Bocksgesang der Scheinheiligen

Kollegah, Farid Bang und der Antisemitismus im Deutschrap

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 6 Min.

Vor gut 20 Jahren sorgte Martin Walser bei seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche für einen Eklat. Auschwitz eigne sich nicht dafür, »Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung«. Denn, fuhr der Schriftsteller fort, »was durch Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität des Lippengebets«. Der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, fühlte sich persönlich angegriffen und sah in den Worten Walsers einen Angriff auf die Erinnerungskultur in Deutschland. In der Öffentlichkeit wurde dementsprechend der Vorwurf erhoben, Walser rede einem Schlussstrich bei der Beschäftigung und mit der Erinnerung an die Shoa das Wort, ja, der Schriftsteller bediene antisemitische Ressentiments.

Walser hat mittlerweile seine Worte von 1998 bedauert und um Entschuldigung gebeten. »Ich könnte die Paulskirchenrede so nicht mehr halten«, sagte er 2015 in einem »Spiegel«-Interview. Er habe damals bei seiner Dankesrede an Günter Grass und Walter Jens gedacht (Grass und Jens hatten die deutsch-deutsche Einigung 1990 mit dem Verweis auf den industriell betriebenen Völkermord in Auschwitz abgelehnt), von ihm unbeabsichtigt habe sich aber Ignatz Bubis angesprochen gefühlt. Dennoch: Die Rede hängt Walser bis heute nach. Gibt man bei Google die Stichworte »Walser« und »Antisemit« ein, ist die Zahl der Suchtreffer hoch.

Den beiden Musikern Felix Blume (Kollegah) und Farid Hamed El Abdellaoui (Farid Bang) droht das Gleiche wie Walser. Allerdings im Gegensatz zu Walser zu Recht, wenn auch der Anlass nicht der richtige war. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in Bälde einer der Preisträger des deutschen Musikpreises »Echo« von 1992 aus Protest seine Auszeichnung zurückgeben wird, denn seit der Ehrung der beiden Deutschrapper vor Wochenfrist dreht sich das Abgrenzungs- und Protestkarussell immer schneller: Am Montag gab das Notos Quartett, Echo-Preisträger in der Sparte »Klassik« vom vergangenen Jahr, die Auszeichnung zurück; Klaus Voormann, der in diesem Jahr für sein Lebenswerk geehrt wurde, tat es ihnen am selben Tag gleich; gestern kündigten der Pianist Igor Levit (Echo 2014) und der Dirigent Enoch zu Guttenberg (Preisträger 2008) ebenfalls an, ihre Echos an die Jury zurückzuschicken. Der Tenor lautet unisono: Der Echo sei durch die Preisvergabe an die beiden Rapper zu einem »Symbol der Schande« geworden.

Anlass der Erregung ist eine Zeile in einem der Lieder von Kollegah und Farid Bang: »Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen«. »Bild« und RTL hatten schon gut eine Woche vor der Echo-Gala mit dieser Textpassage den Vorwurf des Antisemitismus begründet. Das fruchtete: Spätestens nach dem Echo-Abend am Donnerstag schwoll der Bocksgesang der Scheinheiligen an. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sprach von einer »antisemitischen Provokation«, der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert sekundierte mit der Bemerkung, dass Antisemitismus »weder Kunst noch Provokation« sei, sondern »widerlich«.

Nun war die inkriminierte Textzeile verletzend, entwürdigend; antisemitisch war sie - jedenfalls isoliert betrachtet - nicht. Einen angemessenen Umgang mit der Causa fand die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano. Die 93-Jährige kritisierte die Textpassage als »geschmacklos und verhöhnend«. Und sie lehnte auch das vergiftete Angebot Farid Bangs ab, mit ihm zusammen »als Zeichen der Versöhnung einen gemeinsamen Song zu machen«. Die Geste der Versöhnung, das muss man dem 31-Jährigen wohl noch erklären, kann nie vom Beleidiger ausgehen, sondern ist ein Gnadenakt, den die Beleidigten gewähren (oder auch nicht). Da hilft es auch nicht, wenn Farid Bang sich damit entschuldigte, dass es sich bei der Textzeile nicht um eine politische Äußerung gehandelt habe, sondern um ein Mittel des »harten Battle-Rap« und er sich jetzt und für die Zukunft »von jeglicher Form des Antisemitismus oder Hass gegen Minderheiten« distanziere.

Freisprechen kann man dennoch weder Kollegah und Farid Bang noch einen gewichtigen Teil der Deutschrap-Szene vom Vorwurf, antisemitische Klischees zu bedienen und Ressentiments gegen Juden in ihren Texten zu verbreiten. Es sind aber nicht nur die eindeutig antijüdischen Liedzeilen (»Ich leih dir Geld/ Doch nie ohne ’nen jüdischen Zinssatz äh Zündsatz«, Kollegah: »Sanduhr«, 2014), die diesen Vorwurf rechtfertigen. Kollegah etwa kokettiert zumindest mit diversen Verschwörungstheorien. »NWO - Camouflage, Langstreckenraketen/ Eine mächtige Minderheit, der Schandfleck des Planeten« - so rappte er 2013 in seinem Song »NWO«. Wer hinter dieser »New World Order« steckt, lieferte Kollegah gleich mit: die Illuminati, eine angeblich seit Jahrhunderten agierende Geheimgesellschaft, die im Hintergrund die Fäden zieht, Regierungen wie Marionetten führt, Kriege vom Zaun bricht, und das alles nur, um die Herrschaft der Wenigen über die Vielen zu sichern.

Wohlfeil ist es aber, nach Jahren (Kollegah ist der Echo-Preisträger der Jahre 2015 bis 2018) auf den Sohn einer Deutschen und eines Kanadiers einzuprügeln. Den 33-Jährigen, der von seinem algerischen Stiefvater geprägt wurde und als 15-Jähriger zum Islam konvertierte, trifft man nicht, denn er weiß, wie sich die Distanzierungsaffekte der bürgerlichen Öffentlichkeit für ihn gewinnbringend nutzen lassen; er weiß, wie seine jugendlichen Fans, die zu großen Teilen der deutschstämmigen Mittelschicht entstammen, nach dem »Bad Guy« gieren, dem »harten Kerl«, der sich den Regeln der liberalen Sittsamkeit ihrer Eltern verwehrt. Eine Debatte, die von den Beteiligten das Bekenntnis abfordert: »Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Kollegah und Farid Bang eine Schande für dieses Land sind«, verstärkt dieses Image nur noch.

Die Echo-Debatte wird mindestens unterschwellig mit antimuslimischen Tönen geführt. Nicht nur die »Bild« spricht von einem »importierten Antisemitismus« und verweist auf die Herkunft vieler Deutschrapper; das Bild vom Israel hassenden, judenfeindlichen Muslim ist auch in linken Kreisen kommod. Wer beständig von »Schande« spricht, wenn es um Antisemitismus geht, verfolgt jedoch nicht das Ziel von Aufklärung und Toleranz, sondern verfestigt seinerseits Vorurteile und grenzt aus. Vor gut vier Jahren geriet der Offenbacher Rapper Aykut Anhan alias Haftbefehl in die Schlagzeilen. In seinem Song »Psst!«, der auch musikalisches Thema im Frankfurt-»Tatort« der ARD war, vertickt er »Kokain an die Juden von der Börse«; 2010 verfluchte er in »Mama reich mir die Hand« das Judentum. Juden, so die Botschaft, sind ein Synonym für Banken, Kapitalismus, Ausbeutung.

Mittlerweile hat sich der 32-Jährige von diesen Zeilen distanziert und um Entschuldigung gebeten. Ob das ehrlich gemeint ist, sei dahingestellt, aber seine Erklärung für den gerade unter Jugendlichen aus arabischen und türkischen Einwandererfamilien verbreiteten Judenhass sollte man ernst nehmen. In einem Interview mit der Tageszeitung »Die Welt« (»Ich bin genauso deutsch wie mein Nachbar Marius«) sagte er Ende 2014: »Ich bin unter Türken und Arabern aufgewachsen. Da werden Juden nicht gemocht. Es gibt ja auch keine dort. Ich will Ihnen verraten, wie ein 16-jähriger Offenbacher tickt: Für den ist alles, was mächtig ist und reich, aus seiner beschränkten Sicht jüdisch. Er hängt mit anderen 16-Jährigen herum. Sie hassen alles. Deutsche sind für sie Kartoffeln.« Frei gemacht habe er sich von diesen Vorurteilen unter anderem durch die Begegnung mit Juden.

Vielleicht, und dies nur so als Anregung, sollten sich all die von Guttenbergs, Maas, Kühnerts und all jene, die sich in den kommenden Tagen noch zu Kollegah und Farid Bang äußern werden und für die Auschwitz zur Drohroutine, zur Moralkeule, zur Pflichtübung und zum ritualisierten Lippenbekenntnis geworden ist, einmal Gedanken darüber machen, aus welcher sozialen Schicht jene 16-Jährigen kommen, von denen Haftbefehl sprach, und welche Erfahrungen sie mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft gemacht haben. Ein kleiner Tipp: Kinder von Bankangestellten sind eher nicht darunter.

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