Der MDR und das N-Wort

Wie der Mitteldeutsche Rundfunk mit der Ankündigung zu einer geplanten Debatte über politische Korrektheit den PR-Supergau erlebte

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wen würden sie in einen Polittalk einladen, wenn es um die Frage geht, ob es in Ordnung ist, jemanden als »Neger« zu bezeichnen? Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) Sachsen hat sich diese Frage gestellt, darauf aber eine irritierende Antwort gefunden. Am Dienstagabend wollte der Radiosender im Rahmen seiner Sendung »#dienstagsdirekt« über politische Korrektheit und deren Sinnhaftigkeit diskutieren.

Eingeladen war der ehemalige ZDF-Moderator Peter Hahne, die LINKEN-Politikerin Kerstin Köditz, der Politikwissenschaftler Robert Feustel und die frühere AfD-Chefin Frauke Petry. Falls dem ein oder anderen nicht auf Anhieb zu jedem Studiogast das jeweilige Gesicht einfällt: Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass eine der genannten Personen jemals mit dem N-Wort beleidigt wurde. Genau das ist es: eine Beleidigung. Die Debatte darüber wurde eigentlich im letzten Jahrhundert mit dem weitgehenden Konsens beendet, dass das N-Wort »im öffentlichen Sprachgebrauch als stark diskriminierend« gilt. So zumindest erklärt der Duden diese rassistische Bezeichnung.

Vielleicht aber besaßen die verantwortlichen Redakteure des MDR noch einen alten Bertelsmann Hausatlas aus dem Jahr 1960 als Nachschlagewerk. Darin hieß es in einer Erklärung zu Afrika: »Die Bevölkerung Afrikas ist sehr vielfältig. Die größte Gruppe bilden die Neger«. Jedenfalls fand es die MDR-Redaktion offenbar besonders originell, der geplanten Sendung den nachfolgenden Titel zu geben: »Darf man heute noch ,Negerʹ sagen?

Warum ist politische Korrektheit zur Kampfzone geworden?« Ja, warum nur? Dafür hätte man vielleicht mit einem Betroffenen reden können. Fiel dem MDR keine Person of Color ein, die in seinem mitteldeutschen Sendegebiet lebt? ZDF-Mann Hahne kam sogar extra aus Berlin. Und der kennt nicht einmal den Unterschied zwischen einer rassistischen Betitelung wie »Zigeunersoße« und der schwäbischen Bezeichnung »Herrgottsbescheißerle« für Maultaschen.

All diese Fragen stellten sich auch zahlreiche Initiativen, die nach der missglückten Sendeankündigung den MDR kritisierten. »Ist das wirklich Euer Ernst, @MDR_SN?! Mit Frauke #Petry und drei weiteren weißen Menschen darüber fachsimpeln, ob es nicht doch eigentlich irgendwie okay ist, wenn man mal rassistische Begriffe benutzt?«, fragte etwa die Flüchtlingsinitiative Pro Asyl auf Twitter.

Auch die Bildungsstätte Anne Frank aus Frankfurt am Main äußerte sich auf dem Kurznachrichtendienst kritisch. »Der @MDR_SN versucht sich mit neurechten Strategien des Tabubruchs, um Aufmerksamkeit zu generieren. Mit dieser indiskutablen Fragestellung verunmöglicht er jede sachliche Auseinandersetzung. Keine Frage von politischer Korrektheit, sondern von Verletzung der Betroffenen.«

Betroffene? Die kennen sie beim MDR offenbar tatsächlich nicht. Oder waren zu faul für eine Recherche. Oder hielten sie schlicht nicht für notwendig. Jedenfalls reagierte die Social-Media-Redaktion des Senders auf kritische Äußerungen und Nachfragen nicht unbedingt professionell und immer um Sachlichkeit bemüht. Auf die Frage, warum der Sender keinen Schwarzen eingeladen habe, der doch erklären könnte, warum das N-Wort nichts im Sprachschatz zu suchen hat, reagierte der MDR Sachsen ausweichend: »Danke für den Vorschlag. Machen wir gern! Wenn Sie Menschen kennen, melden Sie sich doch gern heute direkt in der Sendung – wir schalten Hörer direkt live auf Leitung!«

Vielleicht hätte der MDR den schwarzen SPD-Bundestagsabgordneten Karamba Diaby aus Halle anfragen können. Ihm war die Sendung mit dem politisch definitiv nicht korrekten Titel ebenfalls aufgefallen. »Wir können und müssen über alles diskutieren. Meine Meinung: Wer schon in der Bewerbung der Sendung das ‘N-Wort’ benutzt, will keine sachliche Debatte, sondern provozieren und ausgrenzen.«

Eine Chance zur Diskussion gab es am Dienstagabend dann allerdings nicht mehr. Köditz und Feustel zogen ebenfalls via Twitter ihre Teilnahme an der geplanten Sendung zurück. Beide erklärten, dass sie die Bezeichnung »politische Korrektheit« als einen »Kampfbegriff der Rechten« sehen und einer Diskussion zunächst zugesagt hatten, um dem etwas entgegenzusetzen. Doch das »Thema wurde bei einer kurzfristigen Sendungsankündigung mittlerweile in eine Richtung (weiter-)gedreht, die vollends indiskutabel« sei. Nachdem Köditz und Feustel abgesagt hatten, sah nun auch der MDR Sachsen keinen Sinn mehr in der Sendung und strich sie kurzfristig aus dem Programm, will aber einen neuen Sendetermin prüfen.

Auch den Versuch einer Entschuldigung hatte die Redaktion parat. Es habe sich nur um eine »rhetorisch gemeinte Einstiegsfrage« gehandelt. »Wir haben mit der Überspitzung die Gefühle Vieler verletzt«, stellte der MDR fest.

Einzig die Ex-AfDlerin Petry konnte die ganze Aufregung nicht verstehen. Via Twitter kommentierte sie die Absage der Sendung mit den Worten: »Schade, dass der MDR es nicht durchgezogen hat. Die Absagen sprechen doch eine eigene Sprache und dokumentieren den Status der Diskussionsfähigkeit.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.