- Berlin
- Zweckentfremdungsverbot
Verwaiste Wohnungen in Moabit
Aktivisten kritisieren die mangelnde Umsetzung des Zweckentfremdungsverbots
Susanne Torka ist empört. »Hier hätten Leute günstige Mieten haben können«, sagt die Aktivistin von der Initiative »Wem gehört Moabit?« und vom Runden Tisch gegen Gentrifizierung. Hier - das ist die Perleberger Straße 13 in Moabit. Torka zufolge stehen in dem Haus seit sechs Jahren insgesamt elf Wohnungen leer.
Erst Ende vergangener Woche hatten 15 Aktivist*innen zu einer Protestkundgebung vor dem Haus aufgerufen. »Skandal« und »Bezirksamt genehmigt Leerstand«, so die Botschaft auf den Transparenten. Die Aktivist*innen sagen, der Leerstand verstoße gegen Recht und Gesetz. Denn in Berlin gilt seit dem 1. Mai 2014 das »Zweckentfremdungsverbot«. Damit soll Wohnraum in Berlin vor Leerstand und Abriss geschützt und die Umwandlung von Wohn- in Gewerberaum oder Ferienwohnungen verboten werden.
Gleichwohl gibt es Ausnahmen: Mittes Bezirksstadträtin für Bürgerdienste, Ramona Reiser (Linke), teilt »nd« mit, dass in der Perleberger Straße 13 Leerstand genehmigt wurde, weil »zahlreiche Modernisierungsmaßnahmen vollzogen werden« müssten.
Das wissen die Aktivist*innen und fordern das Bezirksamt Mitte auf, die Angaben der Eigentümer endlich genau zu kontrollieren. Für acht Wohnungen seien am 4. Juni vergangenen Jahres Genehmigungen erteilt worden, nicht jedoch für elf, sagt denn auch Stadträtin Reiser. Zudem sei der Leerstand nur bis Ende 2020 bewilligt. Der Eigentümer habe zwar im Antragsverfahren Mieter*innenwechsel angemeldet, aber die drei zusätzlichen Wohnungen seien der Zweckentfremdungsabteilung nicht bekannt: Die Abteilung nehme die Hinweise der Aktivist*innen auf und werde »den Eigentümer um Sachverhaltsaufklärung bitten«, erklärt Reiser.
Laut den Aktivist*innen ist das Haus Perleberger Straße 13 nur eines von insgesamt vier Immobilien, die der Runde Tisch gegen Gentrifizierung seit Jahren begleitet. Ihren Informationen zufolge gehört das Haus einer Privatbesitzerin, die Anfang der 2000er Jahre eine Hausverwaltergesellschaft einsetzte.
Schon 2014 haben die Aktivist*innen mit Kiezspaziergängen gegen den Leerstand im Haus protestiert. Dabei haben sie 13 Klingelschilder mit »Leerstand« überklebt. Auch das Bezirksamt kennt das Gebäude schon länger: Seit 2017 wurden seitens verschiedener Bezirksverordneter drei Anfragen an das Bezirksamt gestellt. Alle drei Anfragen thematisieren den Leerstand des Hauses.
Die Initiative »Wem gehört Moabit?« verweist darauf, dass die Hausverwaltung auch eine frühere Abmachung mit der Besitzerin gebrochen habe. Zuvor konnten Handwerker*innen, also Selbstsanierer*innen, zu günstigen Mietkonditionen hier wohnen. Diese Regelung müsse umgehend wieder her, fordern die Aktivist*innen.
Am Rande der Kundgebung vor einigen Tagen wirkte es wenigstens nach außen so, als wären hier tatsächlich Modernisierungsmaßnahmen im Gange. Handwerker werfen Schutt in einen Container. Der mutmaßliche Vorarbeiter filmt die Kundgebung und seine Kollegen. Seinen Namen will er ebenso wenig nennen wie den der Firma, für die er tätig ist. »Das Haus muss grundsaniert werden: Gasleitungen, Sanitär, Elektrik. Wenn Handwerker bevorzugt werden, was ist dann mit Familien?«, fragt er. Susanne Torka verwickelt den Handwerker in ein Gespräch: »Die mit kleiner Rente werden sich die Miete nicht mehr leisten können.« Daraufhin wieder der Handwerker: »Soweit ich weiß, werden es faire Mieten. Es gibt den Mietspiegel.«
Im Nachgang sind die Aktivist*innen überzeugt davon, dass die Handwerker und der Container nur wegen des - zuvor angekündigten - Protestes und der Pressevertreter*innen dort gewesen seien. Torka glaubt: »Gestern hätte hier niemand gebaut.« Die Hausverwaltung selbst wollte sich hierzu auch auf Nachfrage nicht äußern.
»Wir werden das Bezirksamt weiter nerven«, steht für Torka fest. Stadträtin Reiser freut sich, »dass Mietaktivist*innen das Thema immer wieder auf die Agenda setzen«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.