Terrorgefahr von rechts

Reichsbürger und Neuköllner Neonazis größte Bedrohung

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 3 Min.

Terrorismus ist »der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen«. Nach dieser Definition der Verfassungsschutzbehörden fällt die rechtsextreme Anschlagsserie in Neukölln durchaus unter den Begriff Rechtsterrorismus. Diese Einschätzung vertritt auch Innensenator Andreas Geisel (SPD). »Wenn man von Rechtsterrorismus spricht, muss in Berlin auch von der vermutlich rechtsextremistisch motivierten Straftatenserie in Neukölln gesprochen werden«, so Geisel am Mittwoch im Ausschuss für Verfassungsschutz zum Thema rechtsterroristisches Potenzial in Berlin.

Seit nunmehr zwei Jahren kommt es in Neukölln immer wieder zu Angriffen durch Neonazis. Laut der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) sind im Rahmen dieser rechtsextremen Anschlagsserie seit 2016 insgesamt 50 Angriffe bekannt geworden. Diese reichen von Bedrohungen durch Graffitis an und in Wohnhäusern über Stein- und Farbflaschenwürfe durch Fenster bis hin zu Brandanschlägen. Zuletzt gingen in der Nacht zum 2. Februar 2018 die Autos des Buchhändlers Heinz Ostermann und des LINKEN-Politikers Ferat Kocak in Flammen auf. Beide engagieren sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus. Nur mit viel Glück kamen sie unverletzt davon.

»Der Verlust von Menschenleben wurde in Kauf genommen«, ist Matthias Müller von der MBR überzeugt. Ein relativ kleiner Kreis von Rechtsextremen habe es über einen sehr langen Zeitraum geschafft, unter den antifaschistisch Engagierten sehr große Verunsicherung und ein Bedrohungsgefühl zu erzeugen. Für die Betroffenen sei das ein massiver Leidensdruck. Jeder weitere Anschlag erinnere sie daran, was ihnen passiert ist, weiß Müller aus Berichten.

Innensenator Geisel äußerte am Mittwoch Verständnis für die Forderung, die Anschlagserie als terroristisch einzustufen, verwies in der Sache jedoch auf die Zuständigkeit des Generalbundesanwaltes. Die Anschläge würden derzeit noch nicht nach Paragraf 129a - Bildung einer terroristischen Vereinigung - verfolgt. Festzustellen sei in Neukölln jedoch in eine deutliche Steigerung rechtsextremistischer Straftaten, sowohl qualitativ als auch quantitativ. »Ich schätze die Bedrohung, die von diesem Potenzial ausgeht, durchaus als hoch ein«, so Geisel.

»In Neukölln gibt es seit vielen Jahren eine aktive rechtsextreme Szene«, bekräftigt auch der Leiter des Verfassungsschutzes Berlin, Bernd Palenda. Diese werde vom Verfassungsschutz durchaus in den Blick genommen. Geholfen hat dies offensichtlich jedoch nicht. Rechtsextreme Straftaten seien in Neukölln durchaus nichts Neues, sondern etwas, das »bedauerlicherweise wieder ausgebrochen ist«, so Palenda.

Die fehlenden Ermittlungserfolge werden von Aktivisten wie der Anwohnerinitiative »Hufeisern gegen Rechts« scharf kritisiert. »Es liegt nahe, dass der mangelnde Erfolg von Polizei und Justiz, Täter festzustellen und vor Gericht zu bringen, von den Brandstiftern offenbar als Ermutigung zur Fortsetzung ihrer Taten verstanden wird«, heißt es in einem Demonstrationsaufruf für kommenden Samstag um 15 Uhr. Unter dem Motto »Gemeinsam gegen den rechten Terror in Neukölln« rufen Dutzende Initiativen dazu auf, sich mit den Angegriffenen solidarisch zu zeigen und aktiv gegen rechtsextreme Aktivitäten im Bezirk vorzugehen.

Doch nicht nur die Anschläge in Neukölln sind Teil der rechtsterroristischen Bedrohung in Berlin, auch die sogenannte Reichsbürgerbewegung steht im Fokus der Verfassungsschutzbehörden. Diese stellen laut Palenda insbesondere aufgrund ihrer Bereitschaft, Waffengewalt einzusetzen, eine erhebliche Gefahr dar. Dies habe sich nicht zuletzt Mitte April bei den Razzien bei acht Reichsbürgern in Berlin, Brandenburg und Thüringen gezeigt. Zu den laufenden Verfahren wegen des Verdachts der Gründung einer rechtsterroristischen Vereinigung sowie Verstößen gegen das Waffenrecht könne man aus ermittlungstaktischen Gründen keine Angaben machen. Der Verfassungsschutz bemühe sich jedoch, diese Szene weiter aufzuklären und insbesondere ihr mögliches rechtsterroristisches Potenzial aufzudecken, sagte Geisel.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -