- Kultur
- »Love, Ren Hang«
China, jenseits der Sweatshops
Mit Sexualität und Natur spielen: Der Fotograf Ren Hang modellierte aus nackten Körpern surreale Bildwelten
Körper formieren sich zu einer Landschaft. Ausgestreckt liegen sie nebeneinander. Die Rückenpartien sind auf dem Boden. Das Kameraauge gleitet über Bäuche und Brüste. Venushügel sind sanftere Erhebungen, entblößte Brüste und schroffere Brustwarzen. Es wirkt tatsächlich wie eine Mittelgebirgslandschaft, wie Ren Hang, 1987 im Nordosten Chinas geboren, die Körper seiner weiblichen Aktmodelle anordnete. Liegen sie auf dem Bauch, erheben die sich mal rosa blassen, mal leicht gebräunten Gesäße in der runden Formen der Dünen und kreieren eine Wüstenlandschaft.
Ren benutzte menschliche Körperformen zum Erschaffen von Bildern. Das erinnert zuweilen an den italienischen Renaissancemaler Giuseppe Arcimboldo, nur dass Ren umgekehrt operierte. Nahm Arcimboldo Früchte und Pflanzen, um menschliche Gestalten zu porträtieren, so gestaltete Ren aus Menschenkörpern Landschaften. In anderen Arbeiten erinnert er mehr an die literarischen Bilderwelten eines William Shakespeare. Ein Frauengesicht schwebt förmlich in einem Gewässer. Umgeben ist es mit den großen Blättern von Seerosen. Ophelia, gerade ertrunken, kommt in den Sinn.
Wieder andere Bilder spielen mit Sexualität und Natur. Ein nackter Mann trägt eine Echse auf der Schulter. Dass es sich um ein lebendes Tier handelt, sieht man in zwei Videos, die in der Ausstellung »Love, Ren Hang« der Galerie C/O Berlin über Leben und Arbeitsweise des Künstlers berichten. Ein anderer Männerakt ist von Faltern umschwirrt. Eine Wolke des Begehrens? Eine zart erkundende Begegnung? Die Auflösung liegt im Auge des Betrachters.
Eine andere Mensch-Natur-Inszenierung zeigt eine Frau rücklings liegend auf einem mächtigen, sich waagerecht ausbreitenden Ast. Ihr Kopf neigt sich herunter, wendet sich dem Kopf einer aufrecht stehenden, ebenfalls unbekleideten Frau zu. Ihre Lippen berühren sich. Ihre Körper nehmen zugleich die Linien der Bäume auf, die senkrechten des Stammes, die waagerechten des Astes. Menschenleiber und Natur befinden sich in harmonischer Spannung.
Zuweilen erinnern Rens Akte in der Natur an die stark konturierten, mit Leimfarbe auf Rupfen gemalten Landschaftsakte des Berliner Expressionisten Otto Mueller. Meist aber lösen sie sich von Vorgaben jeder Art.
Ren, ausgestattet mit einer nur handgroßen Analogkamera, schuf ein surreales Reich aus Körpern. Er operierte mit Männer- wie Frauenkörpern gleichermaßen. Geschlechterdifferenzen verschwimmen bei ihm, waren ihm offenbar nicht wichtig. Wichtig war ihm vor allem, Genitalien zu zeigen. Gern zitiert wird sein Anliegen, Chinesen anders zu zeigen als die geschlechtlosen Massenwesen, die den sozialistischen wie auch den postsozialistischen Bildkosmos prägten.
Seine Fotos schoss Ren, ein gelernter Werbefachmann, oft in seiner Wohnung, aber auch in Parks oder auf Hausdächern. Erst waren Freunde seine Modelle, später erweiterte sich die Basis um Fans. In den Videodokumentationen ist zu sehen, wie sich Gemeinschaften konstituierten, wie Rens Modelle sich gegenseitig halfen, schön zu sein für die Fotosessions. Überraschend ist, angesichts der Klarheit und Reinheit der Fotos, dass Ren mit einer billigen Analogkamera operierte, oft den eingebauten Blitz nutzend, seltener mit externen Lichtquellen.
Wegen seiner Aktfotos wurde Ren einerseits geschätzt; er hatte Ausstellungen in China und im westlichen Ausland. Er erzählt in der Dokumentation aber auch, dass viele seiner Schauen in China geschlossen wurden, manche sogar am ersten Tag.
Aus westlicher Perspektive wird er gern als Tabubrecher beschrieben, auch wegen des behördlichen Widerstands, dem er sich ausgesetzt sah. Er selbst pflegte zu sagen: »Ich interessiere mich nicht für die politischen Kontexte.« Das mag eine Schutzbehauptung gewesen sein. In den Fotos wird aber auch deutlich, dass er es ernst gemeint haben könnte. Denn die Bilder sind voller Poesie. Voller Traurigkeit sind sie häufig auch. Zwar schwebt erotische Spannung über den Körpern, doch ebenso legt sich der Hauch von Tod und Vergehen über sie. Ren selbst litt immer wieder an depressiven Schüben. Er nahm sich vor zwei Jahren das Leben, mit einem Sprung aus dem Fenster. Ein Bild, das einen nackten jungen Mann in freiem Fall vor einer Hausfassade zeigt, wirkt wie eine Vorahnung des eigenen Endes.
»Leben ist eine wertvolle Gabe. Doch oft spüre ich, dass sie der falschen Person geschenkt wurde«, lautet ein Poem Rens - eines, das seine Verzweiflung offenbart, aber auch enormen Respekt vor dem Leben. Das die wohl stärkste Botschaft, die sein Werk ausstrahlt. Es handelt sich um eine umfassende Liebe zum Leben, die über die Grenzen von Mann und Frau weit hinausgeht.
Verdienstvoll also, dass die C/O Berlin das Werk dieses Künstlers in zahlreichen großen Bildtafeln präsentiert. Ren porträtiert zugleich ein anderes China, jenseits der Sweatshops, des Technologiekopierens und des Massenkonsums. Da wird er dann doch ein politischer Künstler, sogar im Westen.
»Love, Ren Hang«, bis 29.2.2020, C/O Berlin, Amerika Haus, Hardenbergstraße 22-24 Berlin
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