Berlin abschaffen

Die Hohenzollern fordern Entschädigung von der Bundesrepublik - Böhmermann stellt die Frage nach Entschädigungen neu

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 6 Min.

Hat Kronprinz Wilhelm aus der Familie der Hohenzollern dem Nationalsozialismus »erheblichen Vorschub« geleistet? Diese Frage war bisher die alles entscheidende im Streit zwischen Georg Friedrich Prinz von Preußen, dem Urenkel von Kronprinz Wilhelm von Preußen, mit der Bundesrepublik Deutschland. Der Streit wird seit Jahren im Geheimen ausgetragen. Der Satiriker Jan Böhmermann hat dieser Geheimnistuerei in der letzten Woche ein Ende bereitet, indem er vier existierende historische Gutachten vollständig auf einer Website veröffentlichte - unter der URL hohenzollern.lol (»lol« ist Netzjargon für »laut gelacht« - »laughing out loud« - und wird eher ironisch verwendet). Der Satiriker macht damit den seit Langem in Fachkreisen geführten Historikerstreit zu einer öffentlichen Sache - und fordert die Öffentlichkeit zur Mitarbeit auf. Seine Frage: »Wie kann man eine alte, verbrecherische Adelsfamilie (die von Hohenzollern) enteignen?«

Das ist das Interessante an Böhmermanns Initiative. Er stellt nicht mehr die Frage, ob die Hohenzollern entschädigt werden sollten - sondern ob nicht sie eigentlich diejenigen sind, die entschädigen sollten. Bislang hatte Georg Friedrich Prinz von Preußen seinerseits Entschädigung für die Enteignung seiner Familie durch die sowjetische Besatzungsmacht 1945 auf dem Gebiet der späteren DDR gefordert: Zahlungen in Millionenhöhe, tausende Kunstwerke aus öffentlichen Museen und dauerhaftes, unentgeltliches Wohnrecht im Potsdamer Schloss Cecilienhof oder zwei anderen Schlossvillen. Dem Gesetz zufolge hätten die Hohenzollern Anspruch auf Ausgleichsleistungen; nicht aber, wenn sie dem Nationalsozialismus »erheblichen Vorschub« geleistet hätten.

Mit der Frage, ob dies bei Kronprinz Wilhelm der Fall war, beschäftigen sich die geleakten Gutachten, die hinsichtlich seiner Nähe zu führenden Figuren des Nationalsozialismus weitgehend Ähnliches zu sagen haben, und doch zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Der Gutachter Peter Brandt urteilt, dass Wilhelm »stetig und in erheblichem Maß zum Übergang der Macht an die NSDAP und zu deren Festigung beigetragen hat.« Und zwar »in vollem Bewusstsein und im Einverständnis mit dem Weg in die Diktatur, verbunden mit der Hoffnung auf einen prominenteren Platz in den neuen Verhältnissen.« Stephan Malinowski konstatiert, dass Wilhelms »Gesamtverhalten (…) der Errichtung und Festigung des nationalsozialistischen Regimes erheblich Vorschub geleistet (hat).« Beide wurden vom Land Brandenburg beauftragt. Von Seiten der Hohenzollern beauftragt kommt Christopher Clark, der sich mittlerweile von der Familie der Hohenzollern distanziert hat, zu dem Urteil, der Prinz habe diesen »erheblichen Vorschub« eben nicht geleistet; Handlungen, die »zur Unterstützung des Systems geeignet« waren, habe dieser nur »gelegentlich« oder »beiläufig« unternommen. Clark orientiert sich damit begrifflich an einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das besagt, dass eben eine solche »gelegentliche« oder »beiläufige« Handlungen keinen »erheblichen Vorschub« bedeuten.

Der Jurist Matthias Goldmann vergleicht im Gespräch mit »nd« die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte dazu mit dem Begriff der »Beihilfe« aus dem Strafrecht. »Beihilfe« sei demzufolge auch gegeben, wenn man nicht den entscheidenden Beitrag zu einer Tat geleistet habe. Die Handlungen des Hohenzollern müssten also nicht notwendige Bedingung für die Entstehung des Nationalsozialismus sein, als »erheblicher Vorschub« könnte ausreichen, wenn er die Ziele des NS nachweislich in nicht ganz unerheblicher Weise gefördert habe. Dass dies der Fall gewesen sei, dem widerspricht nun vehement ein viertes Gutachten von Wolfram Pyta und Rainer Orth, das den Kronprinz gar als eine Figur des Widerstands bewertet, die einen »überaus aktiven Part bei der Verhinderung einer Kanzlerschaft Hitlers« gespielt habe. Zeitzeugnisse, die die Nähe zu führenden Figuren des NS-Regimes belegen, werden als Opportunismus und rein moralische Argumente heruntergespielt. Die Gutachter Brandt und Malinowski bezeichnen dies in der »Zeit« als »erstaunlich«, trete doch der Kronprinz in keiner der bisherigen Publikationen Pytas als Gegner Hitlers in Erscheinung.

Ein Urteil über die Aktivitäten der Hohenzollern während des Nationalsozialismus kann sich nun jede*r selbst bilden. Doch dem nicht genug. Jan Böhmermann veröffentlichte die Gutachten am Vorabend des 15. November, dem 135. Jahrestag der Berliner Kongokonferenz, auf der die Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter den europäischen Kolonialmächten beschlossen wurde. Zu dieser Zeit war Wilhelm I. aus dem Hause Hohenzollern deutscher Kaiser. Etwas neckisch fragt der Satiriker, ob man nicht die Verbrechen des preußischen Adelshauses während der Kolonialzeit und des Ersten Weltkriegs in die Erwägungen miteinbeziehen könnte, falls man sich schon nicht über die Zeit des Nationalsozialismus einigen könne. Könnte man? Der zu Böhmermanns Fernsehsendung »Neo Magazin Royale« eingeladene Herero-Aktivist Israel Kaunatjike bedankt sich schon im Vorfeld leicht ironisch bei Georg Friedrich Prinz von Preußen: »Danke, du öffnest Türen. Wirst du entschädigt, dann müsste das erst recht für die Herero gelten.« Die Herero und Nama hatten die Bundesrepublik Deutschland in New York auf Reparationen für den Völkermord an ihren Vorfahren in den Jahren 1904 bis 1908 und auf die Einbeziehung in die namibischen-deutschen Wiedergutmachungsverhandlungen verklagt. Die Klage wurde wegen Nichtzuständigkeit des Gerichts abgewiesen. Der Hohenzollern-Chef hingegen ist deutscher Staatsangehöriger, er kann direkt vor Gerichten in Deutschland Klage erheben. Doch, so der Jurist Goldmann: »Recht verfehlt seinen Zweck, wenn es nicht in der Lage ist, schwerwiegende Gerechtigkeitsfragen befriedigend zu bewältigen.«

Als über Grenzen auf dem afrikanischen Kontinent in Berlin entschieden wurde, war Wilhelm I. an der Macht; als deutsche Truppen an den Vorfahren der Herero und Nama in Namibia einen Völkermord verübten, Wilhelm II. Der Satiriker Böhmermann fordert nun alle interessierten Jurist*innen auf: »Überprüfen Sie, inwiefern hieraus eine Verantwortlichkeit der Hohenzollern resultieren könnte und ob es gegebenenfalls Möglichkeiten gibt, wie die Hohenzollern in den Streitfall der Hereros gegen den Deutschen Staat einbezogen werden können.« Juristisch ist es zwar eine sehr gewagte These, Verjährung und die Immunität des Kaisers könnten dem in die Quere kommen - aber auch dem Juristen Goldmann stellt sich diese Frage: »Selbst wenn die Hohenzollern Anrecht auf Entschädigung hätten - könnte man dagegen Regressansprüche gegen die Adelsfamilie wegen der von Deutschland geforderten Entschädigung für den Völkermord an den Herero und Nama aufrechnen?«

Die Wörter »Restitution« und »Reparation« werden in Deutschland nach Kräften vermieden. Im Zusammenhang mit dem Humboldt-Forum wird die Frage der Restitutionen noch immer mit Samthandschuhen angefasst. In afrikanischen Museumskreisen indessen wird mitunter - so erzählte die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy vor kurzem bei einer Veranstaltung der Hellen Panke im Afrikahaus in Berlin - die Rückgabe von afrikanischem Kulturgut mit »Berlin abschaffen« bezeichnet. Gemeint ist damit, die durch die Berliner Konferenz geschaffenen Grenzen durch das Zirkulieren restituierter Objekte teils oder symbolisch rückgängig zu machen. Die Idee, ein Nachfahre des kaiserlichen Herrschers könnte daran mitwirken, klingt geradezu elektrisierend.

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