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- Wassermangel in Israel
Wenn Bauern auf dem Trockenen sitzen
Wassermangel bedroht die Landwirtschaft nicht nur im Mittelmeerraum. Agrarwissenschaftler und Ingenieure arbeiten an Lösungen
In Israel lassen sich Klimazonen vom Mittelmeerklima bis hin zu extremem Wüstenklima antreffen - Landwirtschaft wird in allen von ihnen betrieben. Dabei ist Wasser im Nahen Osten ein chronisch knappes Gut. Auch in Israel sind die natürlichen Wasserressourcen übernutzt, die zudem von mehreren Anrainern geteilt werden. Der rund ums Mittelmeer gängige Wasserraubbau für den Export in die nördlicheren Teile der EU bedroht hier nicht nur die ökologische und ökonomische Zukunft vor Ort: Er birgt zugleich die reale Gefahr bewaffneter Auseinandersetzungen in der Region in sich.
Auch in Israel werden wasserintensive Agrarprodukte angebaut. Die Landwirte haben sich an die Bedingungen vor Ort angepasst: Während die Politik mit umstrittenen Mitteln für den Wasserzugang sorgt, kümmern sie sich um die Optimierung ihrer Produktion. Stellvertretend hierfür darf die Mango stehen. In den 1970er Jahren tauchte der Exot in der israelischen Landwirtschaft auf. Heute wird er unter anderem am See Genezareth, im Jordantal oder in der Aravasenke angebaut. Die eigentlich aus dem tropischen Regenwald stammende Steinfrucht erzielt hier die weltweit höchsten Hektarerträge. Im nördlichsten kommerziellen Mango-Anbaugebiet der Welt ernten die Landwirte auf vergleichbaren Flächen bis zu viermal mehr als die Mangobauern in den anderen Anbauzentren der Welt. 40 Prozent der in Israel angebauten Sorten wurden auch hier gezüchtet. Mittels sogenannter Fertigation werden den Mangobäumen im Substratanbau auf keimfreiem, isoliertem Nährboden bei der Bewässerung gleich die nötigen Nährstoffe mitgegeben. Die Hälfte der Ernte von 40 000 Tonnen geht in den Export, vor allem nach Europa - in Israel ist man stolz darauf, die Frucht im Premium-Segment des Marktes etabliert zu haben. Die Produktionszahlen klingen im Vergleich zur jährlichen Weltproduktion von 40 Millionen Tonnen und den Resultaten der globalen Top-Produzenten bescheiden. Doch deren Erzeugnisse sind oftmals vor allem für den Binnenmarkt bestimmt, während die Israelis ihre Früchte überwiegend exportieren.
Die Landwirtschaft ist mit 58 Prozent der größte Wasserverbraucher Israels, gefolgt von den Haushalten des Landes (35 Prozent) und der Industrie (sieben Prozent). Israels Wasserverbrauch schlug 2013 mit 2187 Millionen Kubikmetern zu Buche. Er liegt damit um 45 Prozent über dem natürlichen Wasserangebot vor Ort, Grundwasservorräte werden erschöpft, das Tote Meer schrumpft. Daneben liefert Israel im Rahmen bilateraler Verträge Wasser nach Jordanien, ins Westjordanland und in den Gazastreifen, doch nicht immer die vereinbarte Menge. Außerdem wird Wasser in die Renaturierung natürlicher Vorkommen gespeist.
In Israel setzt man auf moderne Bewässerungstechnologien. Und obwohl diese mit einem Bruchteil des Wasserbedarfs herkömmlicher Bewässerungsanlagen auskommen, wird der angebauten Früchte wegen immer noch viel Wasser benötigt.
Israels Agrarsektor hat sich in ein industrielles Exportunternehmen verwandelt, das auf Ausfuhren nach Europa spezialisiert ist. Die bestehen vor allem aus oftmals wasserintensiven Produkten: Früchten (Orangen, Mango, Avocado, Weintrauben), Gemüse (Paprika, Tomaten, Kartoffeln, Melonen, Süßkartoffeln), Schnittblumen und Kräutern. Außerdem gibt es Platz für Nischen. Die Bewässerung mit Salzwasser hat beispielsweise im Süden des Landes die in Salaten verwendete Salzwiesenpflanze Queller zum Exportschlager gemacht. Das Gesamtvolumen der EU-Importe israelischer Agrarerzeugnisse betrug 2016 rund eine Milliarde Euro - gut die Hälfte der israelischen Gesamtausfuhren in dieser Sparte.
Gleich westlich von Be’er Sheva liegt der Kibbuz Chazerim. Hier, mitten in der Wüste Negev, befindet sich die Heimstätte eines der weltgrößten Herstellers künstlicher Bewässerungssysteme: Netafim. Chazerim war einer der ersten Kibbuzim, dessen Bewohner nach anderen Einkunftsquellen neben der traditionellen Landwirtschaft suchten. 1965 gründeten sie Netafim. Seitdem wird hier ein Sortiment an präzisen Wasserdosiereinrichtungen wie Mikrosprenger (Mikroemitter) entwickelt und hergestellt, aber auch Erntemanagement-Technologien wie Kontroll- und Überwachungssysteme und die dazugehörige Software. Mit dieser vollständigen Abdeckung der Sparte erzielte das Unternehmen 2015 ein Jahresumsatz von 822 Millionen US-Dollar.
Das ausgerechnet hier technologische Lösungen rund um Bewässerungsprobleme erdacht werden, ist kein Zufall. Netafim ist untrennbar mit dem Namen des Wasseringenieurs Simcha Blass verbunden. 1946 hatte der die erste Wasserpipeline in die Negev-Wüste geplant. Die Röhren dazu stammten aus London - sie dienten im Zweiten Weltkrieg zum Feuerlöschen nach deutschen Bombenangriffen. Später revolutionierten Blass und sein Sohn Yeshayahu die Tröpfchenbewässerung. Das erste auf Blass’ neuen Plastikemittern beruhende Bewässerungssystem wurde 1959 vorgestellt. Später tat er sich mit dem Kibbuz Chazerim zusammen, Netafim patentierte in der Folge den ersten praktischen Emitter für die Tröpfchenbewässerung.
Netafim ist nur eins der mehr als 160 Technologieunternehmen des israelischen Wassersektors, bei deren Arbeit sich alles um Wassereffizienz dreht. Der Weltmarkt für Trinkwasseraufbereitung und Abwasserbehandlung verheißt gute Geschäfte: 450 Milliarden US-Dollar bei jährlichen Wachstumsraten um sieben bis acht Prozent. Israel ist da gut positioniert: Weltweit stammen schon mehr als 50 Prozent der zur Tröpfchenbewässerung eingesetzten Technik aus Israel.
Eine andere Schlüsseltechnologie ist die Meerwasserentsalzung, die seit ein paar Jahren massiv ausgebaut wird. Eins der wichtigsten Unternehmen ist IDE Technologies. Neben den Meerwasserentsalzungsanlagen an der israelischen Mittelmeerküste hat der Marktführer bei großen Anlagen bereits rund 400 Anlagen in 40 Ländern gebaut, unter anderem Chinas größte Anlage in Tianjin. Desalitech wiederum will die Umkehrosmose-Entsalzung mit ihrer patentierten Kreislauftechnologie voranbringen, mit der sich anfallende Abwassermengen ebenso wie der Energiebedarf deutlich reduzieren lassen sollen.
Um die Landwirtschaft leistungsfähig zu halten, unterhält Israel eigens spezielle Forschungszentren. Zum Beispiel in Beit Dagan, unweit von Tel Aviv, wo sich der Sitz der Agricultural Research Organization (ARO) befindet, die auch als Volcani Agriculture Institute bekannt ist. Ein bedeutender Teil der Arbeit am Institut betrifft die Pflanzenzucht. Hier werden Kontakte zu den Saatgut-Unternehmen gepflegt, die in Israel eine lange Tradition haben. Als einer der ersten großen Zuchterfolge galt die 1936 eingeführte Beit-Alpha-Gurke. Oder die in den 1950er Jahren kommerziell etablierten Ha’Ogen-und Ananas-Yoqne’am-Melonen. Weitere Produkte sorgen regelmäßig für Schlagzeilen: zum Beispiel die vom Saatgutunternehmen Zeraim Gedera Syngenta kreierte Cannon, eine Paprikasorte, die im Wüstenklima der Aravasenke gedeihen kann. Oder Black Galaxy, eine von Seeds Technology entwickelte schwarze Tomate, bei der aus Heidelbeeren gewonnene Anthocyanin-Farbstoffe für die Schwarzfärbung der Außenhaut sorgen.
Am Institut werden auch Werkzeuge auf molekularer und auf Genombasis entwickelt, die die Zuchtprogramme verbessern sollen. In Israel ist die Entwicklung genetisch modifizierter Organismen (GMO) zu Forschungszwecken gestattet, jedoch nicht deren Kommerzialisierung in der heimischen Landwirtschaft. Allerdings dürfen GMO in Israel eingeführt und in der Nahrungsmittel- und Arzneimittelproduktion verwendet werden.
Das Volcani Agriculture Institute wird auch mit Fördergeldern aus den USA und der Europäischen Union finanziert. Kern fast aller heute am Institut ansässigen Forschungsschwerpunkte ist die allgegenwärtige Wasserknappheit: Landwirtschaft im ariden Klima auf kargen Böden, Bewässerung mit recyceltem Wasser und Brackwasser, Süßwasser-Aquakultur, Tier- und Pflanzenzucht mit dem Ziel, besser an widrige Umweltbedingungen angepasste Organismen zu schaffen. Ein Verdienst der Forschung: Heute stammt mehr als die Hälfte des in der Landwirtschaft genutzten Wassers aus Recyclinganlagen.
Das Institut ist weltweit bekannt für seine Arbeiten zur Nahrungsmittelsicherheit unter ariden, semiariden und Wüstenbedingungen. 2015 wurde eigens dafür das Gilat Center for Arid and Semi-Arid Agricultural Research eröffnet. Hier, unmittelbar in der Negev-Wüste, werden Lösungen zur Bewältigung sich global bemerkbar machender Krisen gesucht: Klimawandel, Wasserverfügbarkeit- und Qualität, Desertifikation, Bodenverschlechterung. In einer Genbank werden außerdem heimische Pflanzen gesammelt und bewahrt.
Ein weiteres Ziel ist die Entwicklung einer Präzisionslandwirtschaft, die sich moderner Technologien bedient: Um etwa den Bewässerungszustand der Anbauflächen zu kartieren, kommt die Thermografie zum Einsatz. Wärmebildkameras erfassen den jeweils vorliegenden aktuellen Wassergehalt der Pflanzen, der sich dem bloßen Auge entzieht. Der Einsatz von Netzgeweben verschiedener Farben zum Überspannen von Anbauflächen gestattet des weiteren eine verbesserte Wachstumskontrolle.
Die Israelis haben technologische Spitzenlösungen als Zukunftsträger ihrer Landwirtschaft identifiziert und agieren dementsprechend. Seit Mitte der 2000er Jahre fließen 17 Prozent der staatlichen Haushaltsmittel für die Landwirtschaft in die Forschung. So soll letztendlich auch die ganzjährige Binnenversorgung mit frischen Produkten sichergestellt werden, zu vernünftigen Preisen. Denn die Entwicklung der Lebenshaltungskosten in den vergangenen Jahren wird in der israelischen Gesellschaft zunehmend als Trend mit dem Zeug zum sozialen Sprengstoff verstanden.
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