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Die Unvollendete

Merkel auf ihrer Sommerpressekonferenz: Souverän mit Makel. Von Uwe Kalbe

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Nein, über die Zeit nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr und damit über die neuen Möglichkeiten, die sich ihr nach 16 Jahren Kanzlerschaft bieten könnten, habe sie noch nicht nachgedacht. Sagt Angela Merkel, und man glaubt es ihr beinahe. Selbst die halböffentlich gewordenen Träume von einer Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland, die die ehemalige Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland dann womöglich als Rentnerin genießen könnte, gestattet sie sich nun nicht mehr. Nein, sie habe die Reise nicht gebucht, gibt sie auf eine Journalistenfrage verständnislos zurück. Solche Schwelgereien wären ja auch wenig verantwortlich in diesen Zeiten von Corona, ergänzt sie dann.

Alles muss in diesen Zeiten irgendwie unvollkommen bleiben. Und manches davon akzeptiert der Mensch, wenn er sich verantwortungsvoll verhält. Doch dass Angela Merkel in ihrer alljährlichen Sommerpressekonferenz so unvollkommen bleibt, hat nicht nur mit diesen Zeiten zu tun. Und mit der Zeit so relativ kurz vor dem absehbaren Ende ihrer langjährigen Rolle an der Regierungsspitze. Sondern auch mit ihr.

Da hilft alles Malochen bis zur letzten Kanzlerinnenminute nichts - Angela Merkel wird nicht mehr über ihren Schatten springen. Zwar hat sie wie immer die Zahlen im Kopf, die sie braucht, um kenntnisreich auf die Fragen zu antworten, die diesmal aus den nur spärlich besetzten Reihen des Saals der Bundespressekonferenz, zur anderen Hälfte aber aus dem Off kommen, wo die Kollegen am Bildschirm sitzen und ebenfalls Fragen stellen können. Neben den Zahlen und Fakten, Terminen und Schwerpunkten aber, die sie wie immer mühelos aus dem Ärmel schüttelt, bleibt sie Antworten schuldig. Und das, so wird in dieser Pressekonferenz vielleicht erstmals derart deutlich, wird sich auch bis zum Ende ihrer Amtszeit nichts mehr ändern.

Wie immer bescheiden, hält sie sich zurück mit Eigenlob in diesen schwierigen Zeiten, obwohl es ihr auf den Lippen liegt. Sie sei »eigentlich mit dem Gang der Ereignisse bis hierher einigermaßen zufrieden«, wie sie selbst formuliert. Die Lage ist ernst, müsse weiter ernst genommen werden, aber man habe bisher nach bestem Wissen und Gewissen entschieden. Und mit »ein bisschen Vernunft und Beschränkung können wir gut durch diese Zeit kommen«, sagt Merkel über Coronazeit und Freiheitsbeschränkungen, über Härten und Existenznot. Das werden Menschen, die auch sonst nur mit Beschränkungen über die Runden kommen, als höchstens die halbe Wahrheit empfinden. Drei Ziele nennt Merkel für ihre Regierung. Alles dafür zu tun, »dass unsere Kinder nicht Verlierer der Pandemie sind«. Die Wirtschaft am Laufen zu halten oder wieder zum Laufen zu bringen. Und den gesellschaftlichen Zusammenhalt nennt Merkel als Drittes, denn die Pandemie belaste die Menschen sehr ungleich.

Doch die Kinder vor der Krise zu schützen, diese Aufgabe etwa weist Merkel vor allem den Schulen zu. Diese dürfe niemanden zurücklassen. Infektionsschutz und Bildung zu vereinbaren, sei eine der schwierigsten Aufgaben, meint sie und hat ja nicht unrecht damit. Auch die Bundesregierung sehe eine Verantwortung, obwohl Bildung in Deutschland ja doch Ländersache ist. Die Benachteiligung der Kinder in armen Familien spricht Merkel nicht an, auch nicht, dass die Bundesregierung deren Lage etwa mit dem geplanten Gesetz zu den Regelbedarfssätzen für Sozialhilfeempfänger gerade nicht verbessert, sondern zementiert. Auch wenn die Vermögensprüfung für die Betroffenen 2020 entfällt.

Woran die Kanzlerin zwangsläufig erinnert wird, ist ihr Satz »Wir schaffen das«, den sie vor genau fünf Jahren aussprach, als Deutschland eine große Zahl von Flüchtlingen aufnahm. Sie würde im Wesentlichen wieder so entscheiden, bekennt sie. »Wenn Menschen vor der Grenze stehen, muss man sie als Menschen behandeln.« Und wenn sie nicht vor der Grenze stehen? Sondern im Mittelmeer ertrinken? Oder in einem griechischen Auffanglager vegetieren?

Sie unterstütze die Entscheidung ihres Innenministers, Horst Seehofer, CSU, Flüchtlinge aus Griechenland nicht nach Thüringen oder Berlin zu lassen. Beide Länder und eine ganze Reihe von Kommunen hatten sich zur Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge bereit erklärt. Wenn sich in Europa herumspreche, dass alle Flüchtlinge von Deutschland aufgenommen werden, »dann werden wir nie eine europäische Lösung bekommen«, sagte Merkel. Nein, eine Flüchtlingskanzlerin wird Angela Merkel auch nicht mehr. Trotz ihres schönen Satzes.

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