• Berlin
  • Protest gegen Strafanzeigen

Mietaktivisten besuchen »Stadt und Land«

Gruppe #besetzen fordert Rücknahme von Strafanzeigen vom Pfingstwochenende

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Bunte Gasluftballons hängen in der Luft. Die Zettel, die an ihnen befestigt sind, sind so schwer, dass die Ballons gerade so über dem Boden schweben. »Besetzen«, steht auf ihnen, und »Berlinopoly«. Rund 15 Mietaktivisten der Gruppe #besetzen haben sie am Dienstagvormittag mit in den Eingangsbereich der Zentrale der Berliner Wohnbaugesellschaft »Stadt und Land« gebracht. Sie sind hier, weil sie Geschäftsführer Ingo Malter auffordern wollen, die 56 Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs vom Pfingstwochenende aufzuheben. Die Gruppe hatte am 20. Mai mehrere Häuser in Berlin besetzt, darunter eines der Bornsdorfer Straße in Neukölln, das der »Stadt und Land« gehört.

Aktivistin Kim Schmittz wendet sich an das Empfangspersonal. Sie bittet darum, den Geschäftsführer aufsuchen zu dürfen. »Sie brauchen keine Angst zu haben, wir wollen nur reden«, wiederholt sie mehrfach. Das Personal bleibt unbeeindruckt. Malter sei nicht im Haus, heißt es, man werde das Anliegen aber weitergeben. Tatsächlich taucht nach wenigen Minuten Anne Keilholz auf, Co-Geschäftsführerin der »Stadt und Land«. Begleitet wird sie von Pressesprecher Frank Hadamczik.

»Wir machen es kurz«, sagt einer der Aktivisten, »wir wollen nur, dass Sie die Strafanzeigen zurücknehmen«. Keilholz wehrt ab. »Herr Malter hat dazu alles gesagt, ich vertrete die gleiche Meinung wie er.« Der Geschäftsführer hatte am 20. Mai Strafanzeigen gegen die Besetzer gestellt. Diese waren Voraussetzung für die spätere Räumung des Hauses durch die Polizei gewesen. Bereits am Pfingstsonntag hatte sich gezeigt, dass bei »Stadt und Land« und den Aktivisten verschiedene Rechtsauffassungen vorlagen, ob sich der Geschäftsführer strafbar mache, wenn er nicht räumen ließe: Malter meinte, da das Haus baufällig sei, könne er strafrechtlich belangt werden, wenn den Besetzern etwas passiere. Die Aktivisten und ihre Rechtsbeistände sahen das anders: Da sie sich freiwillig dort aufhielten, trage Malter keine Verantwortung für sie. Der blieb bei seiner Auffassung, stellte die 56 Strafanzeigen und ließ schließlich nach mehreren Stunden Verhandlung das Haus räumen. Die Aktivisten kritisierten, dass die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Sie wollten das Haus instand besetzen, ein soziales Zentrum daraus machen und in den oberen Stockwerken Wohnungen einrichten: für Studierende, Geflüchtete und Obdachlose.

Zwei Monate später im Foyer der »Stadt und Land« liest einer der Aktivisten schließlich eine Erklärung vor, in der sie die Kritik noch einmal wiederholen. Die Räumung habe »für einige Menschen im Krankenhaus geendet«, heißt es darin unter anderem. Dafür sei Malter verantwortlich. Die Polizei habe Menschen »beschimpft, bedroht, teils bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen, Treppen hinunter geschleift und getreten«. Die Aktivisten kritisieren in der Erklärung vor allem, dass die »Stadt und Land« das Haus mehrere Jahre habe leerstehen lassen.

Auch das kommentiert Co-Geschäftsführerin Keilholz wie bereits am Tag der Besetzung ihr Kollege Malter: Der besetzte Seitenflügel sei kein reguläres Wohnhaus gewesen, sondern ein Schwesternwohnheim, aufgrund ungeklärter Statik sei es nicht nutzbar gewesen. Die »Stadt und Land« habe das Haus bereits leer übernommen. Über dem ehemaligen Schwesternwohnheim war 2001 ein Kleinflugzeug abgestürzt. Bevor das Haus wieder bewohnbar sei, müsse die Statik überprüft werden. Warum das bisher nicht geschehen ist, hatte Malter an Pfingsten damit erklärt, andere Projekte der Wohnbaugesellschaft hätten Priorität. Nun sollen die Bauarbeiten im Herbst beginnen, erklärt Keilholz. Das sei schon vor der Besetzung geplant gewesen.

Die Aktivisten lassen sich noch nicht abwimmeln. Sie kritisieren die »Stadt und Land« für die hohe Zahl an Zwangsräumungen. »Mit dieser Linie werden sie nicht mehr lange durchkommen«, prophezeit einer der Aktivisten, der seinen Namen nicht nennen will. Nach einer weiteren Aufforderung, die Strafanzeigen fallenzulassen, sagt Keilholz: »Wir werden die Strafanzeigen nicht zurücknehmen«. Sie seien zu Recht gestellt worden.

Schließlich überreichen die Aktivisten Keilholz ihre Erklärung und ziehen sich zurück. Sprecherin Kim Schmittz sagt später dem »nd«: »Mit dem Ergebnis heute sind wir natürlich nicht zufrieden.« Aus ihrer Sicht hat sich die »Stadt und Land« allerdings durch Keilholz' Aussage »demaskiert«, dass die Strafanzeigen zu Recht gestellt worden seien. »'Die Stadt und Land' ist Feindin einer solidarischen Stadt.« Die Gruppe werde auf jeden Fall weiter kämpfen.

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