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Notstand in den Notaufnahmen
In Frankreich wehren sich Klinikbeschäftigte mit Streiks gegen Personalmangel und schlechte Ausstattung
Für die Regierung hätte es nicht ungünstiger kommen können. Französische Zeitungen berichten aktuell über die Ermittlungen im Fall einer Frau, die Ende 2018 in der Notaufnahme des Pariser Krankenhauses Lariboisière gestorben war. Die 55 Jahre alte Patientin, die auf der Straße zusammengebrochen und mit starken Schmerzen und 40 Grad Fieber von der Feuerwehr ins Krankenhaus gebracht worden war, musste dort elf Stunden lang auf einer Trage warten, bis sich ein Arzt um sie kümmerte. Doch da war sie bereits tot. Die Ermittlungen ergaben, dass elementarste Vorschriften und Dienstanweisungen außer Acht gelassen worden waren - aus Arbeitsüberlastung und Personalmangel, wie die Ärzte und Schwestern der Notaufnahme zu Protokoll gaben.
Während die Medien Mitte des Monats darüber berichteten, gingen die Streiks in den Notaufnahmen von bis zu 90 öffentlichen Krankenhäusern bereits in die vierte Woche. Dabei tragen die Ärzte und Schwestern Aufkleber an der Kleidung, die sie als Streikende ausweisen, doch sie verrichten weiter ihre Arbeit. Weil diese Art von Streik die zuständigen Politiker nicht sonderlich zu beeindrucken scheint, gingen einige Ärzte und Schwestern einen Schritt weiter und ließen sich krank schreiben. Darauf reagierten die Behörden mit Dienstverpflichtung und ließen die Betroffenen mit der Polizei an ihren Arbeitsplatz bringen.
Ein Ende der Streiks ist nicht abzusehen. Die Reaktionen der Regierung entsprechen nicht dem Ernst der Lage, meinen die Mitarbeiter der Notaufnahmen. So kündigte Gesundheitsministerin Agnes Buzyn nur eine Arbeitsgruppe zur Überprüfung und Neuordnung der Notaufnahmen öffentlicher Krankenhäuser an. Das sei »enttäuschend«, meint der Unfallmediziner Patrick Pelloux. Ihn kennen fast alle Franzosen durch das Fernsehen, wo er während der Hitzewelle im Sommer 2003, als 20.000 vor allem alte Menschen mehr als in anderen Jahren ums Leben kamen, die schlechte Vorsorge und Notfallversorgung anprangerte. Auch jetzt ist er wieder überzeugt, dass »die Regierung nicht den Ernst der Situation und die Dimensionen der Misere erfasst.«
Die Gesundheitsministerin hält sich zugute, dass sie eine Aufstockung ihres Haushalts von 80 auf 82 Milliarden Euro durchsetzen konnte. »Das war auch dringend nötig, wenn man sich den Zustand vieler Krankenhäuser ansieht«, meint der auf das Gesundheitswesen spezialisierte Wirtschaftswissenschaftler Claude Le Pen. »Diese Misere ist nicht verwunderlich nach all den Jahren, in denen viel zu wenig investiert wurde.« Der Kern des Problems sei, dass die Zahl der Patienten, die die Notaufnahmen der Krankenhäuser im Anspruch nehmen, Jahr für Jahr um fünf Prozent zunimmt, während der Umfang der Mittel und die Zahl der Ärzte und Schwestern stagniert oder sogar rückläufig ist.
Dabei hat die Regierung den jetzt von ihr beklagten Ärztemangel selbst geschaffen. Berufsverbände fürchteten um die Einkünfte der niedergelassenen Ärzte und übten politischen Druck aus. Mit Erfolg: Für das Medizinstudium wurde ein Numerus Clausus eingeführt. Der wird erst jetzt etwas gelockert. Dass es zu wenig Krankenschwestern gibt, liegt den Gewerkschaften zufolge an der schlechten Bezahlung, die zusammen mit strapaziösen Arbeitsbedingungen und Überlastung zu einer hohen Fluktuation führt. Beispielsweise verdient eine Hilfsschwester mit brutto 1500 Euro kaum mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Insgesamt zählt das Gesundheitswesen 1,1 Millionen Beschäftigte, doch nach Überzeugung der Gewerkschaften müssten es mindestens 100.000 mehr sein.
Von der Misere der Notaufnahmen besonders betroffen sind Krankenhäuser in Stadtvierteln oder Vororten mit vielen einkommensschwachen und sozial benachteiligten Familien. Hier gibt es viel weniger niedergelassene Ärzte als im Landesdurchschnitt.
Daher bleibt oft kein anderer Ausweg als die Notaufnahme des öffentlichen Krankenhauses. Dort darf niemand abgewiesen werden, und außerdem muss man nicht, wie bei niedergelassenen Ärzten, die Behandlungskosten selbst vorstrecken, um sie sich später von der Krankenkasse erstatten zu lassen. So kommt es, dass bis zu 50 Prozent der Menschen, die die Notaufnahme der Krankenhäuser in Anspruch nehmen, hier eigentlich nichts zu suchen haben und den Platz für wirkliche Notfälle blockieren.
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