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An der Armleuchterlinie
«Hasta la Westler, Baby» von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner in den Kammerspielen des DT in Berlin
Ein schnelles Land hat ein langsames Land besiegt«, so fasste der Marxist Günther Jacob den Anschluss der DDR an die BRD zusammen - in einem Gespräch mit dem Popmusiker Jochen Distelmeyer Anfang der 90er Jahre.
Heute verlaufe die Spaltung der Gesellschaft nicht mehr entlang der Grenze zwischen Ost und West, sondern entlang der »Armleuchterlinie«, erklärt Jürgen Kuttner als Conferencier in dem neuen Stück »Hasta la Westler, Baby!«, das er zusammen mit Tom Kühnel geschrieben hat. Es läuft in den Kammerspielen am Deutschen Theater in Berlin. Die »Armleuchterlinie« trenne die Dummen und die Nichtdummen, denn »die Ostler können tüchtig doof sein und auch die Westler, nur dass die schneller sind«, meint Kuttner.
Von Günther Jacob stammt die Parole »Nie wieder Deutschland«; versehen mit dem Zusatz »Je geteilter, desto besser« hatte er sie sich Ende 1989 bei der Formulierung eines Flugblatts ausgedacht, mit dem ein Hamburger Bündnis gegen die Wiedervereinigung mobilisierte. Im Mai 1990 diente sie als Motto für eine Demo »gegen die Annexion der DDR« in Frankfurt am Main, zu der 20 000 Menschen kamen. Es war die Rest- und Westlinke, auch Ostlinke reisten an. Seitdem steht im Impressum der »Titanic« der Spruch »Die endgültige Teilung Deutschlands - das ist unser Auftrag«, eine Äußerung des Zeichners Clodwig Poth. Das war politisch gemeint gewesen, gegen den wieder erstarkten deutschen Nationalismus und die »Kohlonisierung« der DDR, wie man damals sagte.
Politisch hat dieser Protest nichts vermocht, die Teilung aber wurde fortgesetzt, als ökonomische Katastrophe für den Osten. Die Ausschaltung der ostdeutschen Wirtschaft durch westliche Firmen war Kapitalismus wie aus dem Lehrbuch.
»Hasta la Westler« erzählt diese Geschichte von Gewalt und Depression nicht als Katastrophenballett, sondern als bunten Abend wie ein Sketchprogramm im Landschulheim. Mit idiotischen Zitaten früherer Politiker, meist sächsischen O-Tönen erstaunter Ostler, die sich über ihre neuen Reisemöglichkeiten freuen, aber ihre Arbeitsplätze verlieren und mit massenweise guten Songs. Vieles davon wird im Playbackmodus wie einst in der ZDF-»Hitparade« vorgetragen, nur dass hier eine Drehbühne rotiert, mit wehendem Vorhang, unter dem die Schauspieler kurz hervortreten, als seien sie Bestandteil einer Kuckucksuhr.
Zu Beginn sitzen sich Ost und West wie bei einem Psycho-Workshop auf zwei Stühlen gegenüber: »Ich habe den Gegner verloren«, seufzt Peter René Lüdicke für den Osten, den Maren Eggert für den Westen richtig hübsch findet, »nur das Essen ist so fett«. Im Westen aber gebe es bestimmt »Buletten auf dem Fußboden«, glaubt Lüdicke und fragt sich, ob der Ostler vielleicht die unbewusste Schattenseite des Westlers sei? Dann zitiert er Heiner Müllers »Herzstück«: »Darf ich Ihnen mein Herz zu Füßen legen?« und Eggert antwortet: »Wenn Sie mir meinen Fußboden nicht schmutzig machen.« Ja, so war das damals öfter in deutsch-deutschen Beziehungen. Hier kommt es zu einer ebenso verkrampften wie süßen Fass-mich-nicht-an-Umarmung, eine Art Yoga auf zwei Stühlen.
Bei den Songs wird das Langsame beschleunigt und das Schnelle verlangsamt. Es ist sehr schön, wenn Maren Eggert »Lenin« von Ernst Busch so hauchend balladesk singt wie Marilyn Monroe ihr Geburtstagsständchen für Präsident John F. Kennedy. Bei »Lenin« in dieser Version denkt man nicht mehr an die Macht des sowjetischen Kommunismus, sondern an die des US-Kapitalismus, auch weil man es sich anders schon gar nicht mehr vorstellen kann: »Er rührte an den Schlaf der Welt, mit Worten, die Blitze waren, sie kamen auf Schienen und Flüssen daher, durch alle Länder gefahren.«
Der von östlicher Seite verlorene Wettlauf der Systeme wird auf der Drehbühne am besten durch zwei Liedausschnitte, die hintereinander abgespielt werden, symbolisiert: Auf »Ich bin ein arbeitsscheuer Ostler und hab mein’ Spaß dabei« von Fluchtweg folgt das Volkslied »Wir sind zwei Musikanten und komm’n aus Schwabenland. Wir können spielen Vio-vio-violin (...) Und wir könn’n tanzen hopsasa, hopsasa, hopsasa«. Derart wird bis heute die Gentrifizierung in Berlin diskutiert.
Die Songs sind insgesamt witziger als die Sketche, die alle etwas zu lang geraten sind. Kuttner kommt ja, ähnlich wie Oliver Kalkofe oder Stefan Raab vom Video-Schnipsel-Humor. Hat er nicht gemerkt, wie kurz die heute auf YouTube sein müssen? Am monotonsten ist es, wenn verdatterte Ostler verkleidet als Indianer, von Bozidar Kocevski als Cowboy die Rhetorik des Verkaufsgesprächs mit dem Holzhammer bzw. mit dem Colt beigebracht bekommen.
Als Mann des Ausgleichs an der »Armleuchterlinie« zitiert Conferencier Kuttner für das ideologische Yin und Yang aus Honeckers Verteidigungsrede vor dem Berliner Landgericht 1992. Der hat da ja auch richtige Sachen gesagt, oder? Und um sich davon gleich wieder zu distanzieren, zieht Kuttner sich bis auf die Unterhose aus, ölt sich ein und sagt: »Jeder macht sich vor der Geschichte so lächerlich, wie er kann.« Dann steigt er in eine Kabine und lässt sich nicht teeren, aber federn (mit Gebläse) und sieht danach wirklich lächerlich aus.
Interessanter sind Zitate aus den Tagebüchern von Michael Eberth, der in den 90er Jahren aus dem Westen als Chefdramaturg ans DT kam und sich über das politisch harmlose Pogramm des damals neuen Intendanten Thomas Langhoff lustig machte. Das war ein ortskritischer Wink mit dem Zaunpfahl von Kuttner, der auch die Nebenbemerkung macht, er würde »postdramatischen Zirkus« spielen, während im selben Haus parallel der postdramatische René Pollesch aufgeführt wird.
Kuttners neues Witzschlagwort ist dann auch »postcircensisch«. Was fehlt ist die konkrete Frage nach Nazis und ihren Opfern und Gegnern seit 1989. Stattdessen wird ein Interview, das der britische Historiker James Hawes vor zwei Jahren dem »Vice«-Magazin gegeben hatte, in Auszügen von Peter René Lüdicke als Rede vorgetragen. Demnach wurde Westdeutschland schon 800 von den Franken gegründet, während hinter der Elbe die wilden slawischen Stämme gelebt hätten: »Man hätte die Elbe nie überqueren sollen!« Immer, wenn Konrad Adenauer mit dem Zug über die Elbe gefahren sei, habe er ausgerufen: »Jetzt beginnt Asien.« Aber nur in Kuttners Landschulheim.
Eines der wenigen Lieder, die in diesem Stück voll ausgespielt werden, ist der »Bundesadler« von Funny van Dannen. Dazu zeigt man ein neues Video: Kocevski macht sich in einem Adlerkostüm zum Obst und fliegt in einem Video auf die Berliner Mauer, auf den Mond und ins Auto neben Grace Kelly. Funny van Dannen singt: »Flieg, Adler, flieg! Und er flog, ja klar! Aber keiner wusste, was für ein kaputter Typ das war.«
Tritt man nach der Vorstellung aus dem Deutschen Theater, dann weiß man nicht so richtig, wo man nun hinfliegen soll. Links geht es zum Friedrichstadtpalast und rechts in Richtung Westen.
Nächste Vorstellungen; 9.2., 24.2., 29.2.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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