wir nur für das Creativity Centre, das dem Ministerium für Kultur untersteht, die Erlaubnis für unsere Festival-Filme. Normalerweise zeigen wir sie dazu noch in der Amerikanischen Universität und im Goethe-Institut. Dieses Jahr standen uns sogar fünf Kinotheater zur Verfügung. Wir haben uns zur Sicherheit etwas Besonderes einfallen lassen, über das ich hier nicht reden möchte. Einfach wegen der negativen Erfahrung vom letzten Jahr mit der Zensur. Dieses Jahr wurden wirklich alle 55 Filme genehmigt. Drei Tage vor Festivalende aber kamen Zensoren an die Amerikanische Universität, um die Erlaubnispapiere zu prüfen, die wir auch vorweisen konnten. Dann machten sie uns Ärger, weil wir darin nicht angegeben hatten, wo jeder einzelne Film gezeigt wird. Es gab Streit, und man drohte uns mit Abbruch des Festivals, wozu es letztendlich nicht kam. Es ist also auch für uns deutlich schwerer geworden.
Gestern begann in Berlin das Arabische Filmfest, auf dem Sie 2011 Ihren Dokumentarfilm »Forbidden« über die Vorgeschichte der ägyptischen Revolution gezeigt haben. Dieses Jahr kommen die sehenswerten Filme aus Libanon und Tunesien. Gab es einen thematischen Schwerpunkt, einen Fokus auf ein bestimmtes Land auf Ihrem Festival in Kairo?
Ja, zum ersten Mal ist es bei uns tatsächlich auch der Libanon mit sechs Filmen. Eliane Raheb war übrigens zum Publikumsgespräch zugegen. Eröffnet haben wir aber mit dem Film »Until the end of time« von der algerischen Regisseurin Jasmine Chouikh. Interessanterweise wurde dieser Film nur ein einziges Mal in Dubai gezeigt und dann nur noch bei uns, wo er zum Publikumsliebling gewählt wurde. Seltsam, aber in Europa wollte ihn niemand ins Programm aufnehmen. Offenbar entspricht er nicht dem Bild von Algerien. Also kein Terror und nichts Politisches. Dabei ist es ein so menschlicher, intelligenter und subtil und humorvoll erzählter Film, in dem es um die platonische Liebe eines alten Friedhofswärters zu einer Trauernden und das Überwinden der rigiden konservativen Sozialstrukturen in Algerien geht. Ein handwerklich und schauspielerisch perfekter Film. Aber das Thema ist wohl nicht sexy genug für Europa.
In Berlin läuft auch »Withered Green«. Das soll ein unabhängiger ägyptischer Film sein und ein Beitrag zum Spotlight dieses Jahr über das schwierige Geschlechterverhältnis in arabischen Gesellschaften. Ist das nicht ein hoffnungsvolles Zeichen, wie es in Zukunft mit dem ägyptischen Film weitergehen könnte?
Ich kenne den Regisseur gut, und es stimmt: Er hat alles aus eigener Tasche bezahlt und auch alles sonst selbst gemacht. Einer der ganz raren Fälle unabhängigen künstlerischen Arbeitens in Ägypten. Und das ist auch schon der positive Punkt. Leider ist dabei ein eher frauenfeindlicher Film entstanden. Eine Art Macho-Versuch über den Feminismus. Außerdem gibt es viele Ähnlichkeiten zu einem älteren Film eines Kollegen, den ich auch gut kenne. Wenn Sie darin also die Zukunft des ägyptischen Filmemachens vermuten, tut es mir leid, da widersprechen zu müssen.
Bizarrerweise wird das Geschehen in Ägypten aktuell von Ankündigungen aus dem erzkonservativen Saudi-Arabien überschattet. Selbst die mutige regierungskritische saudische Regisseurin Haifaa Al Mansour zeigte sich beeindruckt von der Ankündigung des saudischen Kronprinzen, das ganze Land mit Kinos zu versorgen.
Dass es wie in Berlin bald in Mekka und Medina außer kommerziellem Kino auch den unabhängigen arabischen Film zu sehen gibt, das ist ja wohl ein Treppenwitz der Geschichte. Dass gerade Haifaa Al Mansour, die erste saudische Frau, die undercover in Saudi Arabien einen Film gedreht hat, von einem Lieferwagen aus per Funk Anweisungen geben musste, sagt viel über die Einstellung des saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman aus. Der ist übrigens alles andere als ein Friedensfürst, wie man in Yemen sieht. Auch als Kunstmäzen ist er meines Wissens nie in Erscheinung getreten. Haifaa Al Mansours Äußerung halte ich deshalb für töricht. Das traue ich ihr eigentlich gar nicht zu. Ich bin geschockt über dieses Märchen vom guten Prinzen.
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