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Das Problem liegt in der Logik der kapitalistischen Globalisierung

Thomas Gebauer und Ilija Trojanow diskutieren Wege aus der globalen Krise

  • Gerhard Klas
  • Lesedauer: 4 Min.

Aus der Not lässt sich Kapital schlagen, auch aus der weltweiten Armut. Das ist nicht neu: Quacksalber, Kirchenfürsten oder Sektengründer sind schon länger in diesem Geschäft, meinen Thomas Gebauer und Ilija Trojanow. Die neuen Agenten dieser Branche, so die beiden Autoren, betreiben ihre schmutzigen Geschäfte im Feld der Entwicklungshilfe. Ein Vorwurf, der schwer wiegt.

Thomas Gebauer/Ilija Trojanow: Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise.
Fischer, 260 S., br., 15 €.

Thomas Gebauer arbeitet selbst seit den 1980er Jahren für die Hilfsorganisation »medico international« in Frankfurt und ist seit 1996 deren Geschäftsführer, Ilija Trojanow ist ein vielfach ausgezeichneter Schriftsteller, der zahlreiche Länder des globalen Südens »von unten« kennengelernt hat, also nicht aus der Vogelperspektive klimatisierter Büros und fünf-Sterne Hotels wie viele der sogenannten Entwicklungsexperten. In ihrem Buch »Hilfe? Hilfe!« gehen sie hart ins Gericht mit der internationalen Politik und der sogenannten Entwicklungshilfe, mit deren Hilfe Profite aus der weltweiten Armut gezogen werden.

Belege für ihre These bleiben die Autoren nicht schuldig, ob in der Mikrofinanz, Textilproduktion, im Gesundheitswesen, bei industriellen Großprojekten und der Agrarproduktion. Der Preis, den die Armen für die Profite zahlen müssen, heißt Verschuldung, Diskriminierung, Vertreibung, Elend und Krieg.

Für Gebauer und Trojanow sind die Akteure dieser Politik - staatliche und supranationale Institutionen, Konzernvorstände und Philanthropen wie Gates und Rockefeller - keine Einzeltäter. Das Problem liege vor allem in der Struktur und der Logik der kapitalistischen Globalisierung begründet.

Als Prämisse für jede Art von Entwicklung wird nach wie vor das Wirtschaftswachstum angesehen, auch bei den Social Development Goals, den sogenannten Nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen, die heute Maßstab in der Entwicklungspolitik sind. Privatisierung und Liberalisierung von Märkten scheinen so kompatibel zu sein mit der Armutsbekämpfung, ja sogar deren Voraussetzung, wie die Rockefeller und die Gates-Stiftung behaupten.

Unter anderem am Beispiel des Marktes für Sozialanleihen (dazu gehören Altenpflege, Gesundheit und Bildung) erläutern die Autoren die Fallstricke dieser Politik. Es handelt sich um einen Markt, dessen Potenzial bei konsequenter Privatisierung auf eine Billion Dollar geschätzt wird - ein El Dorado für Investoren. Mit einem dieser Sozialfonds etwa, aufgelegt vom Internationalen Roten Kreuz, sollen in Nigeria, im Kongo und in Mali Prothese-Zentren für Kriegsversehrte und Unfallopfer eingerichtet werden. Für Investoren soll es bis zu sieben Prozent Rendite geben. Rüstungskonzerne können, so die Autoren, demnächst gleich zweifach verdienen: das erste Mal beim Verkauf von Kriegswaffen und dann noch einmal bei der Versorgung der Kriegsopfer, Letzteres hochsubventioniert aus Steuermitteln.

Besonders lesenswert ist das Kapitel über »fatale Strategien«, denn hier geißeln die Autoren die Entpolitisierung politischen Handelns, das sich dem Diktat des Wirtschaftswachstums unterworfen hat und wie im eben genannten Beispiel nur technokratische Mittel gegen die Symptome anbietet, nicht aber an den Ursachen der vielfältigen Krisen in der Welt arbeitet. Die Entwicklungspolitik hat dafür längst einen Namen gefunden: Resilienz. Dieser Ansatz wolle keine andere, bessere Gesellschaft mehr, sondern nur noch Menschen und Systeme an den voranschreitenden Zerstörungsprozess anpassen.

Das Buch ist alles andere als eine trockene Lektüre, die Autoren haben viele Länder der Welt bereist und bieten einen tiefen Einblick, der die rhetorischen Kulissen der Branche zusammenfallen lässt wie ein Kartenhaus: Schon der Einstieg über eine Wohltätigkeitsgala im pakistanischen Karachi, bei der sich die westliche und nationale Elite feiert, Naivität und blanker Zynismus vorherrschen und reichlich Alkohol fließt, ist eine spannend geschriebene, essayistische Politreportage mit Blick für’s Detail. Die Handschrift Trojanows und sein literarisches Können sind nicht zu überlesen, wenn er den unpolitischen Pragmatismus heutiger Helferinnen und Helfer mit spitzer Feder anprangert.

Trojanow und Gebauer skizzieren auch Elemente einer globalen Alternative und beschreiben Ansätze von Selbstorganisation und mutigen, inspirierenden Initiativen, die es in vielen Ländern gibt - auch hierzulande. Öffentliche und staatliche Institutionen sollen dabei allerdings nicht aus der Pflicht gelassen werden. Deren entschiedene Neuausrichtung an den Bedürfnissen und Rechtsansprüchen aller Menschen sei nötig. Voraussetzung dafür wäre eine radikale Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Ein menschenwürdiges Leben, so die Autoren, darf nicht ein Akt der Gnade von Stiftungsprivatiers wie Rockefeller und Gates, sondern soll ein verbrieftes Recht für alle sein.

Auf dem Weg dahin sei auch Erzählkunst gefragt, meinen die Autoren: Dem neoliberalen Narrativ von der Konkurrenz und vom bedingungslosem Wirtschaftswachstum müsse eine Erzählung der Kooperation und Solidarität entgegengesetzt werden. Ein »Nun aber anders« soll »erzählt werden, möglichst häufig, möglichst klar, als packendes, berührendes und überzeugendes Narrativ«. Das ist ihnen mit diese Buch gelungen.

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