Wir Saurier im Verbrennungszeitalter
Ian Angus plädiert für einen radikalen Wandel zur ökosozialistischen Gesellschaft
»Nur eine soziale Massenbewegung kann uns jetzt noch retten. Weil wir wissen, wo das gegenwärtige System hinsteuert, wenn es ungehemmt weiterläuft. Wir wissen auch, möchte ich hinzufügen, wie dieses System mit der Realität einer Serie von Klimakatastrophen umgehen wird: mit Gewinnmaximierung und eskalierender Barbarei, um die Gewinner von den Verlierern abzusondern. Wenn wir in dieser Dystopie landen wollen, müssen wir nur auf der Straße weiterbrettern, auf der wir uns befinden. Die einzige verbleibende Variable ist die Frage, ob eine Gegenmacht entsteht, die die Straße blockiert und gleichzeitig alternative Wege freiräumt, die zu weniger gefährlichen Entwicklungen führen. Wenn das geschieht, ändert sich alles.«
Naomi Klein
»Wenn du nicht weißt, wohin du gehen willst, dann wird dich auch kein Weg dorthin führen. Doch auch zu wissen, wohin du gehen willst, ist nur der erste Schritt; es ist etwas ganz anderes, zu wissen, wie man dorthin kommt.«
Michael Lebowitz
Das Holozän ist zu Ende. Das Anthropozän hat begonnen. Das kann nicht rückgängig gemacht werden. Die Klimaveränderungen, die bereits im Gange sind, werden noch tausende Jahre andauern. Keine verfügbare Technologie kann die ausgestorbenen Spezies in ihrer einstigen Pracht wiederauferstehen lassen. Die Säure kann nicht mehr aus den Ozeanen entfernt werden. Unzählige Gletscher sind geschmolzen und viel Eis ist für immer von den Polen verschwunden. Die Meeresspiegel werden weiterhin ansteigen. Ob die Geolog*innen sich entscheiden werden, die offizielle Zeitskala zu verändern oder nicht, es gibt keinen Zweifel daran, dass das System Erde in eine neue Epoche eingetreten ist, eine, in der »die Aktivitäten der Menschheit dermaßen umfassend und wesentlich geworden sind, dass sie mit den großen Kräften der Natur konkurrieren und die Erde in eine planetare Terra incognita verwandeln.« In Barry Commoners Worten: »Das gegenwärtige Produktionssystem ist selbstzerstörerisch; der gegenwärtige Kurs, den die menschliche Zivilisation steuert, ist selbstmörderisch.«
Die Frage ist nicht, ob sich das Erdsystem verändert, sondern wie umfangreich die Veränderungen sein werden und wie wir auf diesem veränderten Planeten leben können. Die Frage ist nicht, ob die menschliche Tätigkeit die Erde verändern kann, sondern ob diese Macht weiterhin für kurzfristige, private Gewinne und Zerstörung ausgeübt wird oder ob sie eine Macht wird, die dem langfristige Wohl aller dient. Eine ökologische Kultur wird nicht ›einfach passieren‹. Sie kann nur durch eine bewusste, durchdachte Bewegung ermöglicht werden, die sich für Veränderung einsetzt, eine Bewegung, die, solange das Kapital noch herrscht, daran arbeitet, jede Veränderung, die möglich ist, durchzusetzen, und die bewusst Grundsteine legt, um den Kapitalismus in Zukunft abzulösen.
Ökologische Gegenmacht
1864 beschrieb Karl Marx in seinem Manifest, das die Erste Internationale einleitete, wie die britische Arbeiterbewegung dem Kapitalismus zwar noch kein Ende gesetzt hat, aber das Parlament dazu zwingen konnte, Gesetze einzuführen, die die Macht der Besitzenden in der Ausbeutung der Arbeitskräfte einschränkten, indem sie die Länge des Arbeitstages begrenzten.
Marx beschrieb diese Kampagne als Teil der »Streitfrage zwischen der blinden Herrschaft der Gesetze von Nachfrage und Zufuhr, welche die politische Ökonomie der Mittelklasse bildet, und der Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht, welche die politische Ökonomie der Arbeiterklasse bildet.« Der folgende Erfolg, sagte er, »war daher nicht bloß eine große praktische Errungenschaft, sie war der Sieg eines Prinzips. Zum ersten Mal erlag die politische Ökonomie der Mittelklasse in hellem Tageslicht vor der politischen Ökonomie der Arbeiterklasse.«
Heute, da wir noch nicht stark genug sind, um eine dauerhafte Lösung ohne Kapitalismus zu erkämpfen, müssen wir daran arbeiten, eine Gegenmacht aufzubauen, welche die Umsetzung einer ökologischen politischen Ökonomie durchsetzen kann, wo immer es möglich ist. Zwar werden wir noch keine dauerhaften Lösungen erreichen, wir können aber die politischen und ökonomischen Kosten der Tatenlosigkeit für unsere kapitalistischen Regierenden in die Höhe treiben. Damit können wir für die Erde und die Menschheit Zeit gewinnen.
Immer mehr nimmt der planetare Ausnahmezustand auch direkten Einfluss auf den Alltag der arbeitenden Menschen, der Bauern und Bäuerinnen, der Indigenen und anderer Unterdrückter. Während der Kapitalismus seinem unerbittlichen Wachstumsdrang folgt, ungeachtet der Schäden, die er anrichtet, werden wir sehen - und wir können es schon jetzt beobachten - wie der Widerstand wächst. Viele der Kämpfe werden sich auf kleine Bereiche beschränken und viele der Leitfiguren und Aktivist*innen werden sich Illusionen darüber hingeben, was innerhalb des Systems erreichbar sei. Das ist unvermeidbar.
Den schlimmsten Fehler, den Sozialist*innen unter solchen Umständen machen können - und leider ist das ein Fehler, den viele Sozialist*innen machen - ist, sich vom Rande der Bewegung aus zu beschweren, eine gewisse Kampagne sei nicht radikal genug oder entspräche nicht jemandes Vorstellungen darüber, wie eine Bewegung auszusehen habe.
Lenin warnte bekannterweise vor einem zu engen Verständnis von Klassenkampf. Er sagte, Sozialist*innen müssten Volkstribune sein, um »auf alle Erscheinungen der Willkür und Unterdrückung zu reagieren, wo sie auch auftreten mögen, welche Schicht oder Klasse sie auch betreffen mögen.«
Doch in der gegenwärtigen Situation können Sozialist*innen keine Volkstribune sein, wenn sie nicht auch Tribune der Umwelt sind. Wir müssen so gut es geht auf jede Form kapitalistischer Umweltzerstörung reagieren. Auch sollten wir uns an Marx’ großartige Erkenntnis erinnern, dass sich Menschen in großer Anzahl nicht verändern, um dann die Welt zu ändern, sondern dass sie sich selbst verändern, indem sie die Welt ändern, sowie an Rosa Luxemburgs Argument, dass politische Bildung, Klassenbewusstsein und Organisierung »nicht aus Broschüren und Flugblättern, sondern bloß aus der lebendigen politischen Schule, aus dem Kampf und in dem Kampf« erwachsen können. Die chilenische Marxistin Marta Harnecker drückt es so aus:
»Radikal zu sein, heißt nicht, die radikalsten Slogans zu rufen oder an den radikalsten Aktionen beteiligt zu sein, bei denen nur wenige mitmachen, weil sie die meisten Menschen abschrecken. Radikal zu sein, bedeutet vielmehr, Räume zu öffnen, in denen ein breites Spektrum von Menschen zusammenkommen und kämpfen kann. Denn als menschliche Wesen wachsen und verändern wir uns in den Kämpfen. Zu verstehen, dass wir viele sind und gemeinsam für dieselben Ziele kämpfen, stärkt und radikalisiert uns.«
Eine Bewegung der Mehrheit
Gesellschaftliche und ökologische Veränderungen eines solchen Umfangs, wie wir ihn heute brauchen, werden nicht eintreten, nur weil sie angebracht wären. Gute Ideen reichen nicht aus. Moralische Überlegenheit ebenso wenig. Eine ökosozialistische Gesellschaft kann nicht von einer Minderheit durchgesetzt werden. Sie kann auch nicht von Politiker*innen oder Bürokrat*innen ausgerufen werden, ganz egal, wie gut sie es meinen. Dazu wird die aktive Teilnahme einer großen Mehrheit der Bevölkerung notwendig sein. Marx‹ berühmte Worte besagen, »dass die Emanzipation der Arbeiterklasse durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden muss«.
Das ist nicht einfach so, weil die Demokratie moralisch besser ist, sondern weil die notwendigen Veränderungen nicht umgesetzt werden können und auch nicht langfristig halten werden, wenn sie nicht aktiv unterstützt, mitgestaltet und von einem größtmöglichen Teil der Bevölkerung durchgesetzt werden. Nur die Unterstützung durch die Mehrheit und ihr Engagement ermöglichen die Überwältigung der Gegner*innen jeder Veränderung.
Der einzige Weg, die derzeit herrschenden Mächte, die Mächte der globalen Zerstörung, zu stoppen und zu stürzten, liegt in dem Aufbau einer Gegenmacht. Es gibt hier keine Win-Win-Revolution, bei der jede*r profitiert und niemand Nachteile hat. In einer echten Revolution verlieren diejenigen, die in der alten Gesellschaft Macht und Privilegien hatten.
Man muss nur den US-Kongress beobachten, um zu sehen, wie die Mächtigen jede Veränderung torpedieren und dabei sogar so weit gehen, dass sie die ganze Welt aufs Spiel setzen. Sie sind bereit, die Welt zu opfern, um ihre Macht zu sichern, und werden dabei von einigen der reichsten Konzerne der Welt unterstützt.
Man muss nur in unsere eigenen Reihen blicken, um zu erkennen, dass Ökosozialist*innen heute - selbst alle Arten von Sozialist*innen zusammen! - eine Minderheit bilden. Nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Umweltbewegung. Frederic Jameson, ein marxistischer Wissenschaftler, schreibt, dass wir in einer Zeit leben, in der sich die meisten Leute eher das Ende der Welt vorstellen können als das Ende des Kapitalismus. Die meisten Umweltschützer*innen sehen im Kapitalismus nicht das Hauptproblem, und wenn doch, dann glauben sie oft nicht, dass eine ökosozialistische Revolution möglich oder erstrebenswert ist.
Die Herausforderung für Sozialist*innen ist also nicht, überall die Revolution auszurufen, sondern ein so breites Spektrum wie möglich an Menschen zusammenzubringen. Ob sie Sozialist*innen sind oder nicht, klar muss sein, dass die Klimavandal*innen aufgehalten werden müssen. Wir müssen mit allen zusammenarbeiten, die bereit sind, den Kampf gegen den Klimawandel im Allgemeinen und gegen die Erdölindustrie im Besonderen aufzunehmen.
Entgegen der Überzeugung der Blassgrünen, die ihr Schicksal liberalen Politiker*innen anvertrauen wollen, und der Befürworter*innen von Guerilla-Aktionen gegen die Infrastruktur, gibt es tatsächlich keinen kürzeren Weg als den, »Räume zu öffnen, in denen ein breites Spektrum von Menschen zusammenkommen und kämpfen kann«.
Ian Angus:
Im Angesicht des Anthropozäns. Klima und Gesellschaft in der Krise
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