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Geknebelt und in Ketten

Der Film zum US-Präsidentschaftswahlkampf: »The Trial of the Chicago 7«

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 5 Min.

Pünktlich zur heißen Phase des US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes bringt Netflix das Zeitgeschichtsdrama »The Trial of the Chicago 7« auf die Bildschirme. In dem hochkarätig besetzten Gerichtsfilm haben unter anderem ihren Auftritt Borat-Darsteller Sacha Baron Cohen, der sehr überzeugend die antiautoritäre 68er-Gegenkultur-Ikone Abbie Hoffmann gibt und Frank Langella, der schon den bösen Salieri in der Mozart-Verfilmung der 80er Jahre und sogar Richard Nixon mimen durfte, als legendär reaktionären Richter in einem der aufsehenerregendsten politischen Strafverfahren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Eddi Redmayne, einem breiten Kinopublikum zuletzt durch seine Rolle als magischer Tierbeschwörer in den Grindelwald-Filmen bekannt, darf als Chef des US-amerikanischen SDS in diesem mitunter kammerspielartigen Blockbuster als Teil einer Gruppe von Anti-Vietnamkriegs-Aktivisten mitwirken, denen 1968 wegen Verschwörung und Aufruhr der Prozess gemacht wurde. Dabei wird in diesem historischen Drama über die 68er, deren Erbe Donald Trump und die Neuen Rechten gerne abwickeln wollen, genau jene politische Konfliktlinie von links gegen rechts und progressiv gegen reaktionär abgebildet, die auch die anstehende Präsidentschaftswahl zu einer grundlegenden Richtungsentscheidung für die Zukunft der US-amerikanischen Gesellschaft macht.

Kaum ein Ereignis hatte solchen Einfluss auf die Entwicklung der 68er-Bewegung in den USA wie die Proteste Ende August 1968 rund um den Präsidentschaftsnominierungs-Parteitag der damals regierenden Demokraten in Chicago. Eigentlich waren zu den mehrtätigen Aktionen, zu denen neben Demonstrationen, Blockaden und Sit-Ins auch ein Popmusik-Festival gehörte, Hunderttausende Aktivisten erwartet worden, aber es kamen deutlich weniger. Die sahen sich mit der massivsten Polizeigewalt konfrontiert, die die junge Bewegung in den USA bis dahin erlebt hatte. Die Augenzeugenberichte, laut denen Polizeibeamte »Kill! Kill! Kill!« skandierend auf alles einprügelten, was sich bewegte und zahlreichen Menschen Knochen brachen, machten medial die Runde.

Diese Proteste und deren brutale Niederschlagung spielten für die Entwicklung und Radikalisierung der Bewegung im Sinne eines »injustice frame« eine ähnliche Rolle wie in der BRD der tödliche Polizeischuss auf Benno Ohnesorg. Die Behörden in den USA setzten aber noch eins drauf und klagten acht namhafte Aktivisten wegen Verschwörung und Aufruhr an, wofür langjährige Haftstrafen drohten. Die Riots von Chicago und das Verfahren gegen die »Chicago 8« führte damals zu breiten Solidaritätsbekundungen im ganzen Land und hatte auch starken Einfluss auf die Popkultur der Hippies und der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung.

Den Song »Kick out the Jams« der Garagenrockband MC5 aus der linken Szene Detroits, der live auf dem Protestkonzert performt wurde, während die Riots ausbrachen, kennen viele Menschen vor allem im Zusammenhang mit den Straßenschlachtbildern von damals. Die skandierten Rufe »The whole World is watching«, die auch im Film inszeniert werden, schafften es als Loop in einen Song der Rock-Jazz-Band »Chicago«. Am bekanntesten dürfte aber Graham Nashs Folk-Klassiker »Chicago« sein. Die Eingangszeile »Though your brother's bound and gagged, And they've chained him to a chair, Won't you please come to Chicago« bezieht sich auf Bobby Seale, den Chef der Black Panther Party, der in diesem Verfahren ohne Anwalt vor Gericht stand und wegen seiner Zwischenrufe während der Verhandlung mehrere Tage geknebelt und in Ketten im Gerichtssaal saß.

Seale war der einzige, der eine Haftstrafe absitzen musste. Aber da man sein Verfahren von den anderen abtrennte, wurden aus den anfänglichen »Chicago 8«, die auch für den Film titelgebenden »Chicago 7«. »The Trial of the Chicago 7« von Aron Sorkin, der auch schon Biopic zu Mark Zuckerberg und Steve Jobs drehte, fokussiert auf die mehrere Monate dauernde Gerichtsverhandlung, an deren Ende gegen fünf Aktivisten zwar Urteile gesprochen wurden, die aber die nächste Instanz allesamt wieder aufhob.

»Geben Sie mir doch einen Moment, mein Freund. Ich stand noch nie wegen meiner Gedanken vor Gericht.«, sagt Abbie Hofmann im Film ironisch zum Staatsanwalt. Immer wieder geht es um die Frage, von wem in jenen Augusttagen in Chicago die Gewalt ausging, wobei eine bundesstaatliche Kommission die Ereignisse später als »Police Riot« einstufte und die Verantwortung eindeutig auf Seiten der Sicherheitsbehörden sah. Nichtsdestotrotz ließ die neu an die Macht gekommene republikanische Regierung nichts unversucht, um in diesem Schauprozess die Akteure der sich zu dieser Zeit immer mehr ausbreitenden und radikalisierenden Bewegung vorzuführen und mundtot zu machen. Das klappte keineswegs, sondern erzeugte im Gegenteil sogar jede Menge Solidarisierungseffekte. Das wird zwar im Film eindrücklich dargestellt, wenngleich es in dem Verfahren zum Teil auch weitaus ruppiger zuging. So fehlen Bobby Seales Schimpftiraden gegen den bornierten Richter, den er unter anderem als »Faschistenhund« bezeichnete. Und aus drei Tagen, die Seale in Ketten im Gerichtssaal zubringen musste, wird im Film nur eine kurze Episode.

Die massentaugliche Aufarbeitung des Stoffs konzentriert sich auf das Versagen beziehungsweise die politische Instrumentalisierung des Rechtssystems und die autoritäre Ignoranz des reaktionären Richters. Eine tiefergehende Herrschaftskritik formuliert der Film aber nicht wirklich. Immerhin wird versucht, eine innerlinke Debatte um politische Kämpfe versus kulturelle Revolution der Hippies anzureißen, wobei dieser eigentlich sehr interessante Punkt nur oberflächlich inszeniert wird.

Sorkins zweistündiger Film, der sich an einem schon mehrfach für Kino und Fernsehen adaptierten außerparlamentarischen Bewegungsmythos abarbeitet, bietet dennoch durchaus interessante Einblicke in ein für viele heute, vor allem hierzulande unbekanntes Stück Zeitgeschichte. Die in den Gerichtsplot eingestreuten Spiel- und Dokumentarszenen in Form von Rückblenden fächern ebenso wie die eingesetzte Musik ein Panorama der damaligen Ereignisse auf. Für den heutigen Zuschauer dürfte vor allem die Einsicht wichtig sein, dass das reaktionäre US-Amerika schon immer gerne vor Gericht zog, um gegen progressive Kräfte zu prozessieren und dabei das Recht zum eigenen Vorteil kreativ auszulegen. Das könnte auch bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl eine wichtige Rolle spielen. »The Trial of the Chicago 7« ist dafür schon einmal eine schöne Einstimmung.

»The Trial of the Chicago 7« auf Netflix.

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