Wirtschaft als Strafe

Ökonomische Sanktionen haben Hochkonjunktur.

Im Verkehr zwischen Staaten erfreut sich ein Instrument zunehmender Beliebtheit: Wirtschaftssanktionen. Insbesondere die USA und die EU setzen ihre zentrale Stellung auf dem Weltmarkt ein, um Regierungen unter Druck zu setzen. Die Liste ist lang und wird länger: Russland, Kambodscha, China, Venezuela, Iran, Nordkorea, Syrien, Kuba, bald kommen voraussichtlich die Türkei und Belarus dazu. So beliebt Wirtschaftssanktionen sind, so unklar ist, ob sie ihre Ziele erreichen. Die Frage nach der Wirksamkeit ist alt. Neu hingegen ist, dass sich die Weltwirtschaftsmächte zunehmend gegenseitig mit Sanktionen belegen.

In den vergangenen Jahren sind Wirtschaftssanktionen »zum Mittel der Wahl geworden«, so eine Forschergruppe um Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Die von ihm mitkonzipierte Global Sanctions Data Base, die allerdings nur bis 2016 reicht, zeigt einen Anstieg der Maßnahmen von 50 in den siebziger Jahren bis auf etwa 180. Seither dürften es deutlich mehr geworden sein. Die erklärten Sanktionsziele reichen von der Durchsetzung von Menschenrechten über Regimewechsel bis zur Beendigung von Kriegen. Hauptakteur auf diesem Feld sind die USA, an zweiter Stelle kommt bereits die EU. Sie hat ihr Sanktionsarsenal stark aufgestockt, »um ihren Mangel an militärischer Macht zu kompensieren«, erklärt Gerald Schneider von der Uni Konstanz.

Dass vor allem die USA und Europa Außenpolitik mit Sanktionen machen, ist kein Wunder. Sanktionen sind ein Instrument, das den Mächtigen vorbehalten ist. Denn damit sie wirksam sind, müssen erstens intensive Geschäftsbeziehungen zu dem sanktionierten Land bestehen. »Sanktionen können nicht das Verhalten von betroffenen Regierungen verändern, wenn das Handelsvolumen zwischen Absender und Adressat vernachlässigbar ist«, erklärt Peter van Bergeijk von der Erasmus Universität Rotterdam. Zweitens muss der Schaden für den Adressaten größer sein als für den Absender, sprich: Die Geschäftsbeziehungen müssen asymmetrisch sein. Konsequenz: »Länder in Nord-West-Europa haben die größte Zahl von Sanktionen gegen afrikanische Länder verhängt«, so Felbermayr. Gleichzeitig gebe es keinen einzigen Fall von Handelssperren eines afrikanischen Landes gegen Nord-West-Europa. Ähnlich im Fall Russland: »Da die russische Wirtschaft so viel kleiner ist als die der westlichen Länder, kann Moskau auf die Sanktionen nicht effektiv antworten, ohne sich selbst stark zu schädigen«, erklärt Anders Aslund vom Atlantic Council.

Die Globalisierung hat die Ausübung von wirtschaftlichem Druck für die EU und die USA leichter gemacht. Denn sie intensiviert den Welthandel und schafft dadurch mehr Abhängigkeiten. Das macht sich Washington zunehmend zu nutze. Wurden unter Präsident George W. Bush noch Kriege zur Erreichung außenpolitischer Ziele geführt, so sind seit Barack Obama »Wirtschaftssanktionen zu einem Wesensmerkmal der US-Außenpolitik geworden«, erklärt Aslund. Bemerkenswert sei dabei die zuvor ungekannte Nutzung von Zöllen als Wirtschaftssanktionen, um die Politik des »America First« durchzusetzen.

Eine weitere Vermischung von Handels- und Sanktionspolitik ist das immer beliebtere »Blacklisting«: Unternehmen, Institutionen und Individuen werden auf schwarze Listen gesetzt und damit ihr Zugang zum Markt beschränkt. Washingtons »Entity List« beinhaltet inzwischen Dutzende chinesischer Konzerne, die dadurch nur noch eingeschränkt US-Software beziehen dürfen. Dies begründete Präsident Donald Trump mit Gefahren für die »nationale Sicherheit«. Weitere chinesische Firmen sind gelistet, weil sie an der Unterdrückung der Uiguren in China beteiligt sein sollen, zum Beispiel einer der weltgrößten Anbieter von Videoüberwachung, Hangzhou Hikvision. Wieder andere Firmen werden bestraft, weil sie Peking dabei unterstützen, seine militärische Präsenz im Südchinesischen Meer zu festigen.

China antwortet mit seiner eigenen Liste »unzuverlässiger Instanzen«, die »die legitimen Interessen chinesischer Firmen schwer verletzen«. Im Fall Hongkong kommt es derzeit zum Showdown: Während die USA den Banken eine drastische Einschränkung ihres Geschäfts mit der Ex-Kronkolonie auferlegen, droht Peking allen Unternehmen mit Sanktionen, die den Weisungen der USA folgen. Die globalen Konzerne müssen zunehmend wählen, auf wessen Seite sie sich schlagen.

Umstritten ist, ob Sanktionen oder Sanktionsdrohungen überhaupt wirksam sind. Laut Schneider erreichen sie »häufig ihr Ziel«, wirtschaftlicher Zwang habe im Durchschnitt in 30 bis 50 Prozent der Fälle funktioniert. Aus dem gleichen Grund kritisieren andere Ökonomen Sanktionen als ineffektiv. Denn 30 bis 50 Prozent Erfolgsquote bedeutet: In 50 bis 70 Prozent der Fälle wird das Ziel verfehlt. Die Gründe für das Scheitern sind zahlreich: Betroffene Länder können sich andere Zulieferer- oder Abnehmerstaaten suchen. So hat Iran jüngst ein Investitionsabkommen mit China geschlossen, das dem Land neue Absatz- und Beschaffungsmärkte eröffnet. »Je länger Sanktionen in Kraft sind, umso besser kann sich das Zielland umstellen«, erklärt Bergeijk.

In einer Sache ist sich die Wissenschaft allerdings einig: Wirtschaftssanktionen sind umso wirksamer, je geschlossener die sanktionierende Seite auftritt, sprich: Wenn die USA und die EU und andere an einem Strang ziehen. Diese Einigkeit der Weltmächte wird jedoch immer häufiger untergraben, da die US-Regierung das Mittel der Sanktion gemäß eigenen Interessen anwendet, ohne Absprache mit den Verbündeten. Um die Verbündeten dennoch zur Befolgung der US-Beschlüsse zu zwingen, greift Washington daher immer häufiger zu so genannten sekundären Sanktionen: Man verbietet nicht nur amerikanischen Unternehmen Geschäfte mit einem Land, sondern gleich Unternehmen der ganzen Welt mit der Drohung, sie bei Verstößen vom wichtigen US-Markt auszusperren. Zum Beispiel im Fall Venezuela: Ex-US-Sicherheitsberater John Bolton warnte ausländische Unternehmen vor Ausschluss aus dem US-Markt, sollten sie sich in Venezuela engagieren. Oder im Fall Iran: Während die EU Teile der Sanktionen gegen das Land aufgehoben hat, weiten die USA ihre Verbote sogar aus. Diese Verbote sind zwar für Europas Konzerne nicht rechtlich bindend. Doch »angesichts der durch US-Sanktionen geschaffenen Grauzonen schrecken sie vor Neuinvestitionen zurück oder ziehen von betroffenen Märkten ab«, stellt die Stiftung Wissenschaft und Politik fest. Dagegen ist die EU machtlos. Darüber hinaus politisiere Washington mit seinen Sanktionen gegen Iran, Venezuela oder Russland die Energiemärkte und »unterminiert die strategische Autonomie Europas«.

Als globale Sanktionsmacht kommt die EU damit auf mehreren Ebenen unter Druck: Erstens gerät sie, wie im Fall der russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream 2, zunehmend selbst ins Sanktionsvisier der USA. Zweitens: Um Sanktionen gegen andere Länder beschließen zu können, braucht die EU die Zustimmung aller Mitglieder. Wenn, wie derzeit im Falle Belarus, ein EU-Land Sanktionen ablehnt, können sie nicht erlassen werden. Damit »steht unsere Glaubwürdigkeit auf dem Spiel«, klagte diese Woche EU-Kommissar Josep Borrell. Und drittens ist die EU wie im Fall Iran nicht in der Lage, sich gegen die sekundären Sanktionen der USA zur Wehr zu setzen, was ihr außenpolitisches Drohpotenzial schwächt. Kein Wunder, dass es der EU auf ihrem Gipfeltreffen nächste Woche vor allem um eins geht: »strategische Autonomie«. Denn nur, wer wirtschaftlich unabhängig ist, kann anderen glaubhaft drohen.

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