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Gespalten durch Vereinigung

Siegfried Prokop stellt Lebenswege in der DDR vor

  • Heinz Niemann
  • Lesedauer: 3 Min.

Vielleicht ist es kein Unikat, aber doch eine eher seltene publizistische Form - diese vom Historiker Siegfried Prokop zusammengestellte Auswahl von Biografien, Vorträgen und oftmals noch nicht publizierten Interviews. Porträtiert werden 38 bekannte Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft der DDR, denen er im Laufe seines Forscherlebens begegnete oder die in den Fokus seiner wissenschaftlichen Neugier gerieten. Nicht nur die Phalanx großer Namen - von Manfred von Ardenne über Herrmann Axen und Wolfgang Harich, Egon Krenz und Hans Modrow bis zu Karl Schirdewan und Walter Ulbricht -, auch die hier reflektierte Zeitspanne ist beeindruckend.

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Siegfried Prokop: Lebenswege in der DDR. Skizzen und Beiträge zu Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft. Edition Bodoni, 286 S., br., 20 €.

Vermittelt werden nicht nur manche neuen Tatsachen. In einigen Wertungen spiegeln sich wandelnder Zeitgeist, neue Einsichten und Erkenntnisse. Prokop weist in seiner Vorbemerkung auf die wesentlichen Faktoren und Ursachen hin, warum die Geschichte der DDR trotz der bekannten exorbitanten Ungleichgewichte der Kombattanten auf dem Gefechtsfeld der Deutungshoheit bei Weitem noch nicht entschieden ist.

In gewisser Hinsicht ist dieser Band eine Fortsetzung des vor zwei Jahren aus der Feder des Autors erschienenen Buches »Die DDR hat’s nie gegeben«, in dem Prokop anhand von 23 quellengesättigten Studien wichtige Einblicke in die Vorzüge und Stärken sowie die strukturellen Schwächen und Defizite des zweiten deutschen Staates geboten hat. Im Gegensatz zu dem auf den ersten, flüchtigen Blick widersinnig anmutenden Titel - entnommen einem auf die Fundamentreste des abgerissenen Palastes der Republik gesprühten Graffito -, demonstrierte und begründete Prokop in jenem Buch wie in allen seinen zuvor und auch danach erschienenen Publikationen, warum dieser welthistorisch kurzfristig existierende Homunkulus »DDR« im Gedächtnis der einen wie der anderen fortlebt.

Die Beiträge in seinem neuen Buch illustrieren, warum so viele Menschen mit Hingabe und/oder Kritik an der Politik trotzdem an einem alternativen, antikapitalistischen Gesellschaftsentwurf festhielten - und es vielfach noch heute tun. Dieser Band bietet zugleich eine dankenswerte Bereicherung der Historiografie, speziell der marxistischen, in der die Rolle der Persönlichkeit oft unterschätzt wurde und wird.

Prokop rückt Motive, Normen und Werte für praktisches Handeln ins Blickfeld. Geradezu paradigmatisch steht dafür der Lebensweg von Wolfgang Harich, der nicht nur in seiner Bautzener Gefängniszelle an seiner kommunistischen Überzeugung festhielt, sondern nach dem Untergang der DDR sich vehement der Siegergeschichtsschreibung entgegenstellte. Auch zeigt sein Leben, dass man gerade in der vergleichenden Konfrontation von Intellektuellen/Künstlern zu Politikern nur dann zu einem historisch gerechten Urteil einer Persönlichkeit gelangt, wenn die objektiven Handlungsbedingungen und Zwänge mit beachtet werden. Solange diese ausgespart bleiben, dürften die Urteile über historische Akteure nicht unbestritten bleiben, vor allem nicht über die politisch agierenden Menschen.

Ein weiterer Grund, sich der Lektüre dieses Buches zu widmen, ist die hier aufscheinende Vielfalt, die Leben und Wirken in der DDR ausmachte. Diese zur Kenntnis zu nehmen, anzuerkennen, dürfte hilfreich sein, heutigen Unmut Ostdeutscher zu verstehen. In diesem Sinne zitiert Prokop ein Bonmot aus der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom 2. Juli dieses Jahres in seiner Einleitung: »Deutschland ist das einzige Land, das durch eine Wiedervereinigung gespalten wurde.«

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