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  • Abstimmung in Afghanistan

Junge Gesichter prägen den Wahlkampf

Die Taliban versuchen an vielen Orten, die Parlamentswahlen gewaltsam zu verhindern. Von Emran Feroz

  • Emran Feroz
  • Lesedauer: 6 Min.

Kabuls berühmte Dar-ul-Aman-Straße ist überfüllt mit den Plakaten junger Männer und Frauen. Unter ihren Bildern lassen sich meist einfallslose Wahlslogans finden, nicht selten mit Rechtschreib- oder Grammatikfehlern, die den Sinn der Aussagen ins Lächerliche ziehen. 2565 Afghanen wollen in das Parlament, das 250 Sitze hat, einziehen und treten an diesem Samstag zu den Wahlen an. 418 von ihnen sind Frauen. Fast ein Drittel der Kandidaten - insgesamt 804 Personen - lässt sich in Kabul finden. Außerdem gibt es Kandidaten für Minderheiten wie Hindus und Sikhs. Sowohl für sie als auch für Frauen und Nomaden gibt es eine Quote.

»Wollt ihr ein junges Parlament? Dann wählt mich, Attaullah Nasib«, heißt es in einem Wahlwerbespot eines Kabuler Kandidaten. Ursprünglich stammt Nasib aus dem Distrikt Khogyani in der östlichen Provinz Nangarhar. Dort konnte er sich allerdings nicht aufstellen lassen. Das unruhige Khogyani wird großteils von den Taliban kontrolliert. Jemand mit der politischen Einstellung Nasibs hätte dort kaum eine Chance. Während Kabuls Straßen mit Wahlplakaten überfüllt sind, ist dies in vielen anderen Landesteilen nicht der Fall.

Der junge Afghane zählt deshalb vor allem auf das Internet und Soziale Netzwerke. Nasib ist schon seit langem auf Facebook und Twitter aktiv und vor allem für seine US-freundlichen Ansichten und seine Drähte zur Kabuler Regierung bekannt. Als die afghanische Luftwaffe gemeinsam mit amerikanischer Unterstützung im vergangenen April eine Koranschule im nördlichen Kunduz bombardierte und dabei Dutzende von Zivilisten tötete, war Nasib auf Twitter zur Stelle. Tote Zivilisten? Eine Lüge. Taliban-Propaganda. Journalisten, die das Gegenteil verbreiteten, wurden von Nasib verbal angegangen. Einige Wochen später wurde das Massaker von mehreren Menschenrechtsorganisationen bestätigt. Laut den UN wurden mindestens 36 Zivilisten, darunter 30 Kinder, bei dem Angriff getötet. Präsident Ashraf Ghani entschuldigte sich in der Öffentlichkeit und sprach von einem »Fehler«.

»Kandidaten wie Nasib haben wenig mit der Realität in Afghanistan gemein. Doch es liegt nahe, dass sie ins Parlament einziehen werden. Das hat vor allem mit ihren guten Beziehungen zu tun«, meint etwa Sayed Jalal Shajjan, ein junger Anthropologe aus Kabul. »Hinzu kommt natürlich auch, dass man die Mehrheit der Kandidaten nicht ernstnehmen kann. Das ist in vielerlei Hinsicht einfach nur eine kurzlebige Selbstinszenierung«, so Shajjan.

Tatsächlich repräsentieren die Kandidaten in erster Linie sich selbst. Es gibt keine Listen, die von Parteien aufgestellt werden. Jeder darf für einen der 34 Wahlbezirke ins Rennen gehen. Wenige hundert Dollar reichen für den Druck einiger großflächiger Plakate aus. Was mit diesen allerdings nach der Wahl passiert, weiß niemand so recht. »Sehen Sie sich um, die ganze Stadt ist verseucht damit. Mit all diesem Geld, das dafür ausgegeben wurde, hätte man Tausende von armen Menschen ernähren können«, meint Waseh, ein Gemüsehändler aus Kabul. Doch auch er muss zugeben, dass es einigen Kandidaten nicht an Einfallsreichtum fehlt. Teils sind in der Hauptstadt ganze Gebäude vollständig plakatiert. Die Antlitze von Kandidaten lassen sich unter anderem auf Autos, Toiletten, Kugelschreibern, Teetassen oder USB-Sticks finden.

Aufgrund der Masse der Kandidaten ist der Wahlzettel fünfzehn Seiten lang, was nicht nur für Analphabeten ein Problem darstellen dürfte. Die meisten Wähler sind überfordert. »Ich werde von meinem Wahlrecht Gebrauch machen und wählen gehen. Allerdings habe ich mich noch für niemanden entschieden. Man verliert einfach zu schnell den Überblick«, sagt Hajji Hassan, ein Metzger. Dennoch will Hassan, dass seine ganze Familie wählen geht. Dass derart viele junge Afghanen zur Parlamentswahl antreten, findet er ermunternd. »Es ist weiterhin nicht selbstverständlich, dass wir einfach so wählen dürfen. Das ist doch toll und wirklich demokratisch. Außerdem ist es an der Zeit, dass die Jungen das Ruder übernehmen. Diese alten Männer in der Politik müssen aussterben«, sagt Hassan.

Diese Ansicht wird - so meinen das manche zumindest - auch von Präsident Ashraf Ghani geteilt. In den letzten vier Jahren seiner Amtszeit hat Ghani immer wieder betont, wie wichtig die afghanische Jugend für die Zukunft des Landes sei. Teils hat er sich damit äußerst unbeliebt gemacht, etwa als er in einem Interview mit der britischen BBC meinte, er habe keine Sympathien für jene Afghanen, die aus ihrer Heimat flüchten und gen Europa ziehen. Doch zeitgleich hat Ghani junge Afghanen bewusst in die Politik geholt. Beispiele hierfür sind Ghanis Präsidentenbüro, in dem weitgehend junge Frauen und Männer arbeiten und mittels verschiedener Kanäle regelmäßig versuchen, innovativ und dynamisch zu wirken, sowie die Ernennung des neuen Nationalen Sicherheitsberaters, Hamdullah Moheb. Der 35-Jährige hat im vergangenen August Hanif Atmar, ein politisches Urgestein, abgelöst. Auch hierfür gab es rege Kritik, da Moheb im Gegensatz zu seinem Vorgänger keinerlei Erfahrungen im Sicherheitsbereich vorweisen konnte. Doch Präsident Ghani wollte ein klares Zeichen setzen, und es gelang ihm.

Dennoch gibt es Kritik. Ghanis elitäres Jugendteam besteht nämlich in erster Linie aus Afghanen aus dem Ausland, die in den meisten Fällen Doppelstaatsbürgerschaften vorzuweisen haben. »Ähnlich wie bei der Regierung Hamid Karzais - Präsident von 2001 bis 2014 - hat man auch bei der Ghani-Regierung den Eindruck, dass alles über Beziehungen läuft. Auf Qualifikationen wird weniger geachtet. Selbiges ist auch bei den anstehenden Wahlen der Fall. Kandidaten, die dem Präsidentenpalast nahestehen, haben gewiss bessere Chancen«, meint Anthropologe Shajjan. Zu ebenjenen Kandidaten gehört auch Maryam Solaimankhel, die als Vertreterin der Kuchi, der paschtunischen Nomaden, antritt. 2014 war Solaimankhel, die in den USA aufgewachsen ist, Mitarbeiterin im Wahlkampfteam Ghanis. Hinzu kommt, dass sie mit dem Präsidenten verwandt ist.

Unter den Kandidaten für die anstehenden Wahlen finden sich auch zahlreiche Journalisten. Beispiele hierfür sind etwa Muslim Sherzad vom Privatsender Tolo TV oder Bilal Sarwary, der für zahlreiche englischsprachige Medien tätig gewesen ist. »Der Schritt von den Medien in die Politik scheint für viele Menschen nachvollziehbar zu sein. Viele Journalisten waren in erster Linie Fernsehmoderatoren. Sie haben das politische Geschehen jahrelang aus unmittelbarer Nähe verfolgt und pflegten Kontakte zu verschiedenen Politikern«, meint Ali Latifi, ein Journalist aus Kabul. Er sieht vor allem die Glaubwürdigkeit von Politikern, die nach ihrer Amtszeit in journalistische Berufsfelder zurückkehren, skeptisch. »Ich frage mich, ob sie dann weiterhin unbefangen berichten können«, sagt Latifi.

Gefährdet werden die Wahlen vor allem durch die aufständischen Taliban, die die Hälfte des Landes kontrollieren und in fast allen Provinzen operieren. Die Extremisten haben zum Boykott der Wahlen aufgerufen und wollen diese mit Gewalt verhindern. Gleichzeitig betonten sie, Zivilisten schonen zu wollen. Am Mittwoch wurde der Parlamentskandidat Abdul Jabar Qahraman durch einen Bombenanschlag in der Provinz Helmand getötet. Die Taliban bekannten sich zum Attentat. In den letzten Wochen kamen über 30 Menschen durch Angriffe auf Wahlkampfveranstaltungen ums Leben. Laut dem aktuellen Bericht der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan wurden zwischen Januar und September 2018 insgesamt 8050 Zivilisten getötet oder verletzt. Für 65 Prozent der zivilen Opfer werden aufständische Gruppierungen verantwortlich gemacht. Die afghanischen Parlamentswahlen finden mit einer dreijährigen Verspätung statt. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf die zunehmende Gewalt im Land.

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