Musketen zu Pflugscharen
Vom Prager Fenstersturz zum europäischen Krieg
Im Herbst 1618 erschien am Himmel ein Komet, der in einer Zeit apokalyptischer Erwartungen von vielen Zeitgenossen als Zeichen kommenden Unheils gedeutet wurde. »Des selbigen ansehen ist schröcklich und wunderlich, der bewegt mich in meinem gemüet, das ich anfang zu schreiben, weil mich bedünkht, er werde etwas gross bedeuten und mit sich bringen, wie der leser hierin gnug bericht finden wirdt.« Mit diesen Worten beginnt das »Zeyt-register« von Hans Heberle (1597- 1677). Der nahe Ulm lebende Schuhmacher, der einen kleinen Hof bewirtschaftete, sah sich durch das Erscheinen des Kometen veranlasst aufzuzeichnen, was er in den kommenden Jahren erleben und beobachten würde. Das betraf vor allem den großen Krieg, der die Menschen Europas in Atem hielt und der erst nach dreißig Jahren beendet sein sollte.
Den Anlass bot ein spektakuläres Ereignis in Prag. Am 23. Mai 1618 klagte eine Abordnung des böhmischen Adels unter Führung des Grafen Heinrich Matthias von Thurn die habsburgischen Statthalter auf der Prager Burg an, die im Majestätsbrief verbürgten Rechte verletzt zu haben. Da Wilhelm von Slawata und Jaroslav von Martinitz als »unserer Religion größte Feind« galten, wurden sie und ein Sekretär kurzerhand aus dem Fenster gestoßen, so dass sie in den Burggraben stürzten.
Die Ursachen dieses Konflikts führen bis in das Jahr 1526 zurück, als die Länder der böhmischen Krone an die Habsburger fielen und diese bemüht waren, sie ihrem politischen Willen zu unterwerfen. Die böhmischen Stände hingegen strebten danach, ihre Rechte juristisch abzusichern. Als sie 1608 zu einem Landtag zusammentraten, ersuchten die protestantischen Stände Kaiser Rudolf II., endlich die freie Ausübung ihrer christlichen Religion per Gesetz anzuerkennen. Angesichts der Zwistigkeiten unter den Habsburgern musste der Kaiser sich fügen und mit dem Majestätsbrief vom 9. Juli 1609 zusagen, »daß jeder Theil seine Religion, darinnen er seine Seligkeit verhofft, frey und ohne alle Bedrängnüs eines von dem andern üben möge«.
Die in diesem Dokument anerkannten Rechte wurden jedoch immer wieder verletzt, sowohl von dem habsburgischen Thronfolger Ferdinand, seit 1617 böhmischer König, als auch von den kaiserlichen Statthaltern in Prag. Als die protestantischen Stände sich im Mai 1618 versammelten, entschied sich eine Gruppe für einen demonstrativen Akt, um zu bekunden, dass sie nicht länger gewillt waren, die Missachtung ihrer Rechte hinzunehmen. Der Fenstersturz war ihre Antwort. In einer Verteidigungsschrift sprachen sie von einem »altböhmischen Brauch«. Es war ein Hinweis auf die »defenestratio« von 1419, als Anhänger des als Ketzer hingerichteten Reformators Jan Hus das Neustädter Rathaus in Prag stürmten, um dort gefangen gehaltene Glaubensgenossen zu befreien. Bei dieser Gelegenheit wurden bereits obrigkeitliche Repräsentanten aus dem Fenster geworfen und von der Menge getötet - Auftakt zu den bis 1436 andauernden »Hussitenkriegen«.
Im Ergebnis des »Aufstands« gegen die Habsburger, den der Fenstersturz von 1618 signalisierte, verabschiedete der sogenannte Konföderationslandtag am 23. Juli 1619 eine neue Verfassung. Die Länder der böhmischen Krone verstanden sich nun als Föderation unabhängiger Ständestaaten. Darin schlossen sich Böhmen, Mähren, Ober- und Niederschlesien, die Ober- und Niederlausitz und die evangelischen Stände in Österreich unter der Enns zusammen. Am 22. August wurde die Absetzung Ferdinands als böhmischer König beschlossen, da er gegen die Freiheiten der Stände gehandelt habe, und wenige Tage später der pfälzische Kurfürst Friedrich V. als Nachfolger gewählt. Er war Schwiegersohn des englischen Königs Jakob I., Neffe des niederländischen Statthalters Moritz von Oranien und auch mit dem schwedischen König Gustav II. Adolf verwandt. Die böhmischen Stände hofften, auf diesem Weg nicht nur die Unterstützung der Union (ein vom Pfälzer Kurfürsten geschaffenes Schutzbündnis protestantischer Territorien), sondern auch europäischer Mächte zu gewinnen. Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch.
Als Ferdinand am 28. August 1619 die Kaiserwürde erlangte, betrieb er unverhohlen und energisch die Rückeroberung Böhmens. Truppen des Kaisers und der vom bayerischen Kurfürsten gegründeten katholischen Liga stießen nach Böhmen vor, spanische Söldner drangen in die Rheinpfalz ein und sächsische Kontingente bemächtigten sich der beiden Lausitzen und Schlesiens. Doch die böhmischen Stände erlitten am 8. November 1620 in der Schlacht am Weißen Berg westlich von Prag eine schmähliche Niederlage. Friedrich V., der »Winterkönig«, floh aus dem Land, wurde mit der Reichsacht belegt und lebte fortan im niederländischen Exil.
Die Niederlage traf Böhmen schwer. Die Besitzungen des protestantischen böhmischen Adels wurden konfisziert und Parteigängern des Kaisers übergeben, die Anführer des Aufstands hingerichtet und die Anhänger evangelischer Bekenntnisse zur Emigration gezwungen. Mit der »Verneuerten Landesordnung« vom 10. Mai 1627 banden die Habsburger Böhmen enger an die Monarchie und befestigten ihr Regiment.
Doch die Konflikte waren damit nicht aus der Welt geschaffen. Die führenden europäischen Mächte verfolgten das Geschehen besorgt, weil ihnen in Gestalt der Habsburger ein Konkurrent im Kampf um die Vorherrschaft in Europa entgegentrat. In dem sich ausweitenden Krieg verwoben sich politische Rivalitäten zwischen dem Kaiser und den Reichsständen, Streitigkeiten der »Religionsparteien«, der Kampf Dänemarks und Schwedens um die Vorherrschaft im Ostseeraum, der Krieg zwischen Spanien und der Republik der Vereinigten Niederlande sowie die Auseinandersetzung zwischen Spanien und Frankreich. Der zunächst begrenzte Krieg weitete sich im Lauf der Jahre zum »europäischen Flächenbrand« aus, zum ersten europaweiten militärischen Konflikt, der dreizehn Kriege und mehrere territoriale Friedensschlüsse zur Folge hatte.
Von Böhmen verlagerte sich das Geschehen in die Oberpfalz, nach Franken und an den Rhein. Johann Tserclaes von Tilly, der Befehlshaber der Liga-Armee, und Albrecht von Wallenstein, der in kaiserliche Dienste getreten war, stießen in das nördliche Deutschland vor, sodass zu befürchten war, dass die katholischen Mächte sich in der protestantisch dominierten Region festsetzen könnten. Das motivierte 1625 den dänischen König Christian IV., in den Krieg einzutreten. Er wurde zwar von England, den Niederlanden und einigen Reichsständen unterstützt, doch die erhoffte große antihabsburgische Koalition kam nicht zustande. Mit der Landung der von König Gustav Adolf geführten schwedischen Truppen auf der Insel Usedom 1630 und deren Vordringen auf dem Festland bis nach Bayern wurde nur kurzzeitig eine Wende herbeigeführt. 1635 trat dann auch Frankreich in den Krieg ein.
Um die Kriegskosten zu decken, wurden im Reich minderwertige Münzen in Umlauf gebracht und inflationäre Tendenzen begünstigt. Dagegen entlud sich der Unwille der Bevölkerung. Die Münzmeister wurden als »Geld-, Land- und Leuteschinder« angeprangert und deren Häuser gestürmt. Bald waren Landesherren gezwungen, das Münzwesen neu zu ordnen. Die Beschaffung der Gelder für den Krieg erfolgte seitdem überwiegend durch Erhebung von Kontributionen, deren Eintreibung dem Militär oblag. Das zwang aber auch, möglichst weite Regionen besetzt zu halten und die Feldarmeen von wirtschaftlich erschöpften in ökonomisch potente Gebiete zu verlagern.
Natürlich waren die Territorien des Reichs in unterschiedlichem Maß vom Kriegsgeschehen betroffen, da die Schauplätze ständig wechselten. Wo die Truppen stationiert waren und Schlachten ausgetragen wurden, hatte die Bevölkerung am meisten zu leiden, während zur selben Zeit in anderen Gebieten das Leben normal verlief oder diese gar vom Krieg profitierten. Doch die drei großen Plagen - Krieg, Hunger und Seuchen - trafen die Bevölkerung im größeren Teil des Reichs. Bauern und Bürger kleiner Städte wehrten sich zwar gegen Belastungen und Bedrückungen, konnten ihre Situation aber nur kurzzeitig verbessern.
Die Sehnsucht nach Frieden nahm deshalb von Jahr zu Jahr zu. Der Dichter und Prediger Johann Rist klagte: »Ach müchten doch verrosten Pistolen/ Schwehrter/ Spieß’ und Stükke groß und klein!/ Ach mücht’ uns kein Gewehr hinfohrt mehr schädlich sein! O wolte Gott/ man solt’ aus den Mußqueten machen nur Pflüge/ Gabeln/ Beil und tausend andre Sachen/ Wodurch der Akkerbau wird treulich fortgesetzt/ Der nicht nur Reichthum bringt/ besondern auch ergetzt! O wollte Gott/ es möchten doch die Tauben Ir Eier brüten auß in lauter Pikkelhauben!«
Beeinflusst wurde die wachsende Friedensbereitschaft aber auch von Krisen in Spanien und der niederländischen Republik, dem Beginn der englischen Revolution, Aufständen in Neapel und Sizilien, Bauernerhebungen und Adelsfronden in Frankreich sowie der Erschöpfung der Ressourcen der kriegführenden Mächte. Obwohl zwischenzeitlich von einigen am Krieg beteiligten Fürsten Friedensschlüsse ausgehandelt worden waren, wurde auf dem Reichstag zu Regensburg 1641 erstmals generell über eine Beendigung des Krieges beraten. Aber es bedurfte noch einiger Jahre intensiver Verhandlungen, ehe unterzeichnungsreife Dokumente vorgelegt werden konnten. Am 15. Mai 1648 wurde in Münster der Krieg zwischen der spanischen Krone und der niederländischen Republik formell beendet, am 6. August eine vorläufige Friedensvereinbarung zwischen Schweden und dem Kaiser sowie am 24. Oktober in Münster ein Friedenvertrag zwischen Frankreich und dem Kaiser unterzeichnet. Der Konflikt zwischen Frankreich und Spanien wurde jedoch erst 1659 beendet. Das Zustandekommen von drei Friedensschlüssen bezeichnete ein beteiligter Diplomat, der venezianische Botschafter Contarini, immerhin als ein wahres Weltwunder.
Hans Heberle fasste in seinem »Zeytregister« treffend zusammen, was die Menschen bewegte: »In summa es so ein jämerlicher handel geweßen, das sich einem stein solt erbarmet haben, will geschweigen ein menschliches hertz. Dan wir seyen gejagt worden wie das gewildt in wälden. Einer ist ertapt und ubel geschlagen, der ander gehauen, gestochen, der drit ist gar erschoßen worden, einem sein stückhle brot und kleider abgezogen und genomen worden. Darumb wir Gott nit könen genug loben und preißen für den edle frieden, den wir erlebt haben.«
Prof. Dr. Günter Vogler lehrte vier Jahrzehnte an der Humboldt-Universität zu Berlin Geschichte der frühen Neuzeit; jüngste Buchpublikation mit Siegfried Bräuer: »Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt« (Gütersloher Verlagshaus, 542 S., geb., 58 €).
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