Geschmeidig und leichtfüßig

Plädoyer für Zurückgenommenheit: das Duoalbum »Rejoice« von Tony Allen und Hugh Masekela

  • Jan Paersch
  • Lesedauer: 4 Min.

Tony Allen ist nicht irgendein Drummer. Tony Allen ist der Typ, dessen Schlagzeugspiel man noch erkennen würde, spielten es Jugendliche am anderen Ende des S-Bahn-Waggons gedämpft über Handylautsprecher ab. Abgesehen davon, dass Teenager selten ein derartiges Geschmacksniveau erreichen: Warum sollte man Tony Allen leise hören? Der in der Band des legendären Fela Kuti zu Ruhm gekommene Nigerianer wurde von Ambientguru Brian Eno einmal als bester Drummer, der je gelebt habe, gerühmt. Kuti selbst, der afrikanische Tradition und westlichen Funk Ende der Sechziger zu einem neuen Genre fusionierte, sagte: »Ohne Tony gäbe es den Afrobeat nicht.«

Und nun sitzt dieser Über-Drummer im Büro seiner Managementfirma in Paris und hat schlechte Laune. Es ist der letzte Interviewtermin des Tages, und Allen hat wirklich gar keine Lust zu reden. »I don’t wanna talk about Fela«, grummelt der Wahlfranzose ins Telefon. Damit das schon einmal klar ist. Das Kapitel »Fela« hatte er bereits 1979 geschlossen. Nach mehr als 30 gemeinsamen Alben verließ der Schlagzeuger den egomanischen Bandleader, der mit Frauen wie Musikerkollegen zuweilen so umging, als seien sie seine Leibeigenen. In der Folge nahm Allen Soloalben auf, trommelte für Charlotte Gainsbourg, Jimi Tenor und Damon Albarn. Und er kontaktierte einen Mann, den er bewunderte, aber aufgrund seines unbarmherzigen Tourneeplans kaum je traf: Hugh Masekela. Der gleichaltrige Südafrikaner hatte sich nicht nur als Jazztrompeter einen Namen gemacht, sondern auch als unablässiger Kritiker des Apartheidregimes in seiner Heimat. 1960 verließ er Südafrika und kehrte erst nach drei langen Jahrzehnten zurück.

»Er ist ein Genie«, so Allen in der Gegenwartsform über den 2018 an Krebs verstorbenen Masekela. »Er hat eine einzigartige Spielweise, ganz anders, als alle anderen. Seine Flexibilität und sein Ansatz sind außerordentlich.« Schon in den Achtzigern hatten die beiden ein Album aufnehmen wollen, doch erst 2010 fielen ihre Tourneepläne in London zusammen. »Buena Vista Social Club«-Produzent Nick Gold buchte ein Studio, spontan erarbeiteten Schlagzeuger und Trompeter die Basis von acht Tracks mit einem Bassisten. Stets war es Allen, der mit einem Drumpattern begann, mit Akzent auf Snare und Hi-Hats, was es Masekela leicht machte, darüber Melodien zu improvisieren. »Wenn du ein Haus baust, baust du zuerst das Fundament«, sagt Allen in ungeduldigem Tonfall über die Aufnahmen. »Und die Drums sind das Fundament jeder Musik. Die Drums sind die Basis.«

Tony Allen, vor fast 80 Jahren in Lagos geboren, ist vermutlich noch immer der beste Schlagzeuger der Welt. Die acht Songs auf »Rejoice« beweisen einmal mehr: Keiner sonst spielt so mühelos und geschmeidig, keiner sonst kommuniziert so leichtfüßig mit Snare Drums und Hi-Hats. Wenn man Allen Glauben schenken darf, schüttelt er so etwas aus dem Ärmel: »Üben? Das brauche ich nicht. Ich übe im Kopf. My mind is where I practice.«

Auch Hugh Masekelas Beiträge zu dem Album sind von maximaler Gelassenheit geprägt. Und doch klingen sie genau so scharf und pointiert wie 1968, als sein Instrumental »Grazing in the Grass« Platz eins der US-Charts erreichte. Masekela spielt auf »Rejoice« vor allem das im Vergleich zur Trompete sanfter tönende Flügelhorn.

Das Album wurde jedoch erst mit einem Jahrzehnt Verspätung fertig. Ein Jahr nach Masekelas Tod versammelte Produzent Gold junge Cracks von angesagten Londoner Jazzbands, um sie sehr subtile Overdubs einspielen zu lassen: Ein Fender Rhodes hier, ein Saxofon da. Viel war nicht vonnöten. Vermutlich haben sich Künstler*innen wie Keyboarder Joe Armon-Jones (Ezra Collective) und Bassistin Mutale Chashi (Kokoroko) auch nicht lange bitten lassen. »Rejoice«, verdeutlicht, warum sich Jazzer in ihren Zwanzigern immer wieder auf Allen und Masekela beziehen: Gerade in London hat es heute kaum einer mehr nötig, mit Ego-Geprotze auf sich aufmerksam zu machen. Angesichts von Brexit und prekären Lebensumständen hält man in der Musikszene der europäischen Stadt mit den meisten Milliardären zusammen. »Rejoice« ist eine reduzierte, mächtig groovende Afrobeat-Funkjazz-Fusion, und trotz seines Alters von zehn Jahren auch 2020 noch relevant. Denn im Spiel von Allen und Masekela steckt nichts von der Machohaltung vieler Ü40-Jazzer.

Gerne hätte man Allens Meinung zu einer neuen Jazzgeneration gehört, doch der Mann macht deutlich, dass er das Interview bald beenden wird. Immerhin erzählt er noch, dass er seine nächste Platte ausschließlich mit jungen Jazztalenten aufzunehmen gedenkt. »Sie werden ganz nach meinem Style spielen. Wenn sie das schaffen. Weißt du, das ist nicht so einfach.« Tony Allen lacht nicht, er meint es ernst. Der beste Drummer, der je gelebt hat, kann es sich leisten, Ansprüche zu stellen.

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