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»Ein Pong reicht bereits, um große Freude auszulösen«
Freifunker Philipp Borgers träumt von einem freien Netz über den Dächern Berlins. Das treibt ihn auch im Winter Kirchtürme hinauf
Ein Dach mit einer Freifunkanlage können wir nicht besteigen. Das ist nicht so leicht zu organisieren, was eines der Probleme ist, weshalb man als Freifunkaktivist Geduld braucht. Stattdessen schlägt Philipp Borgers ein Café in Berlin-Neukölln vor. Wackelige Sessel, gemütliche Sofas, die vornehmlich jungen Besucher sitzen vor Laptops oder über Studienunterlagen. Es gibt Biokaffee, Ingwertee - und natürlich freies WLAN.
Steht hier eine Antenne auf dem Dach?
Das Freifunknetz in dem Laden hat ein Freund eingerichtet. Aber entscheidend ist die Philipp-Melanchthon-Kirche dort hinten in der Hertastraße, über die wir sehr glücklich sind, denn der Kirchturm ist richtig hoch und daher gut erreichbar als Knotenpunkt. Unsere Anlagen stehen aber auch auf Rathäusern oder Privatgebäuden, immer dort, wo wir jemandem überreden konnten, uns zu unterstützen. Gerade bei Rathäusern war das ein längerer politischer Prozess.
Welche Befürchtungen hatten die?
Hauptfrage war, wie Freifunk mit der Infrastruktur des Rathauses interagiert. Wir mussten also vor allem erklären, was da überhaupt passiert und dass das komplett getrennte Bereiche sind.
Sind Kirchen offener für das Anliegen?
Wir haben gute Erfahrungen mit einigen evangelischen Kirchen. Man muss sowas immer im Kirchengemeinderat vorstellen. Da kann es natürlich auch passieren, dass alle dagegen sind.
Was sagen Sie, um Leute zu überzeugen?
Freifunk schafft Zugang zu Informationen und ermöglicht Kommunikation. Und das nicht einem einzelnen Personenkreis wie das üblicherweise kommerzielle Anbieter tun, sondern wirklich allen Menschen - kostenlos, ohne Passwort und in einer kooperativen Weise. Man muss nur einen WLAN-Router mit unserer Software bespielen und den Zugang für alle öffnen.
Ich höre den Einwand im Kirchenrat: Braucht man überhaupt immer und überall WLAN? Früher ging es auch ohne.
Ob jeder überall immer kommunizieren muss, muss er/sie selber entscheiden. Aber es sollte wenigstens möglich sein. Immer mehr Informationen sind nur noch digital zu finden. Wo gibt es denn noch einen Marktplatz, an dem die Öffnungszeiten vom Bürgeramt angeschlagen sind? Dafür gehe ich ins Internet. Außerdem ist es eine soziale Frage, denn für Kommunikation muss ich in der Regel einen Internetanschluss bezahlen. Das können nicht alle. Aus unserer Flüchtlingsarbeit wissen wir, wie lebenswichtig der Zugang zu Information, aber noch viel mehr zu Kommunikation mit anderen ist.
Bei Freifunk geht es um Teilen und Offenheit. Teilen Sie noch etwas im Leben?
Seit einem Jahr gärtnere ich auf dem Tempelhofer Feld im Gemeinschaftsgarten. Da teile ich eher unfreiwillig mein Gemüse. Von drei Kürbissen konnten wir einen selber ernten. Das war schon frustrierend.
Wackelt da der Glaube?
Na, ich hoffe, dass denen mein Gemüse geschmeckt hat und sie ab jetzt selbst welches anbauen. Am Ende hat es doch so viel Spaß gemacht, dass ich auch in diesem Jahr weitermachen werde. Gegenüber dem Gemeinschaftsgarten gibt es übrigens freies Internet. Dort steht eine Anlage auf einem Container, ein selbst gebautes Windrad produziert den Strom. In diesem Bereich kann man einfach seinen Laptop aufklappen und ohne besondere Software ins Netz.
Braucht so eine Anlage viel Strom?
Sie verbraucht zumindest welchen. Wie viel, hängt auch von der Größe ab. Das kostet vielleicht zwischen zehn und 50 Euro im Jahr. Geld ist eines unserer Probleme. Kommerzielle Anbieter mieten einfach ein Dach. Wir sind immer Bittsteller und müssen fragen: Könnt ihr uns auf euer Dach lassen und dann noch den Strom sponsern?
Wo gibt es überhaupt offenes WLAN in Berlin?
In Berlin sind etwa 800 Router beteiligt. Auf unserer Webseite gibt es eine Übersicht. Sowas wie auf dem Feld gibt es aber nur an einzelnen Plätzen. Über den Dächern ist es mehr eine Richtfunkverbindung, die einzelne Standorte verbindet. Wer von seinem Balkon aus eine Kirche oder einen Turm sieht, kann prüfen, ob es dort eine Anlage gibt und sich damit verbinden, wenn man die geeignete Hardware hat.
Und sich super mit Computern auskennt.
Ein gewisses Interesse an Technik ist schon erforderlich. Aber all unser Wissen sammeln wir auf unserem frei zugänglichen Wiki. Mitmachen kann also grundsätzlich jeder und jede. Inzwischen nutzen relativ viele Leute Freifunk tagtäglich, und die merken auch, wenn etwas nicht funktioniert. Für mich ist dieses Netz nicht mehr nur ein Spaßprojekt oder ein Experiment, wie wir es lange genannt haben. Wir haben eine Verantwortung.
Es ist zwar alles ehrenamtlich, aber man kann nicht einfach aufhören. Auch irgendwie schwierig.
Na, kann man schon. Aber man muss sich bewusst sein: Wenn man an irgendeinem kritischen Punkt seinen Router ausmacht, ist das ein Problem. Und Infrastrukturstandorte auf den Dächern müssen langfristig gewartet werden.
Lange Zeit waren Haftungsfragen das zentrale Hindernis für freies WLAN in Deutschland. Hat sich etwas spürbar verändert, seit die Bundesregierung im Sommer 2017 die Störerhaftung für Betreiber von WLAN-Netzen abgeschafft hat?
Die Neuregelung hat Privatleute oder kleine Gewerbetreibende ein Stück weit abgesichert. Aber noch immer ist die Verunsicherung groß, mit welchen Konsequenzen man rechnen muss, wenn man seinen Anschluss freigibt. Denn inzwischen hat der Bundesgerichtshof die Klarstellung von damals wieder verunklart.
Gibt es viel Ärger?
Schon. Es ist gang und gäbe, dass Leute Filme downloaden. Wir kriegen daher relativ viele Abmahnungen von irgendwelchen Anwälten, die die Rechte von irgendwelchen Filmherstellern vertreten. Die sehen aber immer nur den Anschlussinhaber. Die Freifunkgruppe selbst ist nicht betroffen. Wir beraten aber die Leute, wie sie auf solche Briefe antworten können.
Nämlich wie?
Sie können schreiben: Ich betreibe ein offenes WLAN und kann Ihnen daher leider nicht weiterhelfen. Denn ich halte nicht fest, wer über meinen Router ins Internet geht. Muss ich nach Telemediengesetz auch nicht.
Damit kommt man durch?
Scheint so.
Die Interessen von Filmherstellern sind Ihnen wurscht?
Das eigentliche Problem ist das Copyright. Ist es denn wirklich so, dass eine Person allein etwas erschafft, oder erschaffen wir nicht alle zusammen etwas? Wir müssen einen Weg finden, wir wir Schaffende auf eine faire Art und Weise entlohnen und trotzdem Inhalte teilen, wie es uns beliebt.
Und was ist, wenn Leute das Freifunknetz für unzweifelhafte Straftaten wie Kindesmissbrauch nutzen?
Ist die Post verantwortlich für den Erpresserbrief? Über jedes Kommunikationsmedium können Straftaten begangen werden - auch über Freifunk. Eine absolute Sicherheit gibt es nur in totalitären Systemen. Man muss halt abwägen, was mit freier Kommunikation alles möglich ist. Wenn ein Prozent der Nutzer irgendwas Schlimmes tut, können wir nicht sagen, wir hören auf, das Netzwerk für die restlichen 99 Prozent zu betreiben.
Wegen solcher Streitpunkte kommt WLAN in Deutschland nur langsam voran. Was motiviert Sie dranzubleiben?
Unsere Flüchtlingsarbeit war ungeheuer motivierend. Ich habe noch nie Leute sich so über Netz freuen sehen wie in dieser Unterkunft, wo wir einen kleinen Router aufgestellt haben, der ein bisschen Internet ausgespuckt hat. Oder wenn man sich das erste Mal, ganz am Anfang, mit einem anderen Freifunkstandort verbindet, dann ist das ein erhebendes Gefühl.
Gibt es dann irgendeinen Initiationsritus?
Nicht wirklich. Ist ja nicht so, dass da am anderen Ende einer steht, mit ’ner Ohrmuschel oder so. Wir senden einen Ping zum anderen Standort, und dann kommt ein Pong zurück, und das reicht dann bei technikaffinen Menschen bereits, um große Freude auszulösen.
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