Genies unter sich

Florian Henckel von Donnersmarcks Epos »Werk ohne Autor« hat einigen Schauwert, ist aber letztlich nur höherer Kitsch

  • Frank Schirrmeister
  • Lesedauer: 6 Min.

Der größte Regisseur Deutschlands (2,05 Meter Körperlänge), Florian Maria Georg Christian Graf Henckel von Donnersmarck, hat wieder gekreißt - nach der Premiere bei den Filmfestspielen in Venedig ist das Ergebnis nun auch in den hiesigen Kinos zu besichtigen. Lange hatte der Oscarpreisträger ein Geheimnis um sein neues Werk gemacht - offenbar geschicktes Kalkül, um die Spannung zu erhöhen. Ist dieser Film aber nun der Paukenschlag, mit dem sich Donnersmarck, um den es seit seinem Langfilmdebüt »Das Leben der Anderen« (2006) doch eher ruhig geworden war, zurückmeldet? Der Anspruch jedenfalls, ein solcher zu sein, ist in diesem dreistündigen Überwältigungsepos in jeder Einstellung spürbar. Zunächst die gute Nachricht: Langweilen werden Sie sich kaum. Das Budget für den Film war scheinbar grenzenlos, so dass sich Donnersmarck nach Herzenslust aus dem Besteckkasten des fortgeschrittenen Eventkinos bedienen und auf die erste Riege an Schauspielern zurückgreifen konnte. Ausstattung, Kulissen und Kostüme sind prächtig, die zeitgenössischen Straßenszenen und Filmsets sind aufwendig und machen jedem ambitionierten Historienfilm alle Ehre.

Durch drei Gesellschaftssysteme und einen Zeitraum von dreißig Jahren führt dieser filmische Entwicklungsroman um einen jungen Mann und dessen Künstlerwerdung. Pate für die Hauptfigur stand Gerhard Richter, der im heutigen überhitzten, nur noch als absurd zu bezeichnenden Kunstmarktgeschehen als der teuerste lebende Maler der Gegenwart gilt. »Werk ohne Autor« versucht zu erzählen, wie es dazu gekommen ist und welche Prägungen das Oeuvre des Künstlers bestimmten. Das Drehbuch holt dazu weit aus; zu Beginn besucht der fünfjährige Kurt Barnert, wie Richter im Film heißt, mit seiner Tante 1938 die Ausstellung »Entartete Kunst« in München und lauscht den kalt-gehässigen Tiraden des Führers durch die Ausstellung (großartig wie immer: Lars Eidinger), mit denen dieser die klassische Moderne in den Schmutz tritt. Der erwünschten Rezeption mag sich der Junge, beeinflusst von seiner freigeistigen Tante, jedoch so gar nicht anschließen; mit staunenden Augen betrachtet er die Werke der Verfemten. Als biografische Schlüsselmomente erzählt Donnersmarck im weiteren Verlauf die Verhaftung und den späteren Euthanasie-Tod der für geisteskrank erklärten Tante, die als allzu unabhängig im Denken und unfähig zur Anpassung geschildert wird. Von ihr stammt der imperative Zuruf »Nie wegsehen!« (so auch der englische Titel des Films), der den Maler zeitlebens begleiten wird. Unweit von Dresden lebend, sieht der 13-Jährige im Februar 1945 die Bomber über seinen Kopf hinweg dröhnen und wenig später den Feuerschein über der brennenden Stadt. Die Inszenierung dieser frühen Kriegserfahrungen und Kindheitsprägungen als Ausgangspunkt eines Künstlerlebens überzeugt durchaus in ihrer atmosphärischen Dichte und visuellen Umsetzung.

Nach einem zeitlichen Sprung befinden wir uns schließlich inmitten der fünfziger Jahre in der DDR, wo der erwachsene Kurt (Tom Schilling) sich als Student an der Dresdner Kunstakademie bemüht, irgendwie mit den doktrinären Zumutungen des Sozialistischen Realismus umzugehen, was ihm ganz gut gelingt, wie frühe Aufträge für monumentale Wandgemälde zeigen. Selbstverständlich bedient Donnersmarck bei der Schilderung der sozialistischen Verhältnisse den Topos der konservativen Geschichtsschreibung von der DDR als der »zweiten deutschen Diktatur« - das war bei jemandem mit seiner Sozialisation auch nicht anders zu erwarten. Im Gegensatz zu seinem Film »Das Leben der Anderen« gestattet er diesmal jedoch durchaus Zwischentöne und lässt unterschiedliche Schattierungen des Grau zu, die man in seinem Erstlingswerk schmerzlich vermisste. Während dieses sein Publikum eher spaltete und auch Ulrich Mühe nicht unbeschadet aus der Rolle des Stasioffiziers herauskam - zu grell propagandistisch und holzschnittartig war der Film -, ist in »Werk ohne Autor« an jeder Ecke der Willen zu spüren, diesmal alles richtig zu machen und den Zuschauer dort abzuholen, wo er steht.

Viel Zeit und Raum nimmt die Liebesgeschichte zwischen Ellie (Paula Beer) und Kurt ein. Spätestens jetzt wird offenkundig, wo Donnersmarck sein Handwerk gelernt hat. Alle Zutaten aus der Hollywood-Küche werden hier gefällig zusammengerührt. Die Inszenierung folgt den bekannten Rezepten; güldenes Licht umhüllt die beiden Liebenden in der wildromantischen Dachkammer, die Musik schwillt an, und die Kamera kann sich kaum sattsehen an den nackten Körpern der beiden Protagonisten, wobei Paula Beer eindeutig bevorzugt wird - als Genderaktivist ist Donnersmarck freilich noch nie hervorgetreten. Auch der laut hollywoodschem Drehbuchschema zwingend notwendige dunkle Gegenspieler Kurts tritt in Gestalt des Professor Seeband als omnipräsenter Schwiegervater bald auf den Plan. Selten hat man Sebastian Koch so finster dreinschauen sehen wie hier in seiner Rolle als ehemaliger NS-Euthanasie-Arzt, der durch die Protektion eines sowjetischen Offiziers den Wechsel in die neue Zeit problemlos überstanden hat. Mit viel Lust am Detail schwelgt die Kamera im großbürgerlichen Ambiente der Dresdner Villa des Arztes - Uwe Tellkamps »Der Turm« lässt grüßen. Der verwandtschaftliche Zufall des Aufeinandertreffens von Opfer und Täter ist denn auch der eigentliche Aufhänger der Erzählung und zieht sich leitmotivisch durch die Handlung. Dass die Figurenzeichnung stereotyp ist und keinem der Beteiligten eine wirkliche Entwicklung zugestanden wird, passt in das Muster der überaus platten Dramaturgie des Films.

Im Folgenden werden die einzelnen Entwicklungsstationen des Künstlers - der Weggang aus der DDR kurz vor dem Mauerbau, die Jahre des Suchens an der Düsseldorfer Kunstakademie, die erste Einzelausstellung in München 1964 - brav abgehakt und das Grundproblem solch linear erzählter biografischer Heldenerzählungen tritt zutage. Jede Lebensstation und jede Episode des Films sind zwangsläufig auf die Funktion reduziert, das spätere Heldentum des Protagonisten zu begründen und logisch nachvollziehbar zu machen. Die Wegbegleiter in den Nebenrollen haben deshalb so gut wie kein Eigenleben, sondern fungieren nurmehr als Stichwortgeber für das eigentliche Genie. Das ist auf Dauer ziemlich öde und vorhersehbar, zumal Gerhard Richters Biografie nun beileibe keine Unbekannte ist. Ausnahmen bestätigen die Regel; in diesem Fall ist es Oliver Masucci, der es schafft, der ambivalenten Figur des Künstlers Joseph Beuys eigene Facetten zu verleihen. Letztlich muss aber auch er der Affirmation des wahren Helden dienen. Diese Art Geniekult hat stets etwas Unangenehmes, zumal dahinter häufig der Verdacht steht, der Autor/Regisseur meine sich eigentlich selbst damit.

Die Idee, das Leben des heute 86-jährigen Richter filmisch zu verarbeiten, ist zweifellos respektabel und kommt zur rechten Zeit. Man weiß daher nicht so recht, was davon zu halten ist, wenn Donnersmarck in seinen Statements zum Film insistiert, das gar nicht getan, sondern die Geschichte des Films frei erfunden und lediglich einige wenige biografische Motive aus dem Leben Gerhard Richters verwendet zu haben. Es ist ja nachvollziehbar, dass der Regisseur, dem nicht gerade Bescheidenheit nachgesagt wird und der sich gerne als Geschichtslehrer der Nation geriert, auch als Autor ernstgenommen werden möchte, und vielleicht schien es ihm zu wenig eigene Leistung, lediglich einige Lebensstationen Richters nachzuerzählen. Aber genau das hat er getan - auf seine Weise und mit dem ihm eigenen schlichten Weltbild. Freilich dramaturgisch verdichtet und geglättet, und der Kitschfaktor ist vor allem in der sehr filmkompatibel ausgeschmückten Liebesgeschichte recht hoch, aber eine Filmbiografie ist es doch, auch wenn manche Details weggelassen, andere hinzuerfunden sein mögen. Um das festzustellen, genügt ein Abgleich der Filmhandlung mit Richters Wikipedia-Eintrag. Donnersmarck führt seine Behauptung, die Geschichte des Films sei rein fiktiv, außerdem selbst ad absurdum, wenn er sich gleichzeitig in Interviews damit brüstet, als einer der wenigen Zugang zu dem sehr zurückgezogen lebenden Maler gefunden und längere Zeit mit ihm verbracht zu haben, in welcher Richter ihn wärmstens seiner Zustimmung zur Verfilmung seines Lebens versichert habe. Genies unter sich, sozusagen.

»Werk ohne Autor«, Deutschland 2018. Regie / Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck. Darsteller: Tom Schilling, Paula Beer, Sebastian Koch, Hanno Kofler, Oliver Masucci. Kamera: Caleb Deschanel. 188 Min.

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