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Kinder, Küche, Bankgeschäfte
Eine Minderheit der Männer ändert ihr Rollenverhalten - das sollte man nutzen.
Arbeitsminister Hubertus Heil will bis zum Herbst dieses Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen, der ein Recht auf Erwerbsarbeit von zu Hause verbindlich garantieren soll. Der Vorschlag des SPD-Politikers zum Homeoffice stieß nach seinem Bekanntwerden Ende Januar sowohl bei Unternehmerverbänden als auch beim Koalitionspartner CDU/CSU auf heftigen Protest. Die Unternehmerlobby fürchtet eine zu große Zeitsouveränität der Beschäftigten; Vorgesetzte glauben, dass sie Leistung im betrieblichen Umfeld besser kontrollieren können.
Doch auch im Gewerkschaftslager sind manche skeptisch, wie eine Studie der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung offenbart hat. Unter der titelgebenden Frage »Weniger Arbeit, mehr Freizeit?« diskutiert die Autorin Yvonne Lott die Chancen und Risiken einer solchen »Entgrenzung« von Beruf und Privatleben. Sie thematisiert auch, »wofür Mütter und Väter flexible Arbeitsarrangements nutzen« - und kommt dabei, was das Verhalten der Männer angeht, zu wenig schmeichelhaften Ergebnissen. »Väter machen lieber Überstunden« lautete eine Schlagzeile.
Diese Art von Kritik an Männern hat eine lange Tradition, in der Wissenschaft wie in Sachbüchern. Über »das faule Geschlecht« klagte einst die Autorin Claudia Pinl, das österreichische Autorenduo Cheryl Benard und Edit Schlaffer konstatierte ironisch »Viel erlebt und nichts begriffen«. Das Verdikt einer »verbalen Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre«, ein Bonmot des verstorbenen Soziologen Ulrich Beck, zielte in die gleiche Richtung. Zugegeben, die erwähnten Veröffentlichungen sind schon älter und es gibt mittlerweile auch Studien, die sich gründlicher mit dem männlichen Rollenwandel beschäftigen. Ganz verschwunden aber ist der Vorwurf nie: Danach unterstützen Männer nur deklamatorisch die weibliche Emanzipation, um sie insgeheim besser unterlaufen zu können.
In der Geschlechterforschung herrscht Skepsis, wenn es um die männliche Bereitschaft zur Veränderung geht. Dafür gab und gibt es gute Gründe, doch die empirische Grundlage für platte Schuldzuweisungen ist nicht mehr so eindeutig wie früher. So hat sich die Zahl der Väter, die in Elternzeit gehen, seit der Einführung der Lohnersatzleistung 2007 mehr als verzehnfacht. Das häufig angeführte Gegenargument »die Mehrheit nimmt doch nur zwei Monate« ist nicht falsch, verkennt aber den dahinter steckenden kulturellen Wandel: Auch ein Vater, der nur für einen kurzen Zeitraum mit einem Kleinkind zu Hause bleibt, macht andere Erfahrungen als die Vorgängergeneration, die die Sorgearbeit komplett an die Partnerin wegdelegierte. Eine wachsende Minderheit der Männer verändert sich durchaus, sie sind keineswegs, wie Beck einst behauptete, verhaltensstarr. Es ist hilfreich, genau hinschauen, um die blinden Flecken im eigenen Forschungsansatz zu erkennen.
2006 haben die Sozialwissenschaftler Peter Döge und Rainer Volz in ihrer Studie »Weder Pascha noch Nestflüchter« anhand von Daten des Statistischen Bundesamtes untersucht, wie Männer ihre Zeit verwenden. Daraus ergab sich eine aufschlussreiche Kontroverse mit weiblichen Kolleginnen, die auf der Basis des gleichen Zahlenmaterials zu weniger wohlwollenden Resultaten gekommen waren. Im Kern drehte sich der akademische Streit um die Frage: Was zählt als Hausarbeit? Die Frauenforscherinnen hatten etwa Tätigkeiten wie Steuererklärung, Bankgeschäfte, Renovieren oder die Reparatur von Kinderfahrrädern nicht als solche berücksichtigt. Ob die Lampe im Bad funktioniert oder das Familienauto einwandfrei läuft ist aber durchaus relevant für das Gelingen eines Haushalts - und keine Spaßveranstaltung im Hobbykeller.
Zwar meldet sich das Finanzamt meist nur einmal pro Jahr, und das zur Karikatur gewordene Fahrzeugwienern am Samstagnachmittag findet längst in der Waschanlage statt. Kochen, Kloputzen oder Einkaufen dagegen sind ständig wiederkehrende Tätigkeiten. Erst recht gilt das für die Betreuung von Kindern und Terminplanung, die gänzlich unsichtbar bleibt: Wer hat wann Geburtstag? Wer fährt morgen mit zum Auswärtsspiel? Wer kümmert sich um das Kostüm für die Schulaufführung? All das übernehmen meist Mütter, Studien belegen hier ein klares weibliches Übergewicht. Die These vom »Gender Care Gap« hat also unbestritten ihre Berechtigung.
Teil der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ist aber neben Haushalt und Erziehung ganz wesentlich auch das Geldverdienen. Väter tragen in Paarkonstellationen mit Kindern im Schnitt deutlich mehr zum Gesamteinkommen bei als ihre Partnerinnen. Das liegt zum Teil an dem gesellschaftlichen Skandal, dass Frauenarbeit oft schlechter bezahlt wird. Dazu trägt aber auch bei, dass Paare nach der Geburt von Kindern unfreiwillig in traditionelle Rollenmuster hineinrutschen oder sich gar bewusst dafür entschieden haben. Zumindest im Westen Deutschlands überwiegt weiterhin die Aufteilung Haupternährer plus Hinzuverdienerin - mit den bekannten Folgen nicht nur bei der Hausarbeit, sondern auch der finanziellen Abhängigkeit von Frauen bis ins Rentenalter.
Wenn Männer selbstbestimmte Arbeitszeiten im Homeoffice für Überstunden nutzen bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sie noch lieber länger arbeiten, als das Geschirr abzuwaschen. Sondern, dass die finanzielle Versorgung der Familie immer noch als die einzig angemessene Sorgearbeit des Mannes daherkommt. Hier müsste eine Kritik ansetzen: Nicht indem ihr Beitrag zur gemeinsamen Bewältigung des Alltags abgewertet oder ganz ignoriert wird, sondern indem man zunächst die - in der Tat quälend langsamen - Rollenveränderungen bei Männern überhaupt wahrnimmt und die gegenderten Grenzen im »Haushalt« weiter aufweicht.
Thomas Gesterkamp ist Journalist in Köln. Von ihm erschienen Bücher wie »Hauptsache Arbeit?« und »Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere«.
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