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»Meine Trauer ist grenzenlos«
Ngo Van erinnert an den Kampf der Trotzkisten in Indochina
Manche Bücher erscheinen zur richtigen Zeit. Etwa das 1966 von Jürgen Horlemann und Peter Gäng im Anschluss an die Diskussionen eines Arbeitskreises innerhalb des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) verfasste Sachbuch »Vietnam. Genesis eines Konflikts«. Diese Pionierarbeit verkaufte sich nicht nur über 60 000 Mal, sondern schwor auch die sich formierende Opposition gegen den mörderischen Krieg der USA in Vietnam auf die Unterstützung der südvietnamesischen Befreiungsfront FNL (Front National de Libération) und des Regimes in Nordvietnam ein.
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Ngo Van: Im Land der gesprungenen Glocke. Die Leiden Indochinas in der Kolonialzeit. A. d. Franz. v. Daniel Fastner. Matthes & Seitz, 256 S., geb., 26 €.
Die 1941 gegründete, beide verbindende nationale Einheitsfront der Viet Minh sahen Horlemann und Gäng »als einzige Interessenvertreterin der großen Mehrheit der vietnamesischen Bevölkerung« sowohl gegen die frühere Kolonialmacht Frankreich als auch den US-Imperialismus. Bald schon gehörten deren Fahnen ebenso zu jeder Demonstration gegen den Vietnamkrieg wie die Rufe »Ho, Ho, Ho Chi Minh!«, die den Präsidenten im Norden des Landes und langjährigen Anführer der vietnamesischen Kommunisten feierten.
Demgegenüber sind die Lebenserinnerungen von Ngo Van um einige Jahrzehnte zu spät erschienen: 2000 in Frankreich und erst jüngst in deutscher Übersetzung. In den 60er Jahren hätte die Autobiografie unter Umständen das heroische Bild von Ho Chi Minh ernüchtert. Der 2005 im französischen Exil verstorbene Ngo Van war einer der wenigen Überlebenden der in Indochina zeitweise starken trotzkistischen Opposition, die nicht nur eine nationale Befreiung nach Art der Viet Minh, sondern eine »echte internationalistische, gesellschaftliche Revolution« anstrebte. Und die dafür teuer bezahlte. Im Gegensatz zu Ngo Van, der 1948 aus Vietnam flüchtete, seien Tausende seiner Mitkämpfer - »wenn sie nicht von der französischen Kolonialmacht niedergemetzelt, eingesperrt, in die Strafkolonie oder ins Exil gezwungen wurden« - unter Ho Chi Minh und der von ihm gegründeten Partei repressiert worden.
Bereits im Teenageralter hatte sich der Bauernsohn Ngo Van aus dem Norden des Landes, der mit 14 sein Elternhaus hatte verlassen und sich als Metallarbeiter in Saigon verdingen müssen, der Opposition gegen die seit 1880 Indochina beherrschenden Franzosen angeschlossen. Insbesondere die sich seit 1930 stetig ausbreitenden Streikbewegungen und die wilden Landbesetzungen der Bauern, die sich auch gegen die einheimischen Großgrundbesitzer richteten, inspirierten nicht wenige junge Revolutionäre, auf die von Leo Trotzki entwickelte Strategie der »permanenten Revolution« hinzuarbeiten, also auf die Entwicklung einer sozialistischen Perspektive auch in den Kolonien. Und dies mit wachsendem Erfolg.
In einem Bericht des französischen Geheimdienstes von 1937 hieß es: »Die Arbeiter sind eher in der trotzkistischen Partei als in der KP Indochinas verortet.« Und so traf sie die ganze Härte der Kolonialherren. Wie Hunderte andere wurde auch der junge Ngo Van mehrfach verhaftet und musste mehrere Jahre in den Gefängnissen und Straflagern der französischen Kolonialisten verbringen.
Aber nicht nur die Kämpfe gegen diese werden in der Autobiografie nachgezeichnet, sondern auch die Auseinandersetzungen der linken Oppositionellen mit den indochinesischen Stalinisten, die die permanenten Kehrtwendungen der sowjetischen Außenpolitik umzusetzen hatten. Bis 1937 arbeiteten beide Richtungen im engen Bündnis um die Zeitschrift »La Lutte« zusammen. Die Situation änderte sich, als in Frankreich die Volksfront-Regierung von Léon Blum gebildet wurde und es zu einer Annäherung an die Sowjetunion kam. Die KPI unterstützte die neue linke Regierung in Paris aus Kommunisten und Sozialisten, auch wenn diese in der Kolonialpolitik kaum etwas änderte. Nun wurde zur Jagd auf die Trotzkisten, die ehemaligen Partner, geblasen. Aus dem chinesischen Exil verunglimpfte Ho Chi Minh die Gewerkschaften und Bauernräte organisierenden Trotzkisten nicht nur als »Bande von Übeltätern (und) Schoßhündchen des internationalen Faschismus«. Im Guerillakampf gegen die französischen und schließlich auch gegen die japanischen Truppen ging es dann vor allem um die nationale, weniger soziale Emanzipation, für die die linken Kommunisten standen.
Diese Politik wurde nach 1945 im befreiten Norden weiter verfolgt. Ngo Vans Buch endet mit der Beendigung von Landbesetzungen und Arbeiterräten sowie Repressionen gegen seine Genossen. »Der Schlag ist vernichtend, meine Trauer grenzenlos«, schreibt er ein halbes Jahrhundert später.
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