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Sich ändern für Kamerun
Sonita Mbah schaffte es in den Freiwilligendienst »Weltwärts« und macht nun Station in Berlin
»Es ist keine Raketenwissenschaft, aber man muss trotzdem das ganze System denken.« Wenn die Kamerunerin Sonita Mbah über das alternative landwirtschaftliche Konzept der Permakultur referiert, ist das ein Kernsatz ihrer Präsentation. Am zustimmendem Kopfnicken und den verbalen Äußerungen beim Workshop im Garten in der Kreutziger Straße kann man erkennen, dass sie ihre Zuhörer*innen erreicht. Gerade geht es um Wassermanagement in Regionen, wo Wasser knapp ist. Wie in ihrer Heimat im Südwesten Kameruns. »Zähneputzen bei laufendem Wasserhahn geht gar nicht«, sagt die selbstbewusste Studentin mit der afrikanischen Flechtfrisur, die seit Herbst 2019 im Rahmen des Weltwärts-Austauschprogramms des Entwicklungsministeriums (BMZ) bei der kleinen entwicklungspolitischen Organisation Soned in Berlin-Friedrichshain arbeitet.
Das 2008 gestartete Weltwärts-Programm kannte anfangs nur eine Nord-Süd-Schiene: Junge Erwachsene aus Deutschland durften, gesponsert vom BMZ, mit Freiwilligendiensten bei ausgesuchten Partnerorganisationen Erfahrungen in Ländern des Globalen Südens machen. Nach ihrer Rückkehr, so die Überlegung des BMZ, würden sie als Multiplikator*innen die Bedeutung von Entwicklungspolitik in der deutschen Gesellschaft ins Bewusstsein rücken. Erst Kritik aus Kreisen entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen an der einseitigen Ausrichtung brachte das BMZ zum Umdenken. Und so wird seit 2013 auch jungen Erwachsenen aus dem Globalen Süden ein Freiwilligendienst in Deutschland ermöglicht.
Die Mittzwanzigerin Sonita Mbah ist eine von ihnen. Geklappt hat es mit Verzögerung. 2017 hatte Jan »Kipper« Fischer von Soned die Idee, Sonita Mbah nach Deutschland zu holen. Soned unterstützt in mehreren afrikanischen Ländern wie Kenia, Ghana, Nigeria und Kamerun entwicklungspolitische Projekte. »Der erste Visa-Antrag scheiterte, aber im September 2019 hat es dann geklappt«, erzählt die Kamerunerin. »Das war wundervoll.« Erstmals in Deutschland war sie 2014 im Ökodorf Sieben Linden. Dort nahm sie an Kursen über die Entwicklung von Ökodörfern und Permakultur-Design teil und ist nun in beiden Bereichen zertifiziert. »Es war das erste Mal, dass ich überhaupt Kamerun verlassen habe«, erinnert sie sich zurück. Die Bewegung der afrikanischen Ökodörfer hatte da gerade ihre Anfänge hinter sich.
2012 gab es in Ägypten das erste kontinentale Treffen, an dem ihr Onkel Joshua Konkanoh teilnahm, der die Nichtregierungsorganisation Better World Cameroon leitet. Um die neue afrikanische Bewegung zu beflügeln, lud der europäische Zweig des Global Ecovillage Network (GEN) afrikanische Mitstreiter*innen wie Sonita Mbah ein, um sie mit Wissen auszustatten, das sie dann in Afrika weiter vermitteln sollten. So wie Sonita Mbah das in einem Ökodorf in Bafut gemacht hat, einem Bezirk im Südwesten Kameruns, aus dem ihre Mutter stammt.
2012 wurde in Bafut mit dem Aufbau eines Ökodorfes begonnen. In der Landwirtschaft wurden Techniken der Permakultur angewandt, um zum Beispiel Wasser aufzufangen. »Der offene Boden absorbiert am wenigsten Regen«, erzählt Sonita. »Ihn abzudecken, hilft schon viel. Beispielsweise indem man Kürbis mit seinen großen Blättern anbaut, aber auch Süßkartoffeln und Erdnüsse sind geeignet.« Auch Wasserrückhaltebecken ließen sich dank Permakulturtechniken mit wenig Aufwand und großer Wirkung bauen, schildert Sonita Mbah, die schon als Schülerin politisch aktiv wurde. Gefördert vor allem von ihrem Onkel, der in der Jugend und ihrem Potenzial den Motor für ein besseres Kamerun sieht. »Mein Onkel ist mein Vorbild, mein Lehrer, mein Mentor und mein Förderer«, sagt Sonita Mbah. Sie selbst spielt diese Rolle wiederum für ihre jüngere Schwester, die in Kamerun Management studiert und die, wie auch ihr älterer Bruder und ihre Eltern, stolz auf Sonitas Werdegang und Auslandserfahrung ist. Ob beim G7-Gipfel in Paris oder bei der UN-Klimakonferenz in Marrakesch oder Kopenhagen: Sonita Mbah war als Delegierte der kamerunischen Umweltbewegung dabei, redete unbeeindruckt auch vor vollem Saal.
Im Ökodorf in Bafut lebt derzeit niemand mehr. Nicht, weil das Konzept gescheitert wäre. Selbst die lokale Verwaltung und die traditionellen Führungspersönlichkeiten standen hinter dem Projekt, weil sie darin einen eigenständigen Entwicklungsweg erkannten. Der ist jedoch bis auf Weiteres deshalb verbaut, weil der seit 2016 eskalierende Konflikt zwischen dem englischsprachigen und französischsprachigen Teil Kameruns die Evakuierung des ganzen Dorfes erfordert hat.
Nach dem Ersten Weltkrieg war die deutsche Kolonie zwischen Frankreich und Großbritannien aufgeteilt worden. Dominant und größer ist der französischsprachige Teil mit der Hauptstadt Yaounde, wo Sonita Mbah US-amerikanische und Commonwealth-Literatur studiert hat. Warum nicht afrikanische Literatur? »Ich mag auch afrikanische Literatur, aber der Studiengang hieß Afrikanische Literatur und Zivilisation, das hat mich abgeschreckt«, begründet sie ihre Wahl.
In Bafut hat Sonita Mbah für Better World Cameroon gearbeitet und die lokale Verwaltung beim Projekt Ökodorf unterstützt. Bafut sollte ein Modelldorf werden, an dem sich andere Dörfer des Landes orientieren sollten. »Zum Beispiel kann man die landwirtschaftliche Produktion aufwerten, indem man neben den traditionellen Nahrungsmitteln Mais und Bohnen Pflanzen wie Ingwer, Moringa, Kurkuma anpflanzt, für die es gute Preise auf dem Markt gibt«, schildert Sonita Mbah die damaligen Versuche, höhere Einkommen zu erzielen. Auch Kinder aus den umliegenden Schulen seien in Bafut in Baumkunde oder im Anbau von Gemüse unterrichtet worden. Von einer »Saat für die Zukunft« spricht Sonita dabei. Es gab Ferienlager, in denen Studenten ihren Urlaub mit Arbeitseinsätzen und Workshops verknüpfen konnten. »Es gab die Vision, für ganz Bafut mit seinen 54 Gemeinden und 30 000 Einwohnern den Übergang in eine Ökoregion zu schaffen«, schwelgt Sonita in Erinnerungen. Einen Übergang in eine solare Welt, in der Solarpaneele Dieselgeneratoren komplett ersetzen und kleine, selbst gebaute Staudämme für das Wassermanagement sorgen.
»30 bis 40 Freiwillige aus der ganzen Welt haben uns Jahr für Jahr bei dem Vorhaben unterstützt. Wir haben ein Netzwerk mit afrikanischen Partnern wie dem Ghana Permaculture Institute von Paul Yeboah und auch mit Soned geknüpft. Wir haben viel auf den Weg gebracht, bevor der Krieg 2016 losging.« All die guten Anfänge scheiterten am Problem »Ambazonia«: So nennen die englischsprachigen Separatisten die Region, die sie von Kamerun trennen wollen. Die nach Kameruns Unabhängigkeit getroffenen Absprachen für einen Föderalstaat wurden nie umgesetzt. Ende 2017 erklärte der britisch geprägte Teil entlang der nigerianischen Grenze seine Unabhängigkeit als Staat Ambazonia - der vom Rest Kameruns aber nicht anerkannt wird.
Als das Land 1961 unabhängig wurde, hatte der Kolonialismus schon tiefe Spuren hinterlassen: »Viele Menschen waren in den Wirren um die Teilung Kameruns nach dem Ersten Weltkrieg und dem Anschluss eines Teiles an Nigeria migriert. Der Kolonialismus brachte die Assimilierung mit sich und hat viel verändert: Sprache, Kleidung, Essen, Währung, das politische System. Und all das sollte nach der Unabhängigkeit wieder eins werden«, schildert Sonita Mbah den Hintergrund des andauernden Konfliktes im Südwesten ihres Landes. Er hat bereits Hunderte Tote und Zehntausende Binnenflüchtlinge mit sich gebracht.
Mediale Aufmerksamkeit hat dies alles kaum gefunden, denn Kameruns Langzeitdiktator Paul Biya genießt seit 1982 Frankreichs Protektion. »Die englischsprachigen Kameruner fühlen sich vom französisch geprägten zentralistischen politischen System und von der französischsprachigen Mehrheitsbevölkerung nicht respektiert. Die Mehrheit übt Druck auf die englischsprachige Minderheit aus, die ihre Identität damals mit in den Staat gebracht hat und seitdem weiter pflegt«, erzählt Sonita Mbah.
Die junge Frau spricht sowohl Englisch als auch Französisch perfekt, wie das im englischsprachigen Kamerun üblich ist. »Kameruns Regierung übt Druck aus, finanziellen, politischen, auf die Bildung. All das hat zum Aufstand im Südwesten geführt. Aber der wichtigste Faktor ist meines Erachtens die Identität. Wer bin ich und welche Rechte habe ich in diesem Land?« Leider sei aus dem Versprechen eines Föderalstaates von 1961 nichts geworden, meint Sonita. Und deswegen gebe es nun eine militante Unabhängigkeitsbewegung. »Bafut war einer der Hotspots des Konfliktes ab 2016. Bewaffnete Milizen kämpften gegen das Militär. In dem Klima der permanenten Unsicherheit blieb nichts anderes, als zu gehen.« Ihre Eltern leben weiter im Südwesten Kameruns, in einer kleinen Stadt ein wenig abseits von den Schauplätzen des Konflikts.
Sonita Mbah schmiedet derweil in Berlin große Pläne. Sie will einen Masterstudiengang Sustainable Development (Nachhaltige Entwicklung) absolvieren und weiter an der Vertiefung der Süd-Nord- und Nord-Süd-Beziehungen arbeiten. Bei Soned, das mit Better World Cameroon seit Jahren kooperiert, ist sie da gut aufgehoben. Derzeit ist Sonita Mbah quasi die Chefköchin bei der montäglichen Küfa (Küche für alle), bei der hauptsächlich aus Wegwerfgemüse des benachbarten Biosupermarktes leckere Menüs gekocht werden. Die finden mit oder ohne freiwillige Spende für Soned und seine Projekte dankbare Abnehmer.
»Die Organisation der Küfa macht mir viel Spaß, auch die Permakultur-Workshops im Global Village, der Gemeinschaftsgarten in der Friedrichsstraße und die Zusammenarbeit mit den vielen Freiwilligen bei Soned aus vielen Ecken der Welt«, erzählt sie begeistert. Ihr großes Ziel verliert sie dabei nicht aus den Augen: zurück nach Kamerun zu gehen, um dort junge Leute zu überzeugen, dass ihre Zukunft in ihren eigenen Händen liegt. »Afrika kann sich selbst ernähren, wenn die Bedingungen dafür geschaffen werden.«
Mit den neokolonialen Abhängigkeiten zu brechen und »uns auf uns selbst besinnen«, so beschreibt Sonita Mbah diese Bedingungen. Sie will nach ihrer Rückkehr den begonnenen Weg fortsetzen. So arbeitete sie mit jungen Menschen in kulturübergreifenden Jugendcamps, zeigte ihnen, wie sie sich mit dem Land verbinden, mit ihm arbeiten können. Sie organisierte Schulungen zur wirtschaftlichen Stärkung von Frauen, zum Engagement junger Führungskräfte und zur Einführung in kleinbäuerliche Permakultur.
Wenig angetan war sie von ihren Kommilitonen während des Bachelorstudiums. »90 Prozent wollten in den Staatsdienst, weil das eine sichere Zukunft verhieß«, erinnert sie sich. Es gibt für Akademiker jenseits des Staatsapparats in Kamerun kaum Jobs, und Sonita Mbah hat Verständnis für die Karrierewünsche junger Leute. Aber sie teilt diese nicht, denn ansonsten bliebe ein Wandel in Afrika aus, ist sie überzeugt.
»Ich war fähig, mich zu ändern. Jede junge Person, die offen ist, kann sich ändern. Die Zukunft Afrikas liegt auf dem Land und in der Verbindung von Land und Stadt«, steht für Sonita Mbah fest. Eine Zukunft mit afrikanischen, ökologischen Lösungen in einer solaren Welt. Permakultur ist dafür ein wichtiger Baustein, ist sie sich sicher. Keine Raketenwissenschaft. Aber als Entwicklungsmodell kann sie zünden. Ob in Friedrichshain beim Workshop oder in Bafut.
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