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»Die Folgen für den Unterricht kommen deutlich zu kurz«

Wenn Räume und Lehrer fehlen - ein Gespräch über weiße Flecken in der Debatte über Schule unter Coronabedingungen

Zum Schuljahresbeginn diskutieren wir über eine Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler. Ist das aus Sicht eines Bildungsforschers die entscheidende Frage?

Abstandsregeln, Masken und andere Einschränkungen sind zweifellos notwendig, um die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrkräfte zu schützen. Aber ein Aspekt kommt bei der derzeitigen Diskussion deutlich zu kurz: Was bedeuten diese Einschränkungen für die Gestaltung von Unterricht?

Detlef Fickermann

Der Bildungsforscher aus Kamen (Westfalen) hat den Sammelband »›Langsam vermisse ich die Schule ...‹ Schule während und nach der Corona-Pandemie« mit herausgegeben. Mit dem 68-Jährigen sprach Ines Wallrodt.

Was meinen Sie?

Um Kontaktabstände einzuhalten, braucht man ausreichende Raumkapazitäten. Die haben die Schulen aber in der Regel nicht. Auch die Personalfrage wurde in allen Überlegungen viel zu wenig problematisiert. Für Kleingruppen und feste Kontaktgruppen innerhalb von Schulen braucht man mehr Lehrkräfte. Wir hatten aber schon vor der Pandemie einen Lehrkräftemangel. Ich nehme kaum Überlegungen wahr, wie andere Konzepte aussehen könnten, bei denen Eltern, Studierende oder andere Personen bestimmte Aufgaben übernehmen. Nicht im klassischen Unterricht, das ist Aufgabe der Lehrkräfte, aber Schule hat ja auch noch eine Betreuungsaufgabe.

In Brandenburg sollen Studierende einspringen.

Das mag in Hochschulstädten helfen. Aber was ist in den dünn besiedelten Regionen? Dort stellt sich noch eine weitere Frage, die kaum beachtet worden ist: der Schülertransport. Wie wird in Schulbussen sichergestellt, dass Abstand gehalten wird und Masken getragen werden? Soll das der Fahrer machen? Der sollte sich vielleicht auf den Verkehr konzentrieren. Auch da braucht man zusätzliches Personal.

Ist Ehrenamt wirklich die Lösung?

Es gibt eine gemeinsame Verantwortung der Gesellschaft für die nachwachsende Generation, insofern spricht nichts grundsätzlich gegen ehrenamtliches Engagement. Aber man kann nicht alles ehrenamtlich leisten, das wäre völlig illusorisch. Es werden derzeit große Beträge zur Verfügung gestellt, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, um Einnahmeausfälle auszugleichen, usw. Die zusätzlichen Investitionen im Bildungsbereich sind daran gemessen verschwindend gering. Dabei hat der Bildungsbereich eine viel zu große Bedeutung, als dass wir uns erlauben können, gesellschaftlich nicht alles zu mobilisieren, was wir mobilisieren können, um den Kindern erfolgreiches Lernen zu garantieren.

Geld fließt vor allem in die digitale Ausstattung. Weil alle anderen Ansatzpunkte viel komplexer sind?

Wenn von Digitalisierung des Unterrichts die Rede ist, gefällt mir das überhaupt nicht. Denn es geht um die Nutzung von digitalen Endgeräten zur Unterstützung im Unterricht. Der Schwerpunkt liegt immer noch auf Unterricht! Das heißt also, auf strukturierter Anweisung oder strukturiertem Lernen für die Kinder unter Verantwortung einer dafür ausgebildeten Lehrkraft. Mein Eindruck ist, dass die digitalen Endgeräte nicht mehr das Problem sind, selbst wenn es in manchen Gemeinden noch ruckelt. Kaum diskutiert ist aber, dass alle Familien auch über einen geeigneten Netzzugang verfügen müssen. Nun haben wir in Deutschland aber noch ziemlich viele weiße Flecken ohne Breitbandanschluss. Was machen wir eigentlich mit den dort lebenden Kindern und Jugendlichen? Und schließlich gibt es vergleichsweise wenig erfolgreiche Konzepte, wie man Präsenzunterricht mit Fernunterricht in sinnvoller Art und Weise miteinander verbinden kann. Die Kultusministerinnen und -minister haben einen Plan A formuliert. Wenn sich das Infektionsgeschehen aber so weiterentwickelt wie im Moment, brauchen wir einen Plan B.

Wie sieht guter Fernunterricht aus?

Er würde den Aspekt des Unterrichtens betonen. Die bisherigen Erfahrungen waren schon innerhalb einer Schule höchst unterschiedlich. So gab es Lehrkräfte, die individuelle Rückmeldungen gaben, sodass die Kinder aus dem, was sie machten und aus den Rückmeldungen die nächsten Lernschritte ableiten konnten, wie auch Lehrkräfte, die in Gruppen über eine Plattform gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern arbeiteten. Es gab aber auch Lehrkräfte, die Aufgabenblätter verschickt haben mit dem Hinweis, die Lösungen seien im Sekretariat abzugeben.

Einen normalen Schulalltag wird es nicht geben. Was heißt das für Schülerinnen und Schüler? Toben mit Maske, Tuscheln auf Abstand, kein Chor - wo bleibt der Spaß?

Schule ist nicht nur Unterricht, sondern auch Begegnungsraum für Kinder und Jugendliche. Und der wurde während der Schulschließung von den Schülerinnen und Schülern vermisst. Aber ich bin sicher, Schule kann auch jetzt Spaß machen. Musikunterricht muss nicht Singen sein, man kann auch anders gemeinsam musizieren. Über Videoplattformen gibt es sehr schöne Möglichkeiten. Da kommt es also auf die Kreativität an.

Forscher warnen, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien in Folge der Schulschließung weiter abgehängt werden. Deshalb gab und gibt es Ferienangebote zum Nachholen. Reicht das?

Ich glaube nicht. Wir brauchen eine intensive Betreuung derjenigen, die zu Hause geringere familiäre Unterstützung bekommen. Das heißt doch nicht, dass die anderen zu kurz kommen! Das Bildungssystem hat die Aufgabe, alle Kinder zu fördern. Alle. Und da kann man bestimmte Aufgaben nicht an die Eltern delegieren, und die Kinder, die dann »die falschen Eltern« haben, haben eben halt Pech gehabt.

Was würde helfen?

Einige Gemeinden setzen sehr erfolgreich auf Lern- oder Lesepaten oder gemeinnützige Organisationen, die etwa Hausaufgabenbetreuung anbieten. Diese Selbsthilfepotenziale kann man auch unter Coronabedingungen aktivieren.

Für berufstätige Eltern schwer zu leisten.

Das müssen ja auch nicht alle machen. Und natürlich darf man sich nicht darauf verlassen, dass die Initiative von den Leuten selbst ausgeht. Die Schulen müssen sich selber öffnen. In angelsächsischen Ländern gibt es den Begriff der Community Education. Das heißt, Eltern und andere Bewohner im Stadtteil viel näher an die Schule heranzuführen, also eine viel stärkere Vernetzung der Schule im Stadtteil und ihre Weiterentwicklung zum sozialen Treffpunkt. Wenn man das macht, dann kann man auch Potenziale im Stadtteil aktivieren, sodass ausreichend personelle Betreuung da ist für die Kinder, die besonderer Unterstützung bedürfen.

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