Eloquenter Trendbekämpfer

Der Kölner Rapper Retrogott hat das Album »Kontemporärkontamination« veröffentlicht

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Name verrät es schon: Der Rapper Retrogott ist kein Fan von Trends. Der Kölner MC, mit bürgerlichem Namen Kurt Tallert, verweigert sich mittlerweile seit mehr als zehn Jahren einem Chart-kompatiblem Hip-Hop. Statt zielgruppenoptimiertem und hochglanzpoliertem Poprap gibt es geschmeidigen Soul, Funk und Jazz, die sich am goldenen, weil kreativ verspielten Rap-Zeitalter der 1980er und 1990er Jahre orientiert. Statt reaktionärer Gangsterpose oder Wohlfühlnationalismus eine überlegte Genre- und Gesellschaftskritik. Eine Mischung aus wortgewandter, aber nie inhaltsleerer Philosophiererei vermischt sich mit Battlerap - beides kombiniert spuckt eloquente Verachtung in die Reihen der Anpasser und Umfaller, der Nachahmer und Witzfiguren. Zwei Jahre nach dem letzten Album hat Retrogott nun mit dem DJ Hulk Hodn seine neue Platte »Kontemporärkontamination« veröffentlicht. Den Titel könnte man mit »zeitgenössische Beschmutzung« übersetzen.

In 13 Tracks und einer halben Stunde arbeitet sich Tallert an der schlimmer werdenden Peinlichkeit von Szene und Gesellschaft ab. »Rap ist für mich mehr als ein Blog über Mode / Ein Lied über Kohle und ein Spruch über Mütter / Alle auf der Suche nach Geborgenheit und Wärme / Doch was interessieren mich depressive Millionäre«. Lässiger Stil und traditionelle Beats treffen auf korrekt platzierte Worthiebe. Der Sound bleibt das Album über recht ähnlich, Retrogott erfindet das Rad wahrlich nicht neu, aber was er macht, macht er richtig. »Trends hinterherlaufen hat für den Retrogott keinen Sinn / Weil ich dafür viel zu offline bin«, heißt es dann auch selbstbewusst. Hier betont einer die Bedeutung von Handwerk und ehrt alte Rap-Ikonen wie die Heidelberger Zwillingsbrüder Martin und Christian Stieber, bekannt unter dem Namen Stieber Twins.

Dem 33-jährigen Retrogott nimmt man diese Rolle auch ab. Er ist einer der Herrscher seiner kleinen Nische, liefert zuverlässig auf hohem Niveau. Umso erfreulicher ist es, dass sich der Musiker mittlerweile auch deutlicher gegen den Rechtsruck im real existierenden Hip-Hop positioniert. »Und nein, die rechte Scheiße ist kein neuer Gassenhauer / Sondern wird hier geduldet schon seit Adenauer« wird gereimt. Die Szene bekommt ein lakonisches: »Ihr macht nicht Rap auf Deutsch / Sondern Deutsch auf Rap / Modeerscheinungen halten die Moral auf Trab«.

Tallert hatte in der Vergangenheit auch selbst teilweise diskriminierende Texte gerappt. Wie er vergangenes Jahr im Gespräch mit »nd« erklärte, durfte er wegen mancher seiner Stücke nicht in linken Zentren spielen. Anschließende Diskussionen wie auch ein Auslandsaufenthalt in Chile hätten ihn dann politisiert. Retrogott macht jetzt aber keinen klassischen »Zeckenrap«, eindimensionales, moralgetränktes Agitieren wäre nicht sein Style. Er will jedoch - und das ist schon viel wert - keine Kunst mehr machen, die anderen gegenüber »zerstörerisch« wirkt. Der Heilsbringer des Funk hat das zum Glück auch nicht nötig. Gekonnt gegen die Verhältnisse austeilen kann er auch so ganz gut.

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