Merkwürdigkeiten in den eigenen vier Wänden

sieben tage, sieben nächte

Letzte Woche wurde an dieser Stelle ein Eindruck davon vermittelt, wie die Arbeit einer Redaktion in teilweiser Selbstisolation vonstatten geht. Bei den Videokonferenzen lernen wir die Wohn- oder Arbeitszimmer der Kollegen kennen, die sich von zu Hause zuschalten. Manchmal schummelt sich ein Kind oder ein Haustier ins Bild. Obenrum, so weit die Kamera es erfasst, sind die Kollegen auch im Homeoffice manierlich gekleidet, über die nicht sichtbaren Bereiche liegen keine Informationen vor. Noch hat sich niemand vor der Kamera maskiert, aber wenn man dem Kanzleramtschef glauben darf, steht der Höhepunkt der Epidemie noch bevor. Alles in allem kann man sagen, dass wir auch auf die Entfernung Hand in Hand arbeiten - nein, Kommando zurück, diese Redewendung sollte in Quarantäne geschickt werden.

Im Internet kursierte - weil Masken ja Mangelware sind - neulich ein Video, in dem demonstriert wird, wie man aus einer Unterhose mit wenigen Handgriffen eine perfekt sitzende Atemschutzmaske herstellt. Man steckt den Kopf durch die eine Beinöffnung, zieht den Stoff bis über die Nase und verdreht die andere Hälfte des delikaten Kleidungsstücks hinter dem Kopf so, dass man sie über den Scheitel bis in die Stirn stülpen kann. Übrig bleibt ein Sehschlitz. Durchaus eindrucksvoll, auch wenn man dann aussieht wie ein Ninja Fighter. Falls Sie einer Person begegnen, die sich so ausstaffiert hat, dann sollten Sie ihr beide Daumen drücken, dass sie noch eine zweiten Schlüpfer besitzt. Denn der Trend geht zum Zweitslip.

Übrigens müssen in diesen Zeiten nicht nur Redewendungen kritisch geprüft werden, sondern auch das Liedgut. »Brüderlein, komm tanz mit mir« gehört vorerst auf den Index, wo die Tanzveranstaltungen schon stehen, weshalb wir uns diesmal nicht über das Tanzverbot am Karfreitag zu streiten brauchen. Franz Lehárs Operette »Land des Lächelns« hat sich nicht nur deshalb erledigt, weil die Theater geschlossen sind, sondern auch, weil das Lächeln als solches immer öfter hinter den Masken und damit aus der Öffentlichkeit verschwindet. »I Want to Hold Your Hand« von den Beatles - ärztlich untersagt. Und dann das Arbeiterkampflied: »Brüder in eins nun die Hände, Brüder das Sterben verlacht« ist unter virologischem Gesichtspunkt ziemlich problematisch; Prof. Drosten würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen - ha, da haben wir’s: Ins Gesicht soll man sich ja auch nicht mehr fassen.

Vergessen Sie Goethe (»Solch ein Gewimmel möcht’ ich sehn«), denken Sie an Möricke: »Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.« Greifen Sie zu, wenn Sie es auf Ihrem zugelassenen Osterspaziergang entdecken. Aber achten Sie darauf, dass es mindestens zwei Meter lang ist. Denn wie sagte die Bundeskanzlerin: »Eine Pandemie kennt keine Feiertage.« Wolfgang Hübner

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