Propaganda mit Rap

Der Musiker »Vizzion« will Begriffe wie »Patriotismus« für Linke vereinnahmen. Ein Gespräch

  • Philip Malzahn
  • Lesedauer: 8 Min.

Vizzion ist Rapper. Und Kommunist. Er kommt aus Darmstadt. Ein Interview über Klassenkampf, Sexismus, Antisemitismus und den umstrittenen Berliner Jugendwiderstand.

Sie bezeichnen Ihre Musik als »Propaganda mit Rap«. Kommunistische Texte, transportiert über eine Musik, die aus den USA stammt, wo sie eine milliardenschwere Industrie ist. Wie passt das zusammen?

Kultur, insbesondere Musik, ist keine statische Sache, sondern etwas, das sich verändert. Unsere Kultur ist sehr stark US-amerikanisch geprägt, ich wurde damit sozialisiert. Deshalb gibt es für mich kein besseres Agitationsmittel. Ich verwende Rap als logische Konsequenz des gesellschaftlichen Wandels und finde es sinnvoll, sich solche Dinge als kommunistisch anzueignen und mit progressiven Inhalten auszustatten.

Was kam bei Ihnen zuerst, der Rap oder der Kommunismus?

Tatsächlich war ich zuerst Rapper. Mit etwa elf Jahren hab ich angefangen, Gedichte zu schreiben. Mit 14 hab ich dann die ersten Sachen aufgenommen. Die waren alle übertrieben Scheiße. Da hab ich mir gedacht: »Okay, das ist es noch nicht so ganz, ich warte lieber noch ein bisschen.« In der Zwischenzeit kam der Kommunismus dazu. Jahre später hab ich die Texte zum späteren Album »Brutkasten« geschrieben. Da dachte ich dann, okay, das will ich jetzt veröffentlichen.

Was macht kommunistischen Rap aus? Auf dem Cover Ihrer Single »Maxime« sieht man Sie oben ohne und vermummt. Anders als bei anderen Deutschrappern geht es nicht um Drogen oder um Sex.

Ich bin nicht in der Position zu sagen, wie kommunistischer Rap auszusehen hat. Alles, was ich in meiner Musik wiedergebe, ist Teil von mir. Ich kann sowohl der martialische Typ sein, aber auch derjenige, der über seine Psychiatrie-Vergangenheit spricht. Ich will nicht das Gefühl vermitteln, dass ich unangreifbar bin, denn das bin ich nicht, das ist niemand von uns und da muss ich dann in meiner Musik auch nicht so tun, als wäre ich das.

Wer über Sie im Internet recherchiert stößt schnell auf scharfe Kritik. Dort wird das Bild eines Frauenfeindes und Antisemiten gezeichnet.

Ich weiß noch, als das erste Mal was in diese Richtung kam, hat mich das schon getroffen. Man will ja auch den Leuten zeigen: »Hey, ich bin nicht so.« Leider habe ich gemerkt, dass es vielen Leuten offensichtlich auch egal ist, was du sagst. Wenn die dich einmal in einer Schublade sehen, dann bist du für die immer darin. Ich kann nur mit bestem Gewissen sagen, dass ich keine einzige sexistische Textzeile in meinen Songs habe und auch keine, die das Judentum angreift. Als Kommunist bin ich Atheist und das schließt alle Religionen mit ein. Es ist deshalb ein schlechter Scherz, wenn ich mich dafür überhaupt rechtfertigen muss. Trotzdem mache ich das, weil ich weiß, dass es für viele ein interessantes Thema ist, gerade innerhalb des linken Spektrums.

Ihre radikale pro-palästinensische Haltung im Nahostkonflikt, die sich in den Texten widerspiegelt, provoziert solche Vorwürfe.

Ich bin Marxist. In erster Linie betrachte ich die Welt von einem Klassenstandpunkt aus. Zu sagen, dass ich Antisemit bin, weil ich die Politik Israels kritisiere und die Mehrheit der Bevölkerung dort jüdisch ist, ist ungefähr so als würde man sagen, ich wäre islamophob, wenn ich den Vorstoß der Türkei in Syrien kritisieren würde, weil sie ein größtenteils muslimisches Land ist.

In manchen Ihrer Videos sind auch Mitglieder der mittlerweile aufgelösten maoistischen Berliner Politgruppe »Jugendwiderstand« zu sehen.

Ich bin weder Maoist, noch war ich im »Jugendwiderstand« organisiert. Trotzdem muss man anerkennen, was die Gruppe geleistet hat: Sie hat über Sport und Musik Menschen da abgeholt, wo sie stehen. Bei einem normalen Arbeiter aus Neukölln ist das wahrscheinlich keine Debatte über Genderstudies. Man muss ja nicht mit allem d‘accord sein, was sie gemacht haben.

Ist der »Jugendwiderstand« nicht besonders aggressiv aufgetreten, auch gegenüber anderen Linken?

Das war keineswegs so eine homogene, männliche Mackertruppe, voll auf Kampfsport, wie das oft dargestellt wird. Da waren auch Frauen drin. Ich persönlich habe mit denen nie schlechte Erfahrungen gemacht. Außerdem: Viele linke Gruppen sind sozial sehr homogen. Zwar reden sie immer davon, für die Migranten und Migrantinnen zu sprechen, aber sie schaffen es nicht, die zu agitieren. Das haben die Leute vom »Jugendwiderstand« geschafft.

Sie rappen »Ich stürme mit den Jungs die Palaststätten«, ist das nicht sexistisch?

Ich habe auch andere Zeilen. Im Lied »Nie ohne den Mob« heißt es, »ich komme mit den Töchtern und Söhnen der Klasse«. Wenn ich öfters nur von »Jungs« rede, dann liegt es vielleicht auch daran, dass ich ein Mann bin und so sozialisiert wurde, und deshalb meine überwiegend männlichen Erfahrungen auch in meiner Musik zu sehen sind.

Meinen Sie, dass die linke Szene in großen Teilen von Studenten dominiert ist?

Von weißen Studenten, die oft antideutsch sind. Aber in den letzten fünf Jahren hat deren Dominanz unter den Jüngeren nachgelassen, finde ich. Und dieser rote, antiimperialistische Flügel der ja in den 70er und 80er Jahren in der Außendarstellung weitaus stärker war, bekommt wieder mehr Zuspruch.

Aber war das nicht reiner Proletkult?

Ich meine, dass die ursprüngliche kommunistische Arbeitsweise, etwa die Gewerkschafts- und Stadtteilarbeit, wieder Zuspruch findet. Leute dort abzuholen, wo sie mit ihren Problemen stehen. Das können ohnehin diejenigen besser, die aus der Arbeiterklasse kommen, die alleinerziehend sind oder die sich mit Hartz IV auskennen. Die stehen den normalen Menschen und ihren Sorgen näher als Leute, die ein Studentenleben führen und am Wochenende auf Goa-Partys gehen. Das ist jetzt auch klischeehaft von mir formuliert, ich versuche es aber vereinfacht darzustellen.

Ein Song von Ihnen heißt »Keine Patrioten«.

Da habe ich versucht, dieses Patriotismusding ein bisschen für Linke zu vereinnahmen, weil ich es gefährlich finde, wenn Rechte Nationalismus und Patriotismus in eins setzen, obwohl das von der Definition her zwei vollkommen verschiedene Sachen sind. Und Linke machen dann den selben Fehler, weil sie es in der Kritik daran ebenfalls gleichsetzen. Das darf doch gar nicht unser Ansatz sein: wir müssen doch darauf eine bessere Antwort geben als die Rechten. Deshalb ist es mir wichtig, Begriffe wie Patriotismus von einem kommunistischen Standpunkt aus zu betrachten. Ob der Begriff jetzt auf eine Stadt, eine Region oder auf ein Land angewendet wird, ist egal. Ob ich jetzt sage, ich bin Lokalpatriot oder Patriot, der Mechanismus ist derselbe. Damit kann man den Rechten viel Wind aus den Segeln nehmen.

»Volk« ist auch so ein Begriff, den Sie benutzen wollen.

Ich sehe »Volk« erst mal als marxistischen Begriff, der in erster Linie das Proletariat meint. Durch die Verwendung solcher Begriffe will ich ja auch nicht die linke Szene agitieren, sondern die Leute, die noch nicht links sind. Und zu sagen, hey, ich bin hier groß geworden, ich spreche hier die Sprache, ich fühle mich hier wohl, ich mag meine Mitmenschen, ich will hier was positiv verändern - das ist doch erst mal ein super Ansatz über den man Leute mit ins Boot holen kann.

Aber die Zeit, in der das Volk sich hierzulande am stolzesten und stärksten gefühlt hat, war das dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte.

Man darf nicht vergessen, dass die Nazis damals viel von der KPD übernommen und dann auf Rechts umgemünzt haben. Aber klar: Vor allem in Anbetracht unserer Geschichte, wenn ich jemanden treffe und er sagt, guckt mal, ich spreche Deutsch und ich bin hier aufgewachsen, aber mit diesem Patriotismusding, damit kann ich nichts anfangen, dann habe ich dafür vollstes Verständnis. Aber es den Leuten zu verbieten und zu sagen, du bist automatisch ein Fascho, weil du einen positiven Heimatbezug hast, das können gerade wir uns bei unserer aktuellen Lage nicht leisten: Die linke Bewegung in Deutschland ist in ihrem Einfluss sehr beschränkt, da haben wir Besseres zu tun, als den normalen Menschen zu verbieten, was sie mit ihrer Heimat verbinden dürfen.

Die Probleme liegen anderswo: Wenn irgendwann der Tag kommt, an dem sich die neue Rechte der Sozialpolitik zuwendet und die Linke ist nicht organisiert, dann ist es erstmal mit linker Politik vorbei in Deutschland.

Trotzdem lehrt die Erfahrung, wer als Linker mit Begriffen wie »Heimat«, »Volk« und »Patriotismus« hantiert, bleibt nicht lange links.

Ich finde, diese Aussage ist etwas undifferenziert und pauschalisierend. Seitenwechsler gibt es und wird es immer auf beiden Seiten geben. Dafür gibt es die unterschiedlichsten Gründe. In erster Linie denke ich aber, kommt es da nicht auf diese Begriffe an, sondern wie gefestigt Menschen tatsächlich in ihrem politischen Weltbild sind. Das liegt doch nicht in der Verantwortung derer, die diese Begriffe verwenden. Da wird vielleicht eher innerhalb politischer Gruppen versäumt, den Leuten wirklich ein fundiertes Verständnis von einzelnen Konzepten wie etwa dem marxistischen Volksbegriff zu vermitteln oder überhaupt wirkliche Bildungsarbeit zu leisten. Direkter Auslöser für einen Seitenwechsel ist dann doch meistens etwas anderes. Wenn zum Beispiel im privaten Leben etwas wegbricht und die Menschen aus einer Position der Schwäche heraus dann von der anderen Seite gelockt werden. Außerdem, sein eigenes Land zu hassen und das offen zu propagieren ist ja auch nicht ein globales linkes Phänomen, sondern wird eigentlich nur in Deutschland praktiziert. In vielen Ländern dieser Welt - etwa in Griechenland - schaffen es linke Parteien den positiven Heimatbezug mit antifaschistischer Arbeit zu verbinden. Und dabei haben sie auch noch bei den Wahlen Erfolg, ohne dass alle plötzlich zu den Rechten wechseln.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.