Tiere müssen nicht Englisch können!
Während es in einer Berliner Schau darum geht, Bäume und Tiere zu verstehen, gelingt etlichen die zwischenmenschliche Kommunikation nicht.
Alles begann mit einer Meeresschnecke aus Senegal, die sich im Atelier einer deutschen Künstlerin befand. Antje Majewski wollte diesen Gegenstand besser verstehen. So fuhr sie nach Senegal, um dort jemanden zu finden, der ihr die Meeresschnecke erklärt. Ihr wurde der Künstler Issa Samb vorgestellt.
Samb, der die letzten Jahrzehnte seines Lebens in seinem Atelier in Dakar verbrachte und seine Umwelt als ein Wissensarchiv betrachtete, erklärte der deutschen Künstlerin - unter großen Ficus- und Kapokbäumen auf seinem Hof -, dass man die Bedeutung verschiedener Objekte in seiner Umgebung verstehen könnte, wenn man ihnen zuhören und mit ihnen kommunizieren würde.
2017 starb Samb, sein Grundstück hat ein Bauunternehmer erworben. Nach seinem Tod wurde der ganze Ort zerstört, die Bäume wurden gefällt. Eine Muschel aus seinem Hof liegt jetzt in Berlin im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart. Der Meeresschnecke zuzuhören, wurde zum Ausgangspunkt für die aktuelle Ausstellung dort, deren Titel für Neugier sorgt: How to talk with birds, trees, fish, shells, snakes, bulls and lions / Wie spricht man mit Vögeln, Bäumen, Fischen, Muscheln, Schlangen, Stieren und Löwen.
Bei der Schau wird auf solche Orte fokussiert, die durch kapitalistische oder kolonialistische Eingriffe oder einfach durch die Menschen beschädigt oder verändert wurden. In jedem Raum der Ausstellung wurden die Werke in einem Dialog miteinander dargestellt. Die ausgestellte Muschel begleitet etwa ein Film von Majewski, der Issa Samb in seinem Hof zeigt, wie er unterschiedliche Objekte, darunter eben eine Muschel, zum Leben erweckt. Dort hängen außerdem die Gemälde des senegalesischen Künstlers.
Ohne die Geschichten hinter den Kunstwerken zu kennen oder das Booklet der Ausstellung zu studieren, versteht man manche Zusammenhänge vielleicht nicht. Man interagiert mit der Kunst aber sowieso.
Am Eröffnungstag beschwert sich eine ältere Dame darüber, warum die Titel der Werke selten auf Deutsch seien. Außer Antje Majewski kommen die anderen Künstler und Künstlerinnen aus Brasilien, China, Frankreich, Kolumbien, Kamerun, Polen, Senegal und Ungarn. Man könne von den Menschen etwa aus Afrika nicht erwarten, deutsche Titel für ihre Werke auszuwählen, erklärt Majewski der unzufriedenen Dame.
Streben nach Verstehen ist immer ein Teil einer Kunstausstellung. Da helfen jedoch die Titel der Kunstwerke ohnehin nicht, denn viele Arbeiten heißen eh »Ohne Titel«.
Nach dem Titel zu schauen, ist aber der erste Versuch, die unverständliche Kunst zu begreifen - in der Hoffnung, dass das Werk treu nach dem Motiv benannt wurde. Der französische Impressionist Pierre Auguste Renoir hat etwa Gabrielle mit offener Bluse gemalt und das Gemälde eben »Gabrielle mit offener Bluse« genannt.
Wenn der Titel des Werkes aber nicht für Klarheit sorgt, sondern für das Gegenteil, versucht man dann zumindest mit dem Künstler oder der Künstlerin ins Gespräch zu kommen. »Sie haben vieles zu sagen, auch wenn sie unsere Sprache nicht sprechen«, sagte Majewski zu der besagten älteren Dame. Und wenn es in der Schau gerade darum geht, die anderen Wesen in der Umwelt zu verstehen, wird es zu einer doppelten Herausforderung. Also zuerst, sich mit den Menschen auszutauschen, die uns durch ihre Werke dazu aufrufen, mit den Tieren zu kommunizieren. Im Fall der Menschen kommt meistens das Englische infrage, wenn man die Sprache des Gegenübers nicht beherrscht. Die sogenannte Weltsprache also, die gerne für jeden da sei, damit alle miteinander kommunizieren könnten.
Müssen alle Englisch können? Wir fahren beispielsweise nach China und meckern dann darüber, dass sie dort kein Englisch sprechen. Müssen sie Englisch können, weil wir gerade da sind und den Bedarf haben, mit ihnen zu reden? Wieso versuchen wir nicht, ein bisschen Chinesisch zu lernen, wenn wir mit ihnen zu tun haben möchten? Warum kommt uns das gar nicht selbstverständlich vor, aber Englisch zu können so normal? Diese Normalität klingt schon nach Kolonialismus.
Und wie bei unverständlicher Kunst sieht man auch bei den Menschen, die man nicht versteht, sofort nach irgendeinem Etikett, das sie uns erklärt. Sprechen die Leute etwa in manchen asiatischen, südamerikanischen oder afrikanischen Ländern kein Englisch, etikettieren wir sie als »unentwickelt«, »rückständig« und so weiter. Doch die Menschen sollten alle eigentlich »Ohne Titel« heißen.
Wenn es um die Kommunikation mit Tieren geht, gibt es glücklicherweise keinen internationalen Zwang, Englisch können zu müssen. Man kann in seiner Unverständlichkeit einen guten Umgang mit ihnen haben. Bei jener Ausstellungseröffnung hat man versucht, alle zufriedenzustellen. Es gab etliche Dolmetscher und Dolmetscherinnen, die zwischen »Weltsprachen« übersetzten: Deutsch, Englisch, Französisch also.
Hoffentlich haben alle alles verstanden. Was passiert aber nach der Vernissage, wenn niemand mehr zum Dolmetschen zur Verfügung steht, wenn die Künstler und Künstlerinnen nicht mehr da sind, um uns die Kunstwerke verständlich zu machen?
Das ist eine ewige Debatte der Kunstgeschichte: ob der oder die Kunstschaffende dem Kunstwerk hinterherlaufen und es erklären sollte. Oder ob das Werk sein Eigenleben jenseits der Absicht des Schöpfers oder der Schöpferin führt. Darüber diskutieren die Idealisten, Strukturalisten und Poststrukturalisten immer noch.
Es gibt jedoch eine andere Gruppe, die meint, die Bedeutung des Kunstwerkes gibt es nicht. Der Betrachter oder die Betrachterin interpretiert es aus seiner oder ihrer Sicht. Hermeneutik heißt diese Theorie der Interpretation und nähert sich der Idee dieser Ausstellung, dem Versuch also, mit anderen Lebewesen in seiner Art und Weise zu kommunizieren, auch wenn man sie nicht ganz versteht.
»How to talk with birds, trees, fish, shells, snakes, bulls and lions«, bis 12.5.2019, Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart, Invalidenstraße 50-51, Berlin.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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