Pulverdampf und Weltverschwörungskitsch
Nicht so toller Hokuspokus: Stephen Kings Roman »Das Institut«
Stephen King hat gelegentlich durchblicken lassen, dass es ihn schmerzt, als Trivialschriftsteller zu gelten - zumindest bei den Preisjuroren, die die höheren literarischen Weihen vergeben, und bei jenen Literaturkritikern, die seiner Ansicht nach an »intellektueller Arterienverkalkung« leiden und sich nicht vorstellen können, dass im Genre des Horrors Kunstwerke entstehen können. In Kings Roman »Misery« sehnt sich der Bestseller-Autor Paul Sheldon nach der Anerkennung, die ihm versagt geblieben ist, und in »Es« denkt der Schriftsteller Ben Denbrough voller Erbitterung daran zurück, wie er als Student in einem Creative-Writing-Kurs verhöhnt worden ist, weil er die frevlerische Meinung vertreten hat, dass es beim Schreiben darauf ankomme, eine gute Geschichte zu erzählen.
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Stephen King: Das Institut.
A. d. amerik. Engl. v. Bernhard Kleinschmidt. Heyne, 768 S., geb., 26 €.
»Meine Bücher sind das literarische Äquivalent eines Big Mac mit einer großen Portion Pommes«, bekannte King einmal trotzig, doch der Ehrgeiz, neben dem überwältigenden Publikumserfolg endlich das Lob der tonangebenden Literaturkritiker zu erhalten, verführte ihn dazu, auch etwas vermeintlich Raffinierteres zu wagen. So entstand der Roman »Dolores Claiborne«, der 1992 erschien. Darin erklärt die titelgebende Ich-Erzählerin: »Anstatt die Geschichte von vorn nach hinten oder von hinten nach vorn zu erzählen, werde ich in der Mitte anfangen und mich sozusagen in beide Richtungen vorarbeiten.« Dieser ambitionierte Kunstgriff ist dem Roman jedoch schlecht bekommen, und es ist kaum verwunderlich, dass »Dolores« nicht zu den größten Favoriten seiner Fans zählt. Das zeigen die im Internet platzierten Rankings seiner Werke.
Inzwischen scheint er sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Kings jüngster Roman »Das Institut« ist jedenfalls reiner und geradlinig erzählter Trash. Es geht um Telekinese, Telepathie, Kindesentführung und politische Attentate, und im Hintergrund zieht eine dunkle Macht die Fäden. Dagegen wäre nicht viel einzuwenden, wenn das Böse hier so furchteinflößend wäre wie in Kings Meisterwerken »Shining«, »Es« oder »Friedhof der Kuscheltiere«, aber die im »Institut« tätigen Schurken bleiben allesamt so flach wie Abziehbilder. Erst nach Hunderten von Seiten nimmt die Geschichte allmählich Fahrt auf und läuft dann auf einen in jeder Einzelheit vorhersehbaren Showdown hinaus.
Am stärksten sind die Passagen, die von der Flucht eines Jungen handeln. Zu Fuß, im Paddelboot und als blinder Passagier an Bord eines Güterzugs versucht er seine Haut zu retten und möglichst viele Meilen zwischen sich und seine mächtigen Verfolger zu bringen. Da ist King auf der Höhe seiner Kunst der Einfühlung in eine verängstigte Menschenseele und der Schilderung aller vertrackten Probleme, die ihrer Rettung entgegenstehen: »Nachzudenken war wie der Versuch, durch ein mit Fett beschmiertes Fenster zu blicken. Er ließ sich auf alle viere nieder, krabbelte zur hinteren rechten Ecke des Wagens, spähte zwischen zwei Bodenfräsen hindurch und wartete darauf, dass die Männer aus dem Laster wiederkamen, um die restlichen Möbel für Bender und Bowen auszuladen. Möglicherweise entdeckten sie ihn trotzdem, das war ihm völlig klar. Es waren Männer, und Männer inspizierten liebend gern alles, was einen Motor hatte.«
Das sind Seiten, die vielleicht auch Edgar Allan Poe, Mark Twain und Jack London gut gefallen hätten. Der erzählerische Wust aus Parapsychologie, Hokuspokus, B-Western-Pulverdampf und Weltverschwörungskitsch, der darauf folgt, ist leider nur Hintertreppenliteratur, und die Spannungskurve gleicht einer Zielgeraden. Oder gibt es Leser, denen sich die Nackenhaare aufstellen, wenn telekinetisch begabte Kinder mit einem Ringelreihen ein Gebäude dazu veranlassen, sich vom Erdboden zu lösen?
Es lässt sich nicht beweisen, aber es ist auch nicht widerlegbar, dass King ohne seinen zu Recht in aller Welt berühmten Namen keinen Verlag für diesen Roman gefunden hätte. Einsteigern ist er nicht zu empfehlen. Wer noch nichts von King kennt, sollte lieber mit »Misery«, »Friedhof der Kuscheltiere« und »Es« beginnen und sich dann auf eigene Gefahr noch tiefer in den Sumpf begeben.
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