- Berlin
- Housing First
Erst die Wohnung, dann die Hilfe
Berlin startet neues Modellprojekt »Housing First« für 70 bis 80 Menschen in drei Jahren
Klein soll das Projekt starten, mit zehn Menschen im ersten halben Jahr. Das liegt weder am fehlenden Willen noch am fehlenden Geld oder einem Mangel an Personal - sondern an der Schwierigkeit, Vermieter zu finden, die sich beteiligen wollen.
Worum es geht? Das Modellprojekt »Housing First« soll nun erstmals in Berlin starten. Genau genommen sind es zwei Teilprojekte: Etwa 30 wohnungslose Frauen sollen in den kommenden drei Jahren über den Sozialdienst katholischer Frauen in Wohnungen vermittelt werden, etwa 40 Männer und Frauen über eine Kooperation der Stadtmission mit dem Sozialdienst Neue Chance.
»Pathways to Housing« - Wege zum Wohnen - hieß das Projekt aus den frühen 90er Jahren in New York, das sich zunächst an Menschen mit psychischen Problemen wandte, die auf der Straße lebten. In den USA wurden mit der Zeit immer mehr Nutzergruppen mit eingeschlossen: Menschen, die über lange Zeit in Obdachlosenheimen lebten, dann auch Menschen, die nach Krankenhausaufenthalten von Wohnungslosigkeit betroffen waren. Heute können zum Teil auch Familien davon profitieren.
In Europa wird ...
Der Ansatz »Housing First« wurde bereits in den 90er Jahren in den USA entwickelt. Anschließend verbreitete er sich zaghaft in Europa. In Deutschland gibt es erst seit Kurzem entsprechende Projekte, zum Beispiel in Köln. Bei der Neuen Chance in Berlin wurde das Thema seit 2012 diskutiert und in verschiedenen Konzepten auch dem Senat vorgestellt.
Sozialsenatorin Elke Breitenbach von der Linkspartei sieht den Ansatz als einen »weiteren Baustein im Hilfesystem«. »Housing First« sei für diejenigen Menschen gedacht, die »im bestehenden Hilfssystem gescheitert sind«, erklärt sie am Montag bei der Vorstellung des Modellprojekts.
-
/ Marten BrehmerStraßenkinder in Berlin: Durch das Raster fallenMaus starb nach einem halben Jahr auf der Straße – er war einer von Hunderten Straßenjugendlichen in Berlin
-
/ Christel SperlichWeil jeder Mensch wertvoll istFür Nicole Lindner und Stephen Doebert bedeutet ein Dach über dem Kopf zu haben, Glück - und ein Grundrecht. Dafür sind sie aktiv, auch politisch
-
/ Ulrike WagenerKein Schema F für WohnungsloseUlrike Wagener über die Unterbringung von trans* Sexarbeiter*innen
Eine Vorbedingung gibt es aber doch: Von »Housing First« kann nur profitieren, wer auch einen Anspruch auf staatliche Transferleistungen hat. Die meisten Osteuropäer unter den Obdachlosen in Berlin könnten die Unterstützung also nicht in Anspruch nehmen. Außer, sie sind in Deutschland eine gewisse Zeit lang einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgegangen.
Interessenten für das Programm gibt es den Trägerorganisationen zufolge bereits einige. Der Sozialdienst katholischer Frauen fordert einzig, dass die Frauen von sich aus bei der Sozialorganisation vorstellig werden. »Und sie müssen willens sein, eine Wohnung anzumieten«, sagte die zuständige Bereichsleiterin Elke Ihrlich. Den Mietvertrag müssen sie selbst unterschreiben. Dann gelte: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Die Neue Chance nimmt nur Teilnehmer auf, die aus ihrer Sicht die Wohnung auch halten können. Wer beispielsweise schwer drogenabhängig oder schwer psychisch erkrankt und massiv verwahrlost sei, komme eher nicht infrage.
Alle Teilnehmer müssen zudem unterschreiben, dass sie sich an der Evaluation beteiligen werden. »Wenn sich daraus ergibt, dass das Projekt nur annähernd so erfolgreich ist wie die ›Housing First‹-Projekte in anderen Ländern, wird es mit Sicherheit weitergeführt«, sagt Breitenbach.
2018 stehen 190 000 Euro für das Modellprojekt zur Verfügung, in den Folgejahren sollen es 580 000 Euro sein. Pro Teilprojekt und Halbjahr sollen fünf weitere Menschen Wohnungen erhalten. Nach Ablauf des Projekts sollen sie in der Lage sein, diese selbst zu halten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.