Als der Profit übernahm

Im Frühling 1990 wurde das Pressemonopol der SED durch eines westdeutscher Verlage abgelöst.

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 5 Min.

Der 1. April 1990 war ein Wendepunkt für die Presselandschaft der DDR. Alle Subventionen für Printmedien wurden eingestellt. Für die Kommunikationswissenschaftlerin Mandy Tröger war damit der weitere Weg vorgezeichnet: »Das brachte Marktdruck in die DDR-Presselandschaft und öffnete westdeutschem Kapital die Türen.«

Dabei war man zu der Zeit andernorts noch hoffnungsvoll: Im März ging der Piratensender Kanal X auf Sendung, ab Februar gründeten sich zahlreiche neue Zeitungen, die dem Verlautbarungscharakter von »Zentralorgan« und SED-Bezirkszeitungen etwas entgegensetzen wollten. Die Medien- und Pressefreiheit war eines der zentralen Themen im November 1989 gewesen. Für Tröger zeigt sich darin auch, welch zentrale Rolle die Massenmedien »im Drang nach demokratischer Partizipation« eingenommen hatten. Die neuen Medien wollten möglichst viele Informationen bereitstellen. Ein Blick ins Archiv des Kanal X macht es für das heutige Gemüt anschaulich: Die Beiträge sind oft ungeschnitten und teils sogar mit Regieanweisungen versehen. Hier ist so einiges zu sehen: Vom Porträt eines Lithografen, Nahaufnahmen neuartigen Mülls in den Hinterhöfen, Leipziger*innen beim Einkauf, Polizeirazzien bis hin zu internen Diskussionen des Kanals, gezeigt werden sollte offenbar einfach alles. Die theoretisch seit 5. Februar herrschende Pressefreiheit wurde damit auch praktisch erobert.

Doch parallel liefen im Hintergrund bereits wenige Tagen nach dem Mauerfall Verhandlungen vier großer westdeutscher Verlage - Gruner+Jahr, Springer, Bauer und Burda - mit der Modrow-Regierung. Die Folgen dieser Verhandlungen zeichnet Tröger in ihrem umfassend recherchierten Buch »Pressefrühling und Profit« eindrucksvoll nach. Ziel der Verlage war es, Monopolrechte im Pressewesen der DDR zu erhalten. Dabei war man dort eigentlich gerade dabei, das herrschende Monopol der SED zu zerschlagen. Der US-Medienkritiker Robert McChesney definiert Monopole als Feind des Journalismus, egal ob kommerziell oder nicht-kommerziell. Doch im Frühjahr 1990 stand das Nichtkommerzielle im Vordergrund. Das Ende der Subventionen für Printmedien schien in diesem Zusammenhang nur eine logische Folgerung zu sein, wollte man den staatlichen Einfluss auf die Medien wirklich beenden. Doch die Presse der DDR sah sich nun vor der Herausforderung, plötzlich »pluralistisch« und »frei« zu sein. Und das ganz ohne eigene finanzielle Mittel und Kompetenzen für alternative Finanzierungsmodelle, wie etwa das westliche, auf Werbung basierende System. Allein im Jahr 1989 hatte die SED ihre Zeitungsauflage von 6,5 Millionen Exemplaren, was etwa 70 Prozent der Zeitungsproduktion in der DDR ausmachte, mit 332 Millionen Mark subventioniert. (Zum Vergleich: 2019 lag die verkaufte Gesamtauflage deutscher Tageszeitungen bei 13,5 Millionen.) Mit dem Wegfall der Subventionen hoben die Zeitungen ihre Kaufpreise an, das »Neue Deutschland« etwa von 15 auf 55 Pfennige.

Zugleich strömten bereits Zeitungen aus dem Westen auf den Markt, die mit dem Wechselkurs von einer D-Mark zu einer Ostmark, also einem sehr viel niedrigeren Preis als im Westen, verkauft wurden. Vorausgegangen war dem ein »Pressecoup« der vier Großverlage, die sich nun, statt eine Vereinbarung mit der Regierung abzuwarten, die DDR in vier Vertriebsgebiete aufteilten und dort Zeitungen und Zeitschriften - zu 70 Prozent ihre eigenen Produkte - im Direktvertrieb verkauften. In der Bundesrepublik war Direktvertrieb illegal und hätte gegen das Kartellrecht verstoßen. Tröger kommentiert: »Die Wirtschaftsdynamik hat übernommen.«

Der binationale Presseaustausch, der nach einem Abkommen mit der Kohl-Regierung gefördert werden sollte, fand nicht statt. De facto war es, vordergründig durch finanzielle Vorteile, allein ein einseitiger Presseaustausch. DDR-Zeitungen sind in Westdeutschland bis heute weitgehend unbekannt, genauso wie es lange Zeit die ostdeutsche Perspektive war.

1990 galt die Prämisse: Wir brauchen einen freien Markt für freie Presse. Frank Schumann diagnostizierte im Mai desselben Jahres in der »Jungen Welt«: »Wo aber Zeitungen und Zeitschriften zum Zwecke des Geldverdienens herausgegeben werden, bestimmen auch die Gesetze des Marktes, was in den Redaktionsstuben gedacht und geschrieben werde darf.«

Doch auch in anderen Aspekten war dieser Markt keineswegs »frei«. Aufgrund des Wechselkurses 1:3 waren die Papierpreise für westdeutsche Verlage deutlich günstiger. Im Verkauf wurde dieser Kurs indessen außer Kraft gesetzt, westdeutsche Presseprodukte konnten zu Dumpingpreisen verkauft werden. Dies führte dazu, so Tröger, dass die demokratische Presse in der DDR nicht von innen entstehen konnte, sondern von außen hineingetragen wurde. Trotz verschiedener Initiativen für Medienreformen aus der DDR gab es faktisch keine souveräne Medienpolitik.

Die Befürchtungen des neu eingesetzten Medienministers Gottfried Müller, dass das Monopol der SED bloß ersetzt werden würde durch ein ebensolches der großen Westverlage, sollten sich bestätigen. Tröger resümiert: »Letztlich hat sich an den Monopolstellungen ehemaliger SED-Bezirkszeitungen nichts verändert. Sie blieben erhalten, nur unter westdeutschem Besitz.«

Schon damals stellte sich die »Junge Welt« die Frage: »Was sind die langfristigen Folgen des Gewinnmotivs für eine sich entwickelnde freie Presse?« Wie kann der Medienkonsum auf einem »freien Markt« geregelt werden? Hier sollte sich zeigen, dass die ostdeutschen Leser*innen nach einem kurzen Abstecher zu den westdeutschen Medien zu ihren alten Regionalzeitungen zurückkehrten. Doch zu der Zeit waren diese bereits verkauft und im westdeutschen Besitz. Der deutsch-deutsche Medienmarkt war, so Tröger, bereits im Mai 1990 vereint - durch Übernahme.

Es scheiterte die Ausgestaltung eines geplanten Mediengesetzes in der DDR, welches festlegen sollte, dass die Presse frei sowohl von politischen als auch wirtschaftlichen Monopolen sein sollte. Dies war nicht die einzige Reforminitiative mit dem Ziel einer partizipativen Mediendemokratie, die auf der Strecke blieb.

Die Frage, inwiefern die Bereitstellung von Informationen, Medien und Presse durch einen »freien Markt« geregelt werden kann oder sollte, ist auch heute noch aktuell. Die großen Verlage an der Spitze sind, bis auf Springer, nahezu die gleichen geblieben: Bauer, Burda, Gruner + Jahr und Funke. Zudem entfallen immer größere Marktanteile auf wenige große Verlagsgruppen. Die Werbe- und Aboeinnahmen von Printmedien gehen zurück. Wir müssen uns also die Frage stellen: Wie kann man Journalismus in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft ohne Werbeeinnahmen am Leben erhalten?

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