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Willkommen im linken Streichelzoo
In Nürnberg fand die 23. Linke Literaturmesse statt
Leipzig und Frankfurt. Die beiden großen Buchmessen wurden in den letzten Jahren vermehrt Austragungsorte für politische Auseinandersetzungen. (Neu-)Rechte Verlage traten verstärkt mit ihren Publikationen auf, organisierte Nazis bedrohten und beschimpften vermeintliche Linke, die Leitungen der Messen distanzierten sich nur sehr vorsichtig. Dagegen wurde zur diesjährigen Leipziger Messe die Initiative »Verlage gegen Rechts« gegründet, an der sich über 80 Verlage und 200 Einzelpersonen beteiligten.
Solche Probleme waren auf der 23. Linken Literaturmesse, die am vergangenen Wochenende in Nürnberg stattfand, nicht zu erwarten. »Hier treffen sich Verlage und Besucher*innen, die ein Selbstverständnis teilen, das im weitesten Sinne progressiv ist«, so Rafael Fleischer, ein Mitorganisator der Messe, gegenüber »nd«. »Verschiedene linke Strömungen kommen hier zusammen und präsentieren ihr aktuelles Programm. Man findet Anarchisten, demokratische Sozialisten, Kommunisten aller Art - aber sie diskutieren alle sachlich miteinander«, so Fleischer.
Seit 1996 gibt es die Linke Literaturmesse, dieses Jahr fand sie zum ersten Mal in der Kulturwerkstatt auf dem Gelände der früheren AEG statt. In den ehemaligen Fabrikhallen tummelten sich rund 1500 Besucher*innen. Einer von ihnen war Jürgen Repschläger, kulturpolitischer Sprecher der LINKEN in Bonn und als selbstständiger Antiquar von Anfang an mit einem großen Bücherstand auf der Messe vertreten. Ihn begeistert vor allem, dass in der »intellektuellen Diaspora zwischen München und Frankfurt« jährlich ein Ort für linke Debatten entstehe. Die Heterogenität des Publikums schätze er sehr, sagt er.
Und es stimmt: Die Nürnberger Messe ist die größte linke Literaturmesse in der Bundesrepublik. Dutzende Verlage und Zeitschriften aus dem gesamten deutschsprachigen Raum präsentieren ihr Angebot. Es gab ein Rahmenprogramm mit über fünfzig Lesungen, Buchvorstellungen und Diskussionsveranstaltungen. Die Messe, die von zwei Vereinen und von den Ausstellern selbst organisiert wird und keine städtische oder staatliche Förderung erhält, »spiegelt wider, was in der Gesellschaft so los ist«, so fasst es Fleischer zusammen.
Dieses Jahr bildeten die Jahrestage der Revolutionen von 1918 und 1968 den Schwerpunkt. Und dann gab es ja auch noch den 200. Geburtstag von Karl Marx zu feiern. Debatten entzündeten sich aber auch an aktuellen Phänomenen: In einer Veranstaltung stellte der Wiener Verleger und Autor Hannes Hofbauer sein Buch »Kritik der Migration« vor. Dabei sprach er davon, dass Forderungen nach Diversität und Weltoffenheit ein »Armutszeugnis« für die politische Linke seien. Diese müsse verstärkt die »Probleme der Migration« thematisieren und für einen »progressiven Protektionismus« sowie »ökonomische Subsidiarität« in den Ländern eintreten. Bitte was? Hofbauer, der solche Thesen auch beim russischen Propagandakanal Russia Today und in politisch obskuren Internetportalen vertritt, wurde zwar kritisiert, seine Position schien jedoch auf der Messe durchaus mehrheitsfähig zu sein.
Dies mag daran liegen, dass ein Teil der Bewegungslinken auf der Messe gar nicht anwesend war. Zeitschriften und Zeitungen wie »Konkret« oder »Jungle World« suchte man vergebens. Stattdessen gab es »Trotz alledem«, die Zeitung »für den Aufbau der Bolschewistischen Partei Deutschlands«. An deren großem Stand konnte man diverse sozialistische Klassiker günstig erstehen. Wesentlich undogmatischer präsentierten sich die Falken Nürnberg mit ihrem Heft »ThUg - Theorie und Ungeduld. Magazin für linke Theorie«. Und wie auf einer libertären Insel im großen Ausstellungssaal waren die Bücher der Edition Nautilus und der Assoziation A zu erhalten. Demgegenüber wirkten die Stände vieler Traditonsmarxisten anachronistisch und die Messe dabei ein wenig wie ein linker Streichelzoo.
Eine Linke, die sich nur auf sich selbst und die eigene Vergangenheit bezieht, wird es in aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen schwer haben. Augenfällig wurde das vor allem bei Eröffnungsveranstaltung der Messe. Unter dem Titel »’68 - da war doch was« schilderten drei reflektierte Zeitzeug*innen ihre damaligen Erlebnisse: das Ex-RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo, der Ex-DKP-Autor Werner Seppmann und die Schriftstellerin Ulrike Heider. In der anschließenden Diskussion schilderten dann größtenteils ältere Männer ihre jeweilige Individualgeschichte aus jener Zeit. Was dies aber für aktuelle Kämpfe bedeuten könnte, das ging in diesem 68er-Selbsthilfekurs völlig unter.
In heutige Kämpfe zu intervenieren, sollte jedoch ein zentrales Anliegen für linke Literatur und Publizistik sein, sagt Martin Bauer, der Verleger des Wiener Verlags Bahoe Books. »Während in Chemnitz Ausländer gejagt und jüdische Restaurants angegriffen werden, braucht es eine Linke auf der Höhe der Zeit - sowohl in der Theorie als auch in der Praxis«. Von diesem Geist hätte die Linke Literaturmesse etwas mehr vertragen können.
»Mit uns zieht die neue Zeit«, singen die einst stolzen Sozialdemokrat*innen immer noch auf ihren Parteitagen. Für die SPD gilt dies schon sehr lange nicht mehr. Doch auch die außerparlamentarische Linke muss sich einigen Staub von den Schultern klopfen, will sie die Zukunft gewinnen. Denn die Rechten werden nicht warten, bis man mit dem Lenin-Lesekreis fertig ist.
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