Es betrifft alle

Warum Klimaschutz und soziale Frage nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.

Es war im Juli, als es Altkanzler Schröder genug war. In einem Interview beklagte er, dass »fast die gesamte politische Debatte von der Klimafrage dominiert wird«. Fragen wie Wettbewerbsfähigkeit, Bildung oder Digitalisierung würden »überdeckt.« Schon klar: Der einstige »Auto-Kanzler« kann schlecht aus seiner Haut. Doch dürfte er hier ausnahmsweise Zustimmung auch von Leuten erhalten, die seine sonstige Agenda ablehnen.

Niemand kommt derzeit daran vorbei, in Umfragen landet »das Klimathema« auf Platz 1 der drängendsten Probleme. Doch zugleich wächst bei einigen das Unbehagen über diesen »Hype«. Gemeint sind hier nicht Tatsachenleugner oder Parteistrategen in SPD, CDU oder Linkspartei, die meinen, man solle lieber andere Felder beackern, weil auf diesem nur die Grünen ernteten. Die Rede ist von engagierten Leuten in Gewerkschaften, sozialen Einrichtungen oder linken Organisationen, die Klimapolitik auch wichtig finden - aber trotzdem wie Schröder fragen: Gibt es nicht noch andere Themen? Was ist mit Bildung, Altersarmut, Flüchtlingen? Teils schwingen dabei auch Ressentiments mit. »Klima« sei nur etwas für Besserverdienende, Metropolenbewohner, »Lifestyle-Grüne«.

Nun kann man nicht bestreiten, dass derzeit Klima mehr Welle macht als Missstände in Schulen. Doch was hat das mit »Fridays for Future« zu tun? Wurde denn mehr über Selektion, Leistungsdruck und Lehrermangel diskutiert, bevor eine junge Schwedin die jüngste Klimabewegung anstieß? Entscheidender noch aber ist: Die Hinwendung zum Klima ist überfällig. Sie holt nach, was seit 1972 versäumt wurde, als der Club of Rome auf das Thema aufmerksam machte.

Klare Formulierungen findet im Gespräch der Soziologe Klaus Dörre: Das kapitalistische Wirtschaftssystem habe sich in eine »ökonomisch-ökologische Zangenkrise« manövriert: »Ressourcenintensives Wachstum - das wichtigste Mittel, um Wirtschaftskrisen und gesellschaftliche Spaltungen im Kapitalismus zu überwinden - funktioniert nicht mehr, denn es treibt zugleich die Zerstörung der Umwelt und unserer Lebensgrundlagen voran.« Gefragt sei eine »dramatische Veränderung« unserer Produktionssysteme und Lebensweisen, eine große Transformation.

Die Bedeutung von Fridays for Future liegt schon jetzt darin, die Beharrungskräfte unter Zugzwang zu bringen. Bewegungen haben Konjunkturen, ewig wird die aktuelle Mobilisierungsintensität nicht währen. Schon deshalb kommt es darauf an, jetzt so viele Pflöcke einzuschlagen wie möglich. Genau besehen verdrängt oder überlagert der Klimawandel die soziale Frage nicht. Im Gegenteil zwingt er dazu, über die Ungleichheit zu reden, auf der der Energie- und Ressourcenverbrauch des globalen Nordens beruht. Die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen wird mehr Menschen zwingen, die Heimat zu verlassen. Die soziale Frage zeigt sich aber auch hierzulande, wo von Lärm und Luftverschmutzung vor allem Einkommensarme betroffen sind, die kein Geld für ein Haus im Grünen haben, sondern an der zugestauten Hauptstraße wohnen. »Es kann keine ökologische Nachhaltigkeit geben ohne soziale Nachhaltigkeit«, sagt Dörre, der das Kolleg Postwachstumsgesellschaften an der Universität Jena mit leitet.

Diese soziale Dimension lässt sich beziffern. Global verursacht die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung drei Prozent der Emissionen, die reichsten zehn Prozent jedoch 49. Auch hierzulande verbraucht mehr Energie und Ressourcen, wer mehr Geld hat - unabhängig von der Selbsteinschätzung. Das zeigt etwa eine Studie des Umweltbundesamts von 2016: Menschen aus einfacheren Milieus, die sich nicht für Ressourcensparer halten, belasten die Umwelt am wenigsten. Schwerere Autos, größere Wohnungen und häufigere Flugreisen bestimmen die individuelle Ökobilanz am stärksten, Bio-Essen oder Mülltrennung wiegen das nicht auf: »Seit der Jahrtausendwende geht die Steigerung klimaschädlicher Emissionen fast ausschließlich auf die Zunahme von Lebensstilen zurück, die Luxuskonsum beinhalten«, sagt Dörre.

In der Debatte spiegelt sich das zu wenig. Zu oft sind die vorgeschlagenen Maßnahmen marktförmig - Fliegen, Benzin, Lebensmittel, all das soll teurer werden. Das mag eine Wirkung haben, aber gerecht ist es nicht. Denn wer gut verdient, muss für seinen Konsum nur etwas mehr berappen. Den Armen bleibt nur Verzicht. »Wo Luxus anfängt, darüber gibt es sicher unterschiedliche Ansichten«, sagt Dörre. Er versteht darunter nicht »die Mallorca-Reise der Putzfrau oder das Häuschen des Daimler-Arbeiters«, sondern »das zweite Auto oder die 160 Meter lange Raketenyacht eines Roman Abramowitsch«.

Diese soziale Dimension ist nicht nur moralisches Beiwerk. Die nötigen radikalen Veränderungen sind auf gesellschaftliche Mehrheiten angewiesen, die ihre Basis auch weit außerhalb des Spektrums derjenigen suchen müssen, die sich selbst als umweltbewusst verstehen. Will man dabei nicht soziale Verwerfungen vertiefen, müssen auch Beschäftigte in klimaschädlichen Branchen oder Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind, Alternativen sehen können. Verlässlicher und günstiger öffentlicher Verkehr auch dort, wo sich das nicht »rechnet«, energieeffiziente Häuser, die nicht auf Kosten der Mieter gehen - sozialökologische Politik kann und muss an konkreten Bedürfnissen anknüpfen.

Auf der anderen Seite darf das Räsonieren über den Mittelschichtbias der »Zivilgesellschaft« nicht in eine unproduktive Abwehrhaltung führen. Statt von außen auf die Unzulänglichkeiten der Klimabewegung zu zeigen, müssen in dieser Bewegung jene Positionen gestärkt werden, die nicht Halt machen bei einer Ökomodernisierung des Kapitalismus. Wem blinde Flecken auffallen, der mische sich ein - wie etwa jene Oldenburger Erwerbslosen, die mit gegen Agrarkonzerne demonstrieren und sagen, wer die Abkehr von Massentierhaltung fordert, müsse auch den Kampf gegen Hartz IV unterstützen. Denn der Hartz-Regelsatz sieht den Bioladen nicht vor.

Noch lauter als die Kritik an Billigflügen müsste also der Ruf nach günstigen Preisen für Bus und Bahn werden, nach einem massiven Ausbau des Streckennetzes und besserer Taktung. Denn die Kräfte für eine sozial-ökologische Transformation führen die Meinungsumfragen noch lange nicht an.

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