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Antifaschisten rufen bewusst nicht den Staat an

Zuzulassen, dass Faschisten sich massenhaft versammeln, ist auch das Ende des Kampfes für Gerechtigkeit, meint die US-Journalistin Natasha Lennard

  • Natasha Lennard, New York City
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist verlockend, sich auf die Seite der Behörden in Charlottesville zu schlagen und dem Alt-Right-Aktivisten Jason Kessler auch in Washington DC eine Demonstration wegen »Sicherheitsbedenken« zu verbieten. Die tödliche Gewalt auf der »Unite The Right«-Demonstration im vergangenen Jahr - die Kessler dreist linken Gegendemonstranten wie Heather Heyer anlastete -, sollte lokale Behörden im ganzen Land beunruhigen.

Doch anders als in Charlottesville ist das offene Tragen von Waffen in DC verboten. Dass die Polizei 400 Neonazis nicht beschützen kann, ist unglaubwürdig. Deswegen: Auch wenn eine große Versammlung militanter Rassisten für schwarze Menschen grundsätzlich immer eine Bedrohung ist, können die Behörden in Washington Kesslers Demonstration nicht unter Verweis auf Sicherheitsbedenken verbieten und sie werden es auch nicht tun.

Denn Kessler und weiße Rassisten haben ein in der Verfassung festgelegtes Recht, Hass zu verbreiten. Die Regierung hat seit Jahrzehnten mit Feuereifer die Meinungsfreiheit weißer Nationalisten verteidigt. 1969 urteilte der Oberste Gerichtshof zugunsten von Mitgliedern des Ku-Klux-Klans, die offen zu »Rache an Juden und Schwarzen« aufriefen. 1977 erlaubte der Supreme Court einer Neonazi-Gruppe einen Aufmarsch durch die jüdische Community in Skokie im US-Bundesstaat Illinois. Ein konservativer Oberster Gerichtshof, der in der Ära Trump von John Roberts geleitet wird, wird nicht plötzlich eine jahrzehntelange Rechtsprechung der Meinungsfreiheit für Faschisten umwerfen. Und die Zensur bestimmter Teile von hate speech kann den ansteigenden Nationalismus nicht stoppen. In Deutschland etwa sind Nazisymbole, der Hitlergruß und Holocaustleugnung verboten. Doch die Rassisten von Pegida, die Rechtsaußen-Politiker der AfD und explizite Neonazis marschieren regelmäßig auf, sitzen im Parlament und benutzen Codes für verbotene Symbole.

Ein weit verbreitetes Missverständnis gegenüber militantem Antifaschismus ist, dass dieser Zensur befürworte und weißen Nationalisten ihre Meinungsfreiheit nach dem ersten Verfassungszusatz absprechen wolle. Dieses Missverständnis nährt die aktuellen Mythen der radikalen Rechten über vermeintlich bedrohte Rechte von Weißen. Die meisten Antifaschisten - mich eingeschlossen -, die Faschisten keine Plattform geben wollen, rufen bewusst nicht Gerichte oder Staat an, gerade unter dieser rassistischen Regierung, um Rassistenaufmärsche zu verbieten. Antifaschistische Aktivisten haben kein Interesse daran, die zensorische Aufsicht des Staates zu stärken.

Auch wenn Kesslers Demonstration wegen der Assoziationen mit tödlicher Gewalt, die jetzt mit dem Label »Unite The Right« verbunden sind, und wegen interner Machtkämpfe nicht groß werden wird, sollte es eine große und entschlossene antifaschistische Gegendemonstration vor dem Weißen Haus geben. Die braucht es auch wegen der rassistischen Regierungspolitik und der verbreiteten Nachsicht gegenüber rechter Gewalt.

Dieselben Kommentatoren, die sich eher über Antifaschisten aufregen als über Faschisten, wollen auch, dass Trumps Pressesprecherin Sarah Huckabee Sanders »zivilisiert« in Restaurants bedient wird - nachdem sie zuvor die Käfighaltung von Einwandererkindern in Camps verteidigt hatte (Sanders war vor einem Monat in Virginia aus einem Restaurant verwiesen worden). Diese Kommentatoren meinte Martin Luther King, als er in seinen »Briefen aus dem Gefängnis in Birmingham« über »weiße Moderate« schrieb, denen »die ›Ordnung‹ wichtiger ist als Gerechtigkeit«. Doch es kann kein Frieden geben ohne Gerechtigkeit. Als Antifaschisten zuzulassen, dass Faschisten sich massenhaft versammeln, wäre nicht nur ein Affront gegen die Erinnerung an Heyer - sondern auch das Ende des Kampfes für Gerechtigkeit.

Der Beitrag erschien zuerst bei »The Intercept« Übersetzung: Moritz Wichmann

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