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- Linkspartei in Leipzig
Zwei Tage Klartext
Auf dem Leipziger Parteitag wurden die Widersprüche in der LINKEN offen ausgetragen
Zwei Tage lang saß Sahra Wagenknecht als Zuhörerin im Saal und musste sich Kritik anhören. Zwei Tage lang erlebte sie, dass sich Teilnehmer des Leipziger Parteitags über Auseinandersetzungen echauffierten, an denen Wagenknecht maßgeblich beteiligt ist. Nur selten trat jemand ans Mikrofon, um ihr beizuspringen.
Allen Rednern war offenbar klar, dass hier Klartext gesprochen werden musste. Zuletzt war es hoch hergegangen in der LINKEN. Wagenknecht und Oskar Lafontaine hatten immer wieder die Parteiprogramm-Forderung nach offenen Grenzen für alle attackiert. Die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger, zuletzt auch Gregor Gysi kritisierten Wagenknecht regelmäßig, nicht zuletzt wegen ihrer Hinweise darauf, dass die große Zahl an Flüchtlingen die soziale Lage in Deutschland verschärfe.
Was in den Monaten vor dem Parteitag stattgefunden hatte, setzte sich in Leipzig fort: ein Tauziehen zwischen den Machtzentren der Partei - Vorstand hier, Bundestagsfraktion da. In dieser Auseinandersetzung geht es nicht nur um die politische Standortbestimmung, sondern auch, wie es der Fraktionschef Dietmar Bartsch formulierte, um bigotte, ideologisch maskierte Machtkämpfe.
Insofern waren die Auftritte der ersten Reihe auf diesem Parteitag mehr als die üblichen Statements zur Lage. Hier ging es nicht nur um Beiträge zur Debatte, sondern auch um die Meinungsführerschaft in der Linkspartei. Und darum, sich in einer vielköpfigen Leitungsstruktur zu behaupten.
Da war Katja Kipping, der einerseits vorgehalten wird, sie setzte einseitig auf die jungen Metropolenakademiker, die andererseits immer wieder mit Infotischen vor Jobcentern steht und sich um die Sorgen von Arbeitslosen kümmert. Niemand in der Linkspartei müsse sich »für oder gegen eine Seite entscheiden«, erklärte Kipping. »Wenn ich mir unsere jungen Neumitglieder anschaue, dann erlebe ich Leute, die in wunderbarer Selbstverständlichkeit Flüchtlingssolidarität und Einsatz für Soziales zusammendenken.«
Da war Bernd Riexinger, der über Rüstungsausgabe, Pflegekrise, Lehrermangel, über Leiharbeit und befristete Jobs sprach. »Wir sind die Partei der neuen Solidarität in der Arbeitswelt«, sagte Riexinger. »Wenn die Rechten und Neoliberalen uns gegeneinander ausspielen wollen, wenn sie nach unten treten, wenn Schuldige gesucht werden, statt sich nach oben zu wenden, dann sagen wir: Alle oder keiner!«
Da war Dietmar Bartsch, der Fraktionsvorsitzende, der zumindest nach außen hin etwas außerhalb der zugespitzten Auseinandersetzung um Flucht- und Migrationsfragen steht. Er forderte, das Mobbing in der Partei zu beenden. Damit müsse Schluss sein, »denn das ist ein zerstörerisches Gift für eine linke Partei«. Bartsch forderte auch eine neue programmatische Debatte, allein schon wegen der Herausforderungen, die aus der Digitalisierung erwachsen. Damit griff er einen gescheiterten Antrag des Forums Demokratischer Sozialismus auf, der außerdem mit der spürbaren Verjüngung der Partei und mit den politischen Veränderungen seit 2011 argumentiert hatte - aus diesem Jahr stammt das jetzt gültige Programm. Der LINKEN wird über kurz oder lang nichts anderes übrig bleiben, als zu prüfen, ob ihre Grundsätze noch zeitgemäß sind.
Und schließlich Gregor Gysi. Nachdenklich, nahezu pointenfrei. Man spürte, wie nahe ihm der Streit um Flucht und Migration geht, der ja auch ein Streit um die Zukunft der Linken ist. Gysi ist Präsident der Europäischen Linken; er weiß, in welch fataler Situation Linke in anderen Staaten des Kontinents sind und wie die Rechte in sicher geglaubte linke Milieus vordringt. Gysi sprach lange über den Internationalismus; die Linke könne auf soziale Fragen nur internationalistische Antworten geben.
Zwischendurch immer wieder Appelle zur Geschlossenheit, der Hinweis auf die einen großen Vorrat an Gemeinsamkeiten und einen kleinen Teil an Differenzen. Allein die Körpersprache sagte etwas anderes. Eine mit Händen zu greifende Distanz und Kühle zwischen Kipping und Riexinger einerseits, Wagenknecht andererseits. Pflichtgemäßer Beifall, demonstrative Beschäftigung mit dem Handy. Als Kipping und Riexinger gewählt wurden, war Wagenknecht abwesend. Auch ein Statement.
Das alles geschah, bevor Sahra Wagenknecht am Sonntagmittag sprach. Es war von ihr wohl als eine Art Schlusswort gedacht. Wagenknecht sprach lange über das Verbindende: den Kampf gegen die AfD, Rüstungswahnsinn, die Heuchelei im Umgang mit Russland. Doch dann, als sie kurz die von ihr geplante Sammlungsbewegung erwähnte, als sie auf die Differenzen in Sachen Arbeitsmigration einging, brodelte der Saal. Euphorischer Jubel hier, Schweigen da, Buhrufe dort. Eine junge Frau sagt irgendwann an diesem Wochenende, sie sei nicht vor einem Jahr in die Partei eingetreten, um zuzusehen, »wie der Laden gegen die Wand fährt«.
Für einen Moment bekam der Leipziger Parteitag einen Hauch von Popkonzert. Delegierte sprangen auf, zückten eilends ihre Smartphones und schossen Fotos, um einen bemerkenswerten Moment festzuhalten. Katja Kipping, Sahra Wagenknecht, Bernd Riexinger und Dietmar Bartsch betraten gemeinsam die Bühne, um einen Dringlichkeitsantrag für das Festhalten am Atomvertrag mit Iran vorzustellen. Donnernder Beifall. Immerhin, der Weltfrieden vermag die Widerstreitenden zusammenzuführen.
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