Im tiefen Staat braucht man einen Schutzengel

Jerome Leroy erzählt die Vorgeschichte zu seinem Erfolgsroman »Der Block«

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit seinem Roman »Der Block« über die französische Rechte schaffte es der Krimiautor Jerome Leroy 2018 aufs Siegertreppchen des deutschen Krimipreises (3. Platz). Leroy, der auch Lyrik, Essays und Jugendbücher schreibt, versteht es, aktuelle politische Ereignisse und Entwicklungen in spannende Prosa zu packen und Zeitgeschichte zu fiktionalisieren. »Der Block« war in Frankreich schon 2011 erschienen. Es ging darin um den Aufstieg einer Partei, die dem Front National nachgebildet war. In seinem fantastisch angehauchten Roman noir »Die Verdunkelten« (2018) setzt er ein krisengeschütteltes Frankreich fast schon beängstigend real in Szene.

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Jerome Leroy: Der Schutzengel.
A. d. Franz. v. Cornelia Wend. Nautilus, 352 S., br., 20 €.

Leroy ist Jahrgang 1964 und lebt in Lille. In vielen seiner Bücher beschäftigt er sich mit Rechten und Neofaschisten, mit polizeilicher Willkür und staatlicher Repression. Er ist damit am Puls der Zeit, auch wenn sein neuer, jetzt auf Deutsch erschienener Roman »Der Schutzengel« in Frankreich bereits 2014 herauskam.

Das gut 350 Seiten lange Buch ist eine Art Prequel zu seinem Erfolg »Der Block«. Wobei die Handlung über die aufstrebende Rechte in Frankreich eher das Hintergrundrauschen der aberwitzigen Geschichte abgibt, in der es um Geheimdienste, Menschen aus den Banlieues, politische Karrieren in der Sozialistischen Partei und einen aufgeladenen und mörderischen Wahlkampf in der französischen Provinz geht.

Im Zentrum der Geschichte steht der titelgebende »Schutzengel«, ein 60-jähriger Geheimdienstmitarbeiter namens Berthet. Der ist für die schmutzige Arbeit seines Dienstes, der Unite, zuständig, eines geheimen, inoffiziellen Sicherheitsorgans.

In Rückblenden wird aus Berthets Vergangenheit erzählt, wie er mordete, folterte und mithilfe einer parastaatlichen Infrastruktur politische Konflikte manipulierte und bei Bedarf eskalieren ließ. Meist geschah das zugunsten der politischen Rechten, wenngleich er selbst sich eigentlich als gemäßigter Linker fühlt.

Nun soll aber der alternde Berthet dran glauben. Die Unite will ihn beseitigen, schickt eine ganze Gruppe Killer, die ihn aufspüren und ermorden sollen; aber Berthet, der immer wieder darüber sinniert, dass er kurz vor dem (in Frankreich üblichen) Renteneintrittsalter steht, setzt sich mit verstörender Brutalität zur Wehr und kommt davon. Gleichzeitig erfährt er, dass die junge sozialistische Politikerin Kardiatou Diop, eine Frau aus den Banlieues mit senegalesischem Elternhaus, ebenfalls auf der Abschussliste seines Dienstes steht.

Dabei ist der Schutz dieser Frau das oberste Ziel Berthets, denn mit dieser karrierebewussten Vorzeigepolitikerin verbindet ihn ein ganz eigenwilliges Verhältnis. Berthet mischt sich schützend in den Wahlkampf in der französischen Provinz ein, bei dem Diop gegen Agnes Dorgelles antritt, die Frontfrau der rechten Partei, die Marine Le Pen nachempfunden ist und auch schon in Leroys Roman »Der Block« eine zentrale Rolle spielte.

Zuvor aber hat Berthet Kontakt zu dem 50-jährigen Krimiautor Martin Joubert aufgenommen, der als eine Art Rückversicherung seine Memoiren schreiben und im Fall seines Todes veröffentlichen soll.

»Der Schutzengel« erzählt in erster Linie die Geschichte von verdeckt arbeitenden Diensten, die jeder demokratischen Idee eines Rechtsstaates Hohn sprechen. Die Unite, der »Tiefe Staat«, wie der Dienst auch genannt wird, ist eine Fiktion in Anlehnung an das Italien der 1970er Jahre, als mit der Freimaurerloge P2 und Gladio, einer Nato-Geheimarmee, die unter anderem Anschläge verübte und gegen die damals erfolgreiche radikale Linke operierte, in Italien quasi ein Staat im Staat existierte.

Im Roman werden die Strukturen der Unite schließlich mit Hilfe des Schriftstellers Martin Joubert offengelegt, also geleakt. Der zuvor vergleichsweise erfolglose Joubert, der überdies an einer Midlife-Crisis leidet, veröffentlicht basierend auf den Geschichten Berthets einen Roman und betreibt eine Internetseite, die den schmutzigen Krieg der französischen Regierung offenlegt. Die Folge der Veröffentlichung ist ein politisches Erdbeben. Als dann auch noch wie zu erwarten der Wahlkampf in der Provinz eskaliert und zu einer mörderischen Angelegenheit wird, muss Berthet alles riskieren, um seine geliebte Kardiatou Diop zu schützen.

Die Erfolgspolitikerin wird als Dreh- und Angelpunkt dieses Romans zur sexuellen und romantischen Projektionsfläche verschiedener Männer, aus deren Perspektive diese Geschichte erzählt wird. Wobei fast alle Männer in diesem Buch auf die eine oder andere Art Sexisten oder Rassisten sind.

Für Fans von Jerome Leroy dürfte der Roman vor allem auch aus dem Grund interessant sein, weil mit Martin Joubert ein literarisches Alter Ego des Autors auftaucht, das natürlich reichlich verfremdet ist, aber auch zeigt, dass Leroy über ausreichend Selbstironie verfügt.

In »Der Schutzengel« werden somit auch das Verlagsgeschäft und die Rolle rechter und faschistischer Kräfte in dieser Branche thematisiert, die auch hierzulande für die rechten Bewegungen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Leroys Roman von 2014 bietet also ein ganzes Panorama aktueller politischer Themen und besitzt dabei eine komplexe Erzählstruktur, denn die aus verschiedenen Perspektiven erzählte Geschichte setzt sich langsam wie ein Puzzle zusammen. Und bleibt garantiert bis zur letzten Seite spannend.

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