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- Digitalpakt Schule
»Schule ist jenes Exil …
Kathrin Gerlof über den losen Zusammenhang zwischen digitaler und sozialer Kompetenz im modernen Unterricht
… in dem der Erwachsene das Kind so lange hält, bis es imstande ist, in der Erwachsenenwelt zu leben, ohne zu stören.« Eigentlich konnte die Reformpädagogin Maria Montessori (sie starb 1952) nicht viel darüber wissen, wie hierzulande der Zustand des Systems Schule im Jahr 2019 ist. Die einen sagen so, die anderen so. Alle sagen: nicht gut. Bis auf diejenigen, die den Zustand gerade zu verantworten haben und wiedergewählt werden wollen. Das sind aber nicht allzu viele.
Aber nun wird alles besser. Mit diesem neuen Schuljahr tritt der »Digitalpakt Schule« in Kraft. Fünf Milliarden Euro werden in den kommenden fünf Jahren für digitale Infrastruktur, digitale Endgeräte und Nachschulung von Lehrkräften zur Verfügung gestellt. Das ist großartig.
Der Investitionsstau an den 40 000 öffentlichen deutschen Schulen beträgt rund 35 Milliarden Euro. Wir reden hier allerdings nicht von Computern, stattdessen von dichten Dächern und Fenstern, funktionierenden Toiletten, benutzbaren Räumen, funktionalem und schönem Mobiliar, frischen Farbanstrichen und all solchem Kram. Bundesweit fehlen rund 15 000 qualifizierte Lehrkräfte (die braucht man aber nicht mehr, wenn die Kids vor den Computern sitzen, und saubere Toiletten werden eh überbewertet). Knapp die Hälfte der Schulen arbeitet mit Quereinsteigern. Fast an allen Schulen sinkt das Leistungsniveau. Sogar in Bayern, was echt schade ist, weil auf die Bayern ja viel ankommt, wie wir durch die Arbeit zum Beispiel der bayerischen Heimatverkehrsminister wissen.
Aber zurück zum tollen Digitalpakt. Das viele schöne Geld ist zweckgebunden. Heißt, es muss logischerweise in digitale Endgeräte investiert werden (man darf auch nicht vergessen, dass, wer vor dem Bildschirm sitzt, meist gar nicht so oft aufs Klo muss). Ziel ist, dass Kids, die ja nerven können ohne Ende, künftig weniger im Sozialverband der Klasse arbeiten. Stattdessen werden sie an Lernstationen gesetzt und können digitale Kompetenz erwerben, weil wir ja wissen, dass man es mit sozialer Kompetenz heutzutage nicht mal mehr zum Tellerwäscher bringt. Während digitale ohne soziale Kompetenz wenigstens die Fähigkeit schult, später in digitalen Filterblasen ordentliche Hassposts zu verbreiten. Und da sind Rechtschreibung und Grammatik egal. Hauptsache, die Kernaussage stimmt.
Nun gilt man ja schnell als schnarchig, old school, technikfeindlich, defätistisch, wenn man die Frage stellt, ob die Prioritäten richtig gesetzt sind angesichts des Zustands der Schulen, des Personalmangels und des Ergebnisses einer OECD-Studie zur Bildungsgerechtigkeit, die sagt, für benachteiligte Schülerinnen und Schüler sei gemeinsames Lernen sehr wichtig, die Anzahl der Computer aber nicht relevant. Liegt es doch auf der Hand, dass die Reduktion der vermittelten Inhalte auf automatisiert Prüfbares alles in allem den Schülerinnen und Schülern zugute kommen wird. Ebenso deren marktgerechte Konditionierung, die datengestützte Schulentwicklung (die ja auch für Industrie und andere Institutionen, deren Geschäftsmodell auf dem Sammeln von Daten beruht, von Vorteil ist). Wie auch das Cloud Computing an Schulen (siehe Datensammeln), das sogenannte selbstorganisierte Lernen (spart Lehrpersonal und eine Menge Ärger).
Und an der Stelle lässt sich sogar mal eine Lanze für unseren Bundespräsidenten brechen, der in diesem Jahr gesagt hat: »Nicht um die Digitalisierung der Demokratie müssen wir uns zuallererst kümmern, sondern um die Demokratisierung des Digitalen.« Verrückter Kerl.
Bevor das Digitale demokratisiert wird, kommt es nun aber erst einmal an die Schulen. Sollen sich die Kids drum kümmern. Wenn sie an ihren Lernstationen sitzen, die Lehrerin ein Lerncoach geworden ist und die Software von Microsoft kommt. Den Algorithmus, nach dem die Mädels und Jungs lernen und ihre Daten preisgeben, kennen andere. Und ein versifftes Klo ist nun wahrlich kein Grund zum Jammern.
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