- Kultur
- Nura Habib Omer
Vom Asylheim in die Charts
Die Musikerin Nura erzählt in ihrer Autobiografie angenehm unpathetisch von ihrem bewegten Leben
Früher war Fansein noch mit großen Mythen verbunden. Man versuchte in und zwischen den Zeilen der Songtexte herauszufinden, wie die Lebensgeschichte des Lieblingsstars ausgesehen haben könnte. Dazu kamen die Gerüchte, der Gossip und die Schnipsel, die man kriegen konnte. Mit wem wurde die Person gesichtet? Raucht die Person etwa wie ein normaler Mensch Zigaretten? Kann der coole Interviewer des Musikmagazins etwas über den Stress innerhalb der Band, mit dem Management oder mit Kontrahentinnen rauskitzeln? Wann kommt die große Enthüllungsstory oder das Dementi? Durstig waren wir nach jeder Info über die geilen Leute da oben an der Chartspitze.
Wer jetzt denkt, ich bin nostalgisch, irrt. Ich finde es heute definitiv besser. Oben genannte Dinge gibt es teilweise noch immer, aber es gibt jetzt ein neues Instrument für Stars und ihre Fans. Klar, wir wissen alle von den Problemen mit den sozialen Medien: Mobbing, Belästigung, Drohungen, Stalking – so wie von dem ganzen Druck und der Sucht nach Selbstdarstellung.
Aber das Ganze bringt, wenn man einen guten Weg findet, sehr viel Selbstermächtigung mit sich. Künstlerinnen entscheiden heute viel stärker selbst, was sie die Öffentlichkeit wissen lassen wollen, wie sie wahrgenommen werden wollen, und geben Antworten – ohne dass es zwingend blöde Fragen gegeben haben muss.
Die Rapperin, Sängerin und Schauspielerin Nura Habib Omer, oder einfach Nura, gehört zu der Generation, in der alles ein bisschen autonomer läuft mit dem Berühmtsein. Zuerst erlebte sie das mit The Toten Crackhuren im Kofferraum, dann mit SXTN und jetzt als Solokünstlerin. Sie erarbeitete sich ihre Plattformen und Zielgruppen Stück für Stück, ohne das eine große, nicht widersprüchliche Image transportieren zu müssen – sondern indem sie, ja, jetzt geht das, einfach sie selbst ist.
Was heutzutage auch möglich ist, ist, dass Menschen, die bisher wenig angehört wurden, die Möglichkeit bekommen, ihre Geschichte in Büchern zu erzählen. So veröffentlichte Nura nun ihre Autobiografie (über ihr Leben bis heute – sie ist erst 31), und man erfährt noch mehr darüber, wer sie ist.
Aus Kuwait mit ihrer eritreischen Mutter, ihren Geschwistern und ohne Vater nach Deutschland geflohen, verbrachte sie ihre ersten 18 Jahre in Wuppertal. Zunächst zog die Familie von Asylheim zu Asylheim, dann zu Verwandten, schließlich in eine Sozialwohnung. Armut und Angst vor Abschiebung waren ständige Begleiter der Familie. Aber die Geschwister hatten immer einander – und eine Mutter, die viel dafür tat, die Kultur zu pflegen, mit der sie aufgewachsen war.
Für Nura wurde das irgendwann zu eng. Das Rollenverständnis ihrer Mutter konnte und wollte sie nicht erfüllen, sie sehnte sich nach mehr Freiheit und nach ihrem eigenen Ding. So landete sie im Betreuten Wohnen, begann sich ihre Depression einzugestehen und fand über die Distanz – mit 18 zog sie nach Berlin – doch wieder zu ihrer Familie. Aber zusätzlich fand sie etwas für sich: die Musik und Freund*innen, mit denen sie Musik machen und sich entfalten konnte. Dass dazu auch Enttäuschungen gehören, zum Beispiel der Verlust geliebter Menschen durch den verdammten Tod oder durch das Ende von Freundschaften, thematisiert sie genauso wie all das Neue, das immer wieder entstanden ist und sie weitergebracht hat.
»Weißt du, was ich meine?« ist angenehm schnörkellos. Nura erzählt schlichtweg ihre Geschichte. Ohne Pathos, ohne »Alle können es schaffen«-Appell. Das macht das Buch so wunderbar. Immer wieder kann man etwas darüber lernen, wie es ist, als muslimische Schwarze Frau in Deutschland aufzuwachsen, wie das Musikbusiness funktioniert und welche Umwege es geben kann, an deren Ende, beziehungsweise hoffentlich nicht Ende, Nura lernte, sich wohlzufühlen. Hoffentlich schreibt sie noch Teil 2 und 3 und 4 und hört auch danach niemals auf.
Nura Habib Omer: Weißt du, was ich meine?, Ullstein, 208 S., br., 15,99 €.
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