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Der Schatten der Renditejäger
Trotz Mietendeckel werden Wohnungen in Berlin zu irren Mieten inseriert.
Wildwest auf dem Wohnungsmarkt. 91,4 Prozent der Mieten der bei »Immoscout24« gelisteten Bestandswohnungsangebote lagen zum Stichtag 30. April über den Obergrenzen des Mietendeckels. »Schattenmiete«, so wird das Schreckgespenst genannt, das Berliner Mieter derzeit verunsichert.
Die Vigor-Hausverwaltung aus Lichtenberg zum Beispiel informierte ihre Bestandsmieter im Februar darüber, dass sie Mieterhöhungen, die erstmals nach dem 18. Juni vereinbart oder fällig geworden sind, »vorerst nicht fordern und nicht einziehen« werde. »Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass dies keinen Verzicht auf die getroffene vertragliche Vereinbarung über die geschuldete Miete darstellt«, heißt es weiter.
Bei Neuverträgen verlangt der berüchtigte Großeigentümer Gijora Padovicz sogar, dass die neuen Bewohner im Mietvertrag unterzeichnen, den Mietendeckel für verfassungswidrig zu halten. Sie unterschreiben im Falle des Scheiterns des Gesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht, eine wesentlich höhere Miete als die laut Mietendeckel zulässige zu zahlen. Beim für Extrempreise bekannten Wohnungskonzern Akelius kann diese auch mehr als fünfmal so hoch sein.
Dass Mieter Rücklagen bilden sollten, empfiehlt sogar der zu fast 100 Prozent dem Land Berlin gehörende Vermieter Berlinovo. Zwar weist dieser in seinen Wohnungsangeboten gesetzeskonforme Mieten aus. Im Kleingedruckten weist Berlinovo jedoch darauf hin, dass, falls der Mietendeckel »insgesamt oder teilweise für nichtig erklärt, außer Vollzug gesetzt wird, außer Kraft tritt oder in sonstiger Weise aufgehoben wird«, wieder die laut Bundesrecht zulässige Miete fällig wird, möglicherweise sogar rückwirkend.
»Die Schattenmieten sind ein organisierter Versuch der Immobilienwirtschaft, den Mietendeckel zu unterlaufen. Es ist aber laut Gesetz verboten, solche Mietverträge vorzulegen«, sagt Gaby Gottwald bestimmt. »Diese Vermieter nehmen vorweg, dass der Mietendeckel vom Bundesverfassungsgericht komplett gekillt wird«, so die Linke-Wohnungspolitikerin im Berliner Abgeordnetenhaus weiter zu »nd«. »Davon gehe ich nicht aus. Deswegen denke ich, dass die Vertragskonstruktionen nicht legal sind«, erklärt sie.
Allerdings berichten der Berliner Mieterverein und auch Mieteranwälte, dass ein Großteil der Vermieter sich an das Gesetz hält.
Immobilienbranche sowie CDU, FDP und AfD tun so, als sei die Aufhebung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht nur noch eine Formalie. Am Mittwoch hatten Bundestagsabgeordnete von Union und FDP eine entsprechende Normenkontrollklage beim Gericht eingelegt. »Die Experten sind sich fast alle einig, dass der Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht gekippt wird«, sagt auch Gero Bergmann, als Vorstandsmitglied des Immobilienfinanzierers Berlin Hyp ein Branchenvertreter.
Doch so eindeutig, wie es die Gegner des Mietendeckels sich und der Öffentlichkeit versuchen einzureden, ist die Rechtslage keineswegs. Landesgesetzliche Mietendeckel seien durch die bundesgesetzliche Mietpreisbremse nicht gesperrt. Zu diesem Schluss kommen die Doktoranden Maximilian Schneider von der Berliner Humboldt-Universität und Marten Franke von der Universität Bonn in einem jüngst in der Fachzeitschrift »Die öffentliche Verwaltung« veröffentlichten Aufsatz. Die Experten für öffentliches Recht gehen in ihrer Einschätzung sogar noch weiter: Selbst wenn man landesgesetzliche Mietendeckel nicht unter den vormaligen Kompetenztitel des Wohnungswesens, sondern unter den des bürgerlichen Rechts fasse, bestehe eine Zuständigkeit der Landesgesetzgeber. Das geht sogar über den Ansatz von Peter Weber, des Erfinders des Mietendeckels, hinaus. Der beim Bezirksamt Pankow beschäftigte Jurist hatte die Regelungsmöglichkeit mit der auf die Länder im Zuge der Föderalismusreform 2006 übergegangene Zuständigkeit für das Wohnungswesen begründet. Es ist das jüngste von vielen juristischen Einschätzungen, die dem Gesetz eine grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit attestieren.
Gaby Gottwalds Optimismus ist also begründet. Sie hofft, dass das Bundesverfassungsgericht vor der im November in Kraft tretenden zweiten Stufe des Gesetzes zumindest einen Hinweis gibt. Dann sollen überhöhte Bestandsmieten abgesenkt werden können, ein heikler Punkt des Gesetzes, wie auch Befürworter einräumen.
In dem vom Investorendienstleister CBRE im Auftrag der Berlin Hyp erstellten Immobilienmarktbericht Berlin schlägt sich der Mietendeckel noch nicht nieder. Seit anderthalb bis zwei Jahren hätten die Angebotsmieten in der Hauptstadt keine großen Sprünge mehr gemacht, sagt Michael Schlatterer von CBRE. Wenige Tage zuvor hatte das Institut F+B Research für das 1. Quartal 2020 einen im Jahresvergleich um 2,4 Prozent gesunkenen Angebotspreis für eine Berliner »Standardwohnung« gemeldet und das als eine mögliche Auswirkung des preisbegrenzenden Gesetzes bezeichnet. Man werte die gleichen, von Empirica zur Verfügung gestellten, Daten aus, erklärt Schlatterer, auf die Diskrepanz angesprochen. »Eine Aussage, die nur auf einem Quartal basiert, ist nicht besonders zielführend. Wenn Sie verschiedene Quartale vergleichen, gehen die Werte mal nach oben und mal nach unten. Wichtig bei den Auswertungen ist eine saubere Bereinigung der Extremwerte«, führt er aus.
Bei den Bezirksämtern ist bisher schätzungsweise eine niedrige vierstellige Anzahl an Anträgen meist von Mietern zusammengekommen - bei 1,5 Millionen Mietwohnungen, für die das Gesetz gilt. Nicht für jedes Schreiben wurde ein Aktenzeichen angelegt, der Senatsverwaltung fehlt daher der genaue Überblick. In den Anträgen geht es um aktuell verlangte Mieten, die über der Stichtagsmiete vom 18. Juni 2019 liegen. Bußgelder für Verstöße gegen Informationspflichten der Vermieter oder verbotene Miethöhen - der Rahmen liegt zwischen 250 und 2000 Euro pro Wohnung - sind dabei bisher nicht verhängt worden. Unter anderem, weil Anhörungs- und Widerspruchsfristen meist noch laufen. Auch einige Vermieter haben sich bereits gemeldet, weil sie amtliche Bestätigungen verlangen, dass ihre Wohnungen über eine laut Gesetz »hochwertige Ausstattung« verfügen. Das berechtigt zu einem Mietaufschlag von einem Euro pro Quadratmeter. Die teilweise fein ziselierten Regelungen in Gesetz und Verordnung sind Kärrnerarbeit für die Verwaltung. Es werden auch dringend mehr Mitarbeiter benötigt. Die Corona-Pandemie hatte die Einstellungsverfahren zum Stillstand gebracht, sie sollen noch im Mai wieder aufgenommen werden.
Für Berlin ist die Umsetzung des Mietendeckels ein Kraftakt. Er ist Notwehr gegen den mangelnden Mieterschutz auf Bundesebene. Doch so lange direkt als Anwalt für die Immobilienlobby tätige Parlamentarier wie der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak den Ton angeben, wird sich nicht viel ändern. Die Bundesratsinitiative Bayerns, den Wucherparagrafen im Wirtschaftsstrafrecht für Mieter anwendbar zu machen, »schießt über das Ziel hinaus«, erklärt Luczak auf nd-Anfrage. Bisher muss die Ausnutzung einer konkreten Notlage bewiesen werden, um gegen überhöhte Mieten vorzugehen. »Damit werden nicht nur viele private Kleinvermieter kriminalisiert, sondern sie ist auch auf die Regelungen der Mietpreisbremse nicht abgestimmt und schafft folglich große Rechtsunsicherheit. Das lehne ich ab«, so der CDU-Abgeordnete. Er meint wohl Kleinvermieter wie Akelius mit rund 14 000 Wohnungen allein in Berlin.
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