Revolte gegen die Klimakrise

Jörg Staude über den Erfolg von »Fridays for Future«

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Stell’ dir vor - auf den Straßen beginnt die Revolte und erprobte Berufsrevolutionäre, die es für subversiv halten, sich in einer gelben Weste vors Kanzleramt zu stellen, verpassen den Aufstand total. Wer die Klimakrise nur für eine besonders geschickte Herrschaftstaktik im ewig währenden Klassenkampf hält, steht eben mit dem falschen Bein auf. Aber auch die etablierte Umweltbewegung sah die Bewegung nicht kommen, die eine vor Monaten noch unbekannte 16-Jährige allein mit ihrer Hartnäckigkeit auslöste.

Warum gerade ihre Aktionsform, jeden Freitag zur Schulzeit zu demonstrieren, sich wie ein Lauffeuer global verbreitete, lässt sich nur mit dem Satz erklären: Die Zeit war überreif. Mit der Heißzeit 2018, dem x-ten wärmsten Jahr in Folge und anderen Wetterextremen rückte der Klimawandel aus einer doch recht fernen Zukunft in die Gegenwart - und lässt diese mit einer drei bis vier Grad wärmeren und damit lebensfeindlichen Erde als reale Möglichkeit erscheinen.

Für »Fridays for Future« geht es nicht mehr um die Frage, ob man künftig so leben will, sondern ob man es überhaupt kann. Die Schärfe des Problems schlägt sich in der Schärfe der Forderungen nieder: Kohleausstieg bis 2030, Klimaneutralität bis 2035 - und CO2 soll nach und soviel kosten, wie das Treibhausgas Umweltschäden anrichtet: 180 Euro je Tonne.

Auch hier befindet sich »Fridays« in einer starken Position: Ihre Forderungen setzen nur das bekannte 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimavertrages um, was der Bewegung mehr als 20 000 Wissenschaftler von »Science for Future« attestierten.

An dem Bündnis bissen sich bislang die üblichen Gesundbeter des Klimaproblems von Union bis FDP die Zähne aus. Die Debatte, ob man in der Schulzeit streiken darf, verlief im Sande. Auch die erwartbaren Kampagnen rechter Klimaleugner, die persönlichen Diffamierungen und Verleumdungen der Aktivisten blieben bisher recht wirkungslos - ein Zeichen auch dafür, dass die jungen Leute mit den Fallstricken, aber auch den immensen Möglichkeiten sozialer Medien praktisch aufgewachsen und bestens vertraut sind.

Und auch politisch hat »Fridays« schon Erfolge zu verzeichnen: Mit der Bildung der Klimakabinetts räumte die Bundeskanzlerin höchstpersönlich ein, dass es beim Klimaschutz in Deutschland dringenden Handlungsbedarf gibt. SPD-Chefin Nahles, die vor Monaten noch vor einer »Blutgrätsche gegen die Braunkohle« warnte, rief jetzt das Jahr des Klimaschutzes aus.

Mit den Zugeständnissen soll, ganz klar, der Bewegung der Wind aus dem Segel genommen werden. Deswegen ist die Frage berechtigt, wie »Fridays for Future« im politischen Raum noch mehr Wirkung erzielen kann. Demonstrieren, auch wenn es noch so ausdauernd und kreativ ist, wird auf längere Sicht hin nicht reichen. So rücken die jungen Leute derzeit den Bundestagsabgeordneten klimapolitisch auf die Pelle und konfrontieren sie mit ihren Forderungen. Auch mit den Landtagswahlen in diesem Jahr in den Kohleländern Brandenburg und Sachsen bieten sich Möglichkeiten, den Rechtfertigungsdruck gegenüber der Politik aufrechtzuerhalten, warum sie nicht handelt, wo doch handeln so geboten wie notwendig ist.

Eine weitere Antwort auf die Frage nach der politischen Zukunft der Klimabewegung ist »Extinction Rebellion«, also der gezielte Einsatz zivilen Ungehorsams, um das klimazerstörende Funktionieren gerade der westlichen Gesellschaften bloßzustellen. Das greift auf die alte Erfahrung der Umweltbewegung zurück: Nur wer konsequent Nein sagt und sich im Wortsinne querlegt, erreicht etwas.

Mit Revolten dieser Art gibt es in Deutschland langjährige Erfahrungen, nicht nur wegen der Anti-Atomkraft-Bewegung. Auch die Aktionen von »Ende Gelände« zeigen, wie man unverrückbar scheinende Sachzwänge durchbrechen kann. Wo Kohleausstieg und Klimaschutz so eng zusammenhängen, erscheint auch eine Zusammenarbeit der jeweiligen Aktivisten-Gruppen logisch.

Und schließlich spricht auch der Klimawandel für »Fridays for Future«. Der aktuelle Sommer im Frühling, die sich abzeichnende erneute Dürre und das buchstäbliche Wegschmelzen bisheriger Gewissheiten, man sei doch hier in den gemäßigten Breiten wenig betroffen, werden die Gesellschaft in Atem halten.

Sicher: Ein Aufstand gegen die Klimakrise ist (noch) nicht in Sicht. Die Revolte aber ist im Gange.

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