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Vom Leben auf dem Lande
Die bäuerliche Produktion steht unter großem Preisdruck – mit teilweise katastrophalen Folgen für die Beschäftigten.
Ausbeutung, Sklaverei, Hungerlöhne - wenn diese Begriffe in Europa fallen, weiß man meist, um welchen Sektor der Wirtschaft es sich handelt: die Landwirtschaft. Die Nahrungsmittelproduktion in der EU und im Rest des globalen Nordens lebt von Billigarbeitskräften aus aller Welt, die am untersten Ende der Lohnskala ihr Dasein fristen. Dass in diesem Sektor das Elend besonders verbreitet ist, hängt mit Besonderheiten des bäuerlichen Geschäfts zusammen: erstens mit den Schwierigkeiten, aus Naturprodukten einen Profit zu erwirtschaften; zweitens mit der Erpressbarkeit der Lohnabhängigen.
Die Produktion
Als kapitalistische Geschäftsmittel haben Obst, Gemüse und Getreide einige schwerwiegende Nachteile. Zum einen ist das Geschäft der Bauern lokal, es bleibt an den Boden gebunden. Standortverlagerungen in Billiglohnregionen wie in der Industrie sind kaum möglich. Das Produkt der Bauern ist zudem abhängig von den Launen der Natur, also von Wetter, Boden und Schädlingsbefall. Es braucht viel Zeit zu wachsen, was den Kapitalumschlag der Bauern verlangsamt und die Steigerung der Produktivität einschränkt. Im Gegensatz zum Industriegut ist die Agrarproduktion daher schwerfällig und nur begrenzt beherrschbar - wann, wie viel und in welcher Qualität geerntet wird, bleibt trotz Agrochemie und Gentechnik unsicher. Damit besteht ein doppeltes Risiko: Missernten können zu Einnahmeausfällen führen ebenso wie Überproduktion, die die Preise ruiniert.
Die Bauern sind zudem häufig in einer schlechten Marktposition. Denn den eher zersplitterten Produzenten gegenüber stehen mächtige, multinationale Konzerne, von denen sie abhängig sind: die Agrochemie, Landmaschinenhersteller sowie die Agrarhändler, die Ernten aufkaufen und global vermarkten. Damit eröffnen der Großhandel den Bauern zwar den Weltmarkt, setzt sie allerdings gleichzeitig in eine globale Konkurrenz zueinander. Ergebnis ist ein permanenter Preisdruck auf die Ware. Zu den Preisdrückern gehören laut Hilfsorganisation Oxfam auch die deutschen Supermärkte.
Die Arbeitskraft
In diesem Umfeld sind staatliche Subventionen und niedrige Arbeitskosten zwei wichtige Hebel, um die bäuerliche Produktion rentabel zu machen. Der Preisdruck wird direkt an die Erntehelfer und Saisonarbeitskräfte weitergegeben - mit Erfolg, da die Unternehmen gegenüber den Lohnabhängigen in einer starken Position sind.
Zum einen sind die Saisonarbeiter notgedrungen bereit, sich für wenig Geld auch tage- oder wochenweise zu verdingen. Denn sie kommen aus Osteuropa oder Nordafrika, also aus Gegenden mit niedrigen Löhnen, niedrigen Lebenshaltungskosten und hoher Arbeitslosigkeit. Einkommensalternativen stehen ihnen kaum zur Verfügung.
Zum anderen wirkt auf dem Markt für Erntehelfer purer Zwang. Die Vielzahl der Bewerber verschärft ihre Konkurrenz um Arbeitsplätze und drückt den Lohn. Verschärft wird die Anzahl der Bewerber und ihre Konkurrenz um Jobs durch die Tatsache, dass die Tätigkeit auf dem Feld keiner besonderen Qualifikation bedarf - mehr als die pure Bereitschaft, den Körper zu verschleißen, ist nicht nötig. Die Lohnabhängigen verfügen zudem meist über keine Organisation und keine Verhandlungsmacht und bleiben daher angewiesen auf gesetzliche Mindestentgelte - was in Spanien dazu führt, dass Erntekräfte netto nur rund 1000 Euro verdienen.
Die Not der Arbeitskräfte schafft darüber hinaus sowohl für sie wie für die Unternehmen einen Anreiz, die niedrigen gesetzlichen Grenzen der Ausbeutung auch noch zu unterlaufen. In spanischen Chabolas hausen Erntehelfer in selbstgebauten Müllhütten ohne Wasser und Strom, was ihre Lebenshaltungskosten und damit die Arbeitskosten drückt. In Italien leben sie vielfach auf freiem Feld. Verstöße gegen Arbeitsschutzauflagen, Betrug mit Sozialabgaben und physischer Zwang sind Ergebnisse der Tatsache, dass sich die Arbeitskräfte in Abhängigkeit befinden - dies gilt umso mehr für die Hunderttausenden Migranten, die sich illegal im Land aufhalten und daher ihre Rechte von vornherein nicht in Anspruch nehmen können. Es spricht Bände, dass die spanische Regierung nun Landwirtschaftsbetriebe inspizieren will, um herauszufinden, ob dort Einschüchterungen, Misshandlungen oder »Einschränkung der Bewegungsfreiheit« üblich sind.
Mit dem Import ausländischer Arbeitskräfte schaffen sich die Agrarbetriebe das Pendant zu den in der Industrie üblichen Standortverlagerungen in Billiglohnregionen. Das drückt die Arbeitskosten und hält die Preise von Industrie- wie von Agrargütern niedrig. Dies senkt die Lebenshaltungskosten der Menschen im globalen Norden, was an der seit vielen Jahren niedrigen Inflationsrate zu sehen ist - die »Globalisierung« wird von Ökonomen als Preis- und Kostenbremse geschätzt. Die niedrigen Lebenshaltungskosten im globalen Norden wiederum ermöglichen es den dortigen Unternehmen, sich mit Lohnerhöhungen zurückzuhalten. Über diese Wirkungskette leisten die Erntehelfer auf dem Feld ihren Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit auch der deutschen Industrie.
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