Ende einer Geisterfahrt

Wolfgang Hübner über die Folgen des politischen Chaos in Thüringen

Thomas Kemmerich wollte zügig und unbekümmert zur Tagesordnung übergehen. Nach seiner Wahl zum Thüringer Ministerpräsidenten mit den Stimmen der gesamten AfD-Fraktion machten seine ersten Termine die Runde: ein Grußwort bei Carl Zeiss in Jena, ein Besuch bei einer Nachhaltigkeitskonferenz, dazwischen vielleicht noch Gespräche mit anderen Parteien über eine neue Regierung. Dass seine Amtsübernahme nichts mit dem politischen Normalbetrieb zu tun hat, diese Erkenntnis musste dem FDP-Mann erst die geballte öffentliche Empörung einbläuen. Nur wenige, wie die stockkonservative Werteunion und der ebenso rechtslastige Publizist und Hobbypolitiker Helmut Markwort, finden die ganze Sache demokratisch tadellos.

Die Empörung war so breit und einhellig wie selten. Vertreter fast aller Parteien, von Kirchen, Verbänden, Gewerkschaften, aus Kultur und Wirtschaft kritisierten die Skandalwahl derart heftig, dass Kemmerich nicht nur seine Termine sausen ließ, sondern kurz darauf auch gleich das neue Amt. Dass er am Donnerstagmittag seine Geisterfahrt beendete, ist auch FDP-Chef Christian Lindner zu verdanken, der schleunigst nach Erfurt geeilt war, um Schlimmeres für seine ganze Partei zu verhindern - von der man sich spätestens jetzt fragen kann, wozu sie eigentlich gebraucht wird. Wenn es stimmt, was Kemmerich über seine jüngsten Kontakte zu Lindner äußerte - dass er mit ihm vor der Wahl permanent in Kontakt gewesen sei und besprochen habe, »was wir hier in Thüringen beschlossen haben« -, dann wird Lindner selbst auch noch einige dringende und unangenehme Fragen zu beantworten haben.

Wie ohnehin aufzuarbeiten ist, in welchem Maße CDU und FDP in Thüringen seit der Landtagswahl vor gut drei Monaten mit einer gewissen Unterstützung aus der Höcke-AfD kalkulierten oder darauf spekulierten. Jedenfalls berichten Teilnehmer an den vielen Gesprächen, die seither im Freistaat geführt wurden, dass in CDU und FDP genau über die Methode zur Verdrängung von Rot-Rot-Grün nachgedacht wurde, die jetzt makabre Wirklichkeit geworden ist.

Was man daraus leider auch lernen muss: Hoffnungen in eine demokratische Vernunft, die eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten möglich machen könnte, prallen ab an der schnöden Borniertheit des Machtdenkens.

Wenn der Sündenfall von Erfurt überhaupt zu irgendetwas taugt, dann dazu: zu beweisen, dass es in der Mehrheitsgesellschaft noch einen antifaschistischen Grundkonsens gibt. Diese Klarstellung ist dringend notwendig.

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