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Das Elektron bleibt vorerst rund
Neue präzise Messungen bringen Physiker in Verlegenheit.
Bis heute liefert das sogenannte Standardmodell der Elementarteilchenphysik die experimentell am besten bestätigte Beschreibung der subatomaren Welt. Dennoch hat es einige Mängel. Es kann zum Beispiel nicht erklären, woraus Dunkle Materie besteht. Rätselhaft bleibt auch, warum es im Universum so viel Materie, aber kaum Antimaterie gibt. Zudem findet die Gravitation keinen Platz im Modell.
Physiker suchen deshalb schon seit längerem nach einer Theorie ohne diese Defizite. Zu ihren Favoriten hierbei gehören die sogenannte Supersymmetrie, kurz SUSY genannt, sowie davon abgeleitete Varianten. In solchen alternativen Modellen wird jedem bekannten Teilchen ein bisher unentdeckter superschwerer Partner zugeordnet. Gäbe es diese Partnerteilchen, ließe sich etwa erklären, warum sich Materie und Antimaterie nach dem Urknall nicht gegenseitig ausgelöscht haben.
Bisher ist es jedoch selbst in den stärksten Beschleunigern nicht gelungen, auch nur eines der superschweren Teilchen nachzuweisen. Deren Existenz könnte sich allerdings in der geometrischen Form des Elektrons offenbaren. Laut dem Standardmodell hat das Elektron eine perfekte Kugelgestalt. »Dagegen folgt aus fast allen alternativen Theorien, dass die Ladung des Elektrons nicht kugelförmig verteilt ist«, sagt Gerald Gabrielse von der Northwestern University in Evanston (US-Bundesstaat Illinois). Denn infolge des Einflusses der in seiner Umgebung vorhandenen superschweren Teilchen müsste das Elektron ein elektrisches Dipolmoment besitzen und mithin eine leicht platt gedrückte Form annehmen.
Forscher der »Advanced Cold Molecule Electron« (ACME)-Kollaboration haben jetzt versucht, das vermutete Dipolmoment des Elektrons mit extrem hoher Genauigkeit zu messen. »Angenommen, ein Elektron hätte die Größe der Erde. Dann würden wir noch eine Verschiebung seines Mittelpunkts feststellen können, die Millionen Mal kleiner wäre als die Dicke eines Haares. So empfindlich ist unsere Apparatur«, erläutert Gabrielse, einer der Leiter des Experiments, und ergänzt: »Wäre uns der Nachweis gelungen, dass das Elektron nicht rund ist, hätte das wohl die größte Physikschlagzeile der letzten Jahrzehnte gegeben.«
Doch das erhoffte Ergebnis kam nicht zustande, wie die Forscher im Fachblatt »Nature« (Bd. 562, S. 355) berichten: Das Elektron ist praktisch von kugelförmiger Gestalt, es besitzt offenkundig kein elektrisches Dipolmoment. Damit bestätigen die Messdaten erneut das Standardmodell und schließen eine Reihe alternativer Theorien aus. Gabrielse kann eine gewisse Ratlosigkeit nicht verbergen: »Wir wissen, dass das Standardmodell falsch ist, aber wir können offenkundig nicht finden, wo es falsch ist. Alles mutet wie ein großer Kriminalroman an.« Aufgeben kommt für die Forscher nicht in Frage. Als nächstes wollen sie die Nachweisgrenze für das Dipolmoment des Elektrons weiter nach unten drücken, in der Hoffnung, doch noch auf eine Abweichung zu stoßen. Solange zumindest bleibt das Standardmodell die Theorie Nummer eins bei der Beschreibung subatomarer Teilchen.
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