Klimaschutz als Weltmarkteroberung

Der Green Deal zielt auf die globale Stärkung der europäischen Industrie.

Die EU-Kommission hat ihr Klimaschutzprogramm vorgelegt. Der »Green Deal« soll »Emissionen senken, Arbeitsplätze schaffen, unsere Lebensqualität verbessern«, verspricht Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Der Plan wird allgemein begrüßt. Kritik konzentriert sich nur auf zwei Punkte: Der Plan sei zu vage und seine Maßnahmen möglicherweise nicht ausreichend, um den Klimawandel zu bremsen. Einig scheint man sich aber dabei zu sein, dass Klimaschutz das Ziel des Green Deal ist.

Doch bloß um die Senkung von CO2-Emissionen geht es der Kommission offensichtlich nicht. Ihr erklärter Wille, Europa »zum ersten klimaneutralen Kontinent« zu machen, verfolgt den Zweck, europäische Unternehmen beim Klimaschutz in eine Führungsposition zu bringen. »Wir werden unserer Wirtschaft dabei helfen, zum globalen Vorreiter zu werden, indem sie vor allen anderen handelt und indem sie schnell handelt«, teilt die EU-Kommission mit. Das zeigt die Stoßrichtung des Plans: Die EU-Kommission sieht im Green Deal einen Hebel, Europas industrielle Macht gegen die Konkurrenz aus den USA und China zu stärken. »Europas neue Wachstumsstrategie« ist ein anspruchsvolles Programm.

Polen blockiert

Die EU-Staaten haben sich nicht gemeinsam darauf einigen können, Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 anzustreben. Weil Polen das Bekenntnis noch nicht mitgetragen habe, würden die EU-Staats- und Regierungschefs im Juni auf das Thema zurückkommen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Nacht zum Freitag in Brüssel.

Merkel bezeichnete das Ergebnis insgesamt als großen Fortschritt: »Es gibt keine Spaltung Europas«, sagte die Kanzlerin, sondern nur einen Mitgliedstaat, der etwas mehr Zeit brauche. Laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist das Klima-Ziel mit dem Gipfel-Ergebnis »bereits festgeschrieben«.

Tschechien und Ungarn konnten in den Verhandlungen durchsetzen, Atomkraft als akzeptierte Energiequelle auf dem Weg zur Klimaneutralität einzustufen. In der Gipfel-Erklärung heißt es, die EU respektiere »das Recht der Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix zu entscheiden«. Einige Länder hätten erklärt, »dass sie die Kernenergie als Teil ihres nationalen Energiemixes nutzen«. AFP

»So teuer Klimaschutz auch sein kann, kein Klimaschutz ist immer teurer.« Wolfgang Schäuble

Die Senkung der CO2-Emissionen gilt heute auch unter kapitalistischen Gesichtspunkten als notwendig. Denn der Klimawandel ist auf Dauer teurer als der Klimaschutz. Vor rund zehn Jahren ließ der ehemalige Weltbank-Vize Nicholas Stern errechnen: Steigt die globale Durchschnittstemperatur um zwei bis drei Grad Celsius, könnten bis zu drei Prozent der globalen Produktionsleistung dauerhaft verloren gehen. Bei einer Erwärmung um fünf bis sechs Grad Celsius betrage der Verlust sogar bis zehn Prozent. Die jährlichen Kosten des nötigen Klimaschutzes lägen dagegen deutlich niedriger.

In dieser Betrachtungsweise hat das globale Wirtschaftswachstum die Seite gewechselt: Vom Verursacher des Klimawandels wird es zu seinem potenziellen Opfer. Daher soll es zu seinem eigenen Wohl vor seinen Folgen geschützt werden. Daraus folgt umgekehrt: kein Klimaschutz, der dem Wachstum schadet.

»Europa ist eine industrielle Wirtschaft.« Ursula von der Leyen

Das Verarbeitende Gewerbe und seine Produkte sind für einen Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich. Gleichzeitig aber ist es das Herzstück der europäischen Wirtschaft. Hier sind riesige Kapitalmassen angelegt, die Industrie ermöglicht höhere Produktivitätszuwächse als der Dienstleistungssektor, sie produziert nebenher den Großteil der technologischen Innovationen und liefert exportierbare Güter: »Wir sind der größte Ausführer von Industrieerzeugnissen«, so von der Leyen. Darauf beruht Europas ökonomische Macht: Eine starke Industrie gibt Europa seine wirtschaftliche Souveränität und Unabhängigkeit, konstatiert das deutsch-französische »Manifest für eine europäische Industriepolitik«.

Aktuell erlebt die Welt allerdings einen harten Kampf um Marktanteile. »Die Nachfrage nach Industriegütern ist schwach«, erklärt die französische Bank Natixis, »was die Konkurrenz der Staaten um den Erhalt einer großen Industriebasis verschärft.« US-Präsident Donald Trump verspricht, »Industriejobs nach Hause zu holen«. Peking zielt mit seiner Strategie »Made in China 2025« darauf, in wichtigen Bereichen die Weltmarktführerschaft zu erlangen. Vor diesem Hintergrund ist das erklärte Ziel Europas, Industriemarktanteile hinzuzugewinnen, ein offensives Programm gegen die Konkurrenz. Der europäische Think Tank Bruegel weiß, wie es erfolgreich sein kann: »Europas Green Deal muss die Dekarbonisierung zu einer Gelegenheit machen, die europäische Industrie zu beleben.«

»Der weltweit erste klimaneutrale Kontinent zu werden, ist die größte Chance der Gegenwart.« Ursula von der Leyen

Den Klimaschutz als Wachstumschance zu nutzen, ist jedoch nicht so einfach. Zunächst sind riesige Summen nötig, um Technologie zu entwickeln, die mit weniger CO2-Emissionen funktioniert. Diese Technologie muss dies zudem besser und billiger erledigen als die der Konkurrenz. Und sie muss dem Anbieter der Technologie eine Rendite einspielen und dadurch Europas Wachstum voranbringen. Dafür sind im Ausgangspunkt Milliardeninvestitionen nötig, bei denen aktuell jedoch fraglich ist, ob sie eine profitable Anlage sein werden oder bloße Ausgaben, die sich nicht rentieren. »Der Erfolg der neuen Technologien ist höchst unsicher«, mahnt das Institut Bruegel.

Damit »grüne« Technologie zu einer Profitquelle wird, kümmert sich die EU-Kommission auch um die alten, »braunen« Industrien. Denn ihre Produktionsmethoden sind bislang vielfach kostengünstiger als die der neuen. Um Klimatechnologie konkurrenzfähig zu machen, wird daher die Anwendung alter Technik per politischem Beschluss unrentabler gemacht: Die Setzung von Preisen für CO2-Emissionen verteuert klimaschädlichere Industrieproduktion und schafft so überhaupt erst einen Markt für klimaneutrale Technologie. Damit dieser Markt ein Weltmarkt und Europas Klimatechnik zum Exportschlager wird, müssen CO2-Preise weltweit verankert werden.

»Wie bei jeder Revolution wird es bei der Dekarbonisierung Gewinner und Verlierer geben«, stellt das Bruegel-Institut fest. Den Gewinnern winkt ein riesiges Geschäft, den alten Industrien dagegen eine riesige Entwertung von geschätzten 9000 Milliarden Dollar weltweit in den nächsten 15 Jahren: »Die anstehende Zerstörung des Kapitals ist sehr kostspielig«, so die Bank Natixis.

Aus diesen Bedingungen entsteht der Anspruch der EU-Kommission, Europa in Sachen Klimatechnologie weltweit führend zu machen, um den anderen voraus zu sein. »Nur wer am schnellsten handelt, wird die Chancen des ökologischen Wandels für sich nutzen können«, sagt von der Leyen.

»Europa muss beim Übergang hin zu einem gesunden Planeten und in eine neue digitale Welt die Führung übernehmen.« Ursula von der Leyen

Den Klimaschutz zu Europas Wachstumsprogramm zu machen, erfordert laut EU-Kommission Investitionen in Höhe von 260 Milliarden Euro jedes Jahr. Den Großteil davon soll der private Sektor beisteuern. Doch der investiert nur, wenn Rendite winkt. Um den Unternehmen Planungssicherheit zu geben, verspricht die Kommission daher, die öffentlichen Investitionsströme über viele Jahre aufrechtzuerhalten: »Wir werden Rekordsummen in Spitzenforschung und Innovation investieren.« Gleichzeitig verteuert sie innerhalb der EU die CO2-Emissionen und setzt schärfere Produktstandards, um Unternehmen zur Entwicklung kohlenstoffarmer Produktionsmethoden und Produkte anzutreiben. Dabei kann die EU darauf setzen, dass ihr Binnenmarkt ein riesiger Absatzmarkt ist, auf dem Europas Unternehmen ihre Güter zur Weltmarktreife entwickeln können. Die EU muss »die Größe ihres Marktes voll ausnutzen, um die daraus entstehenden Vorteile zu nutzen«, rät das Bruegel-Institut. Parallel bemüht sich Brüssel um die globale Einführung von CO2-Preisen, um den Zwang zur CO2-Einsparung zu verallgemeinern und so Auslandsmärkte für Europas Klimatechnologie zu schaffen. Den Green Deal in andere Länder zu exportieren würde »die europäische Industrie in die Lage versetzen, in neue, schnell wachsende Märkte vorzudringen«, erklärt Bruegel.

Um die aus der CO2-Verteuerung folgenden Wettbewerbsnachteile für Europas Unternehmen zu mindern, verspricht die Kommission staatliche Subventionen wie auch den Schutz vor billigeren Importen aus dem Ausland: »Um sicherzustellen, dass unsere Unternehmen zu gleichen Bedingungen konkurrieren können, werde ich eine CO2-Grenzsteuer einführen«, so von der Leyen. Das dürfte für Ärger sorgen. Ende November warnte Peking die EU davor, Chinas Exporte mit einer CO2-Steuer zu belegen. Und »Donald Trump geht durch die Decke, wenn er erfährt, dass die Europäer eine CO2-Abgabe auf US-Produkte planen«, prophezeit Chris Bryant vom Finanzdienstleister Bloomberg.

Europas Streben nach Führung in der Klimatechnik ist damit ein integraler Teil der europäischen Strategie, seine »technologische Souveränität« auszubauen. Laut von der Leyen sollen die EU-Unternehmen nicht nur »in der Kreislaufwirtschaft und bei sauberen Technologien weltweit führend sein«. Eine technologische Vorreiterstellung soll darüber hinaus »in einigen kritischen Technologiebereichen« wie Hochleistungsrechner, Quanteninformatik, industrielles Internet, autonome Fahrzeuge und Wasserstofftechnologie erlangt werden. All dies dient laut einer Expertengruppe der EU-Kommission der »Stärkung der industriellen Basis Europas« mit dem Ziel, »Europas Rolle auf der Weltbühne zu stärken«.

Man sieht: Beim Green Deal geht es um mehr als bloß darum, dass »unsere Wildtiere und -pflanzen geschützt« und »die Lebensqualität unserer Bürger verbessert wird«.

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